Verständigungsverfahren nach dem EU-Schiedsübereinkommen
Die Durchführung eines Verständigungsverfahrens ist zwar grundsätzlich verpflichtend, wenn die Antragsvoraussetzungen erfüllt sind.
Dies gilt nach einem aktuellen Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) jedoch nicht, wenn endgültig festgestellt ist, dass eines der beteiligten Unternehmen durch Handlungen, die eine Gewinnberichtigung zur Folge haben, einen empfindlich zu bestrafenden Verstoß gegen steuerliche Vorschriften im Sinne des Art. 8 Abs. 1 der EU-Schiedskonvention begangen hat. Die Behörde könne dann nach pflichtgemäßem Ermessen über die Durchführung eines Verständigungsverfahrens entscheiden.
Sachverhalt
Im Rahmen einer Betriebsprüfung bei der E-AG (Klägerin zu 2) wurden Verrechnungspreiskorrekturen für Geschäftsbeziehungen zu ihrer spanischen Schwestergesellschaft S-SL (Klägerin zu 1) aufgrund überhöhter Zahlungen der E-AG an die S-SL vorgenommen und die deutschen Einkünfte wurden entsprechend erhöht.
Die an die S-SL geleisteten Zahlungen wurden in Spanien der Besteuerung zugeführt. Eine Gegenkorrektur in Spanien erfolgte nicht, wodurch es zu einer Doppelbesteuerung kam. Zusätzlich wurde der Geschäftsführer und mittelbarer Alleingesellschafter der S-SL und zugleich mittelbarer Alleingesellschafter der E-AG (Herr R) im Zusammenhang mit diesen überhöhten Zahlungen an die S-SL wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung zu einer Geldbuße von 50.000 € verurteilt.
Die S-SL stellte einen Antrag auf Durchführung eines Verständigungsverfahrens nach der EU-Schiedskonvention bei der zuständigen spanischen Behörde. Die deutsche Behörde lehnte jedoch die Durchführung des Verständigungsverfahrens mit Verweis auf den Strafbefehl gegen Herrn R gem. Art. 8 Abs. 1 EU-Schiedskonvention ab.
Die Klage vor dem Finanzgericht Köln blieb ohne Erfolg.
Entscheidung des BFH
Die dagegen gerichteten Revisionen hat der BFH zurückgewiesen.
Der BFH hat entschieden, dass statthafte Klageart für die Durchführung eines Verständigungsverfahrens die (sonstige) Leistungsklage ist, da es sich bei der Durchführung des Verständigungsverfahrens um ein bloßes Tun und nicht um einen Verwaltungsakt i.S.d. § 118 Abgabenordnung (AO) handelt.
Entgegen der Ansicht des Finanzgerichts sei auch die Klage der Klägerin zu 2 (deutsche AG, die keinen Antrag auf Einleitung des Verständigungsverfahrens gestellt hatte) zulässig, da auch sie klagebefugt sei. Ein Kläger sei nämlich dann klagebefugt, wenn die Rechtsordnung ein subjektives Recht kenne, das den geltend gemachten Anspruch in seiner Person tragen würde. Dies sei hier erfüllt.
Denn es erscheine zumindest möglich, dass Art. 6 Abs. 1 und Art. 8 Abs. 1 der EU-Schiedskonvention den Klägerinnen ein subjektives-öffentliches Recht vermittle, sei es auch nur über eine ermessensfehlerfreie Entscheidung. Ob ein solcher Anspruch tatsächlich abgeleitet werden könne, sei aber keine Frage der Zulässigkeit, sondern eine Frage der Begründetheit. Für die Zulässigkeit der Klage der Klägerin zu 2 sei es zudem nicht entscheidend, dass die Klägerin zu 2 keinen fristgemäßen Antrag mehr hätte stellen können. Der ordnungsgemäße Antrag der Klägerin zu 1 reiche insoweit aus.
Der BFH hat sich im Übrigen der Entscheidung des Finanzgerichts angeschlossen und entschieden, dass aufgrund des Einigungszwangs im Rahmen des Verständigungsverfahrens es diesem obligatorischen Charakter widersprechen würde, wenn die Durchführung des Verfahrens im Ermessen der Behörde stünde. Bei Vorliegen der Voraussetzungen sei die Behörde verpflichtet, das Verfahren durchzuführen und bei der Beseitigung der Doppelbesteuerung mitzuwirken.
Die Behörde sei aber in den Fällen des Art. 8 Abs. 1 EU-Schiedskonvention nicht dazu verpflichtet, ein Verständigungsverfahren einzuleiten oder den Beratenden Ausschuss einzusetzen. Insoweit habe die Behörde nach pflichtgemäßem Ermessen über die Durchführung des Verständigungsverfahrens zu entscheiden. Ermessensfehler seien hier aber nicht zu erkennen. Insbesondere habe das Finanzgericht dem Klageantrag deswegen nicht entsprechen müssen, da es an der insoweit erforderlichen Ermessensreduzierung auf Null fehle.
Fundstelle
BFH, Urteil vom 25. September 2019 (I R 82/17), veröffentlicht am 19. März 2020.