Verluste aus dem entschädigungslosen Entzug von Aktien können steuerlich geltend gemacht werden

Der Verlust aus dem entschädigungslosen Entzug von Aktien durch eine Kapitalherabsetzung auf Null samt eines Bezugsrechtsausschlusses für die anschließende Kapitalerhöhung auf der Grundlage eines Insolvenzplans ist aufgrund einer gesetzlichen Regelungslücke „in entsprechender Anwendung“ des § 20 Abs. 2 und Abs. 4 Einkommensteuergesetz (EStG) als Aktienveräußerungsverlust steuerbar. Dies hat der Bundesfinanzhof in einem aktuell veröffentlichten Urteil gegen die Auffassung des Bundesministeriums der Finanzen entschieden.

Sachverhalt und Ausgangslage

Die Klägerin hatte in 2011 und in 2012 Namensaktien einer inländischen AG zu einem Gesamtkaufpreis von 36.262,77 € erworben. Über das Vermögen der AG wurde noch im Streitjahr das Insolvenzverfahren eröffnet und das Grundkapital der AG aufgrund eines gerichtlich bestätigten Insolvenzplans zur Verlustdeckung auf Null herabgesetzt. Im Zuge dessen wurde eine Kapitalerhöhung beschlossen, für die ein Bezugsrecht der Klägerin und der übrigen Altaktionäre ausgeschlossen wurde. Der börsliche Handel der Altaktien wurde eingestellt. Da die Klägerin für den Untergang ihrer Aktien keinerlei Entschädigung erhielt, entstand bei ihr ein Verlust in Höhe ihrer ursprünglichen Anschaffungskosten. Das Finanzamt lehnte es ab, diesen Verlust zu berücksichtigen. Die Klage vor dem Finanzgericht war erfolglos. Vor dem BFH war das Bundesfinanzministerium (BMF) dem Verfahren beigetreten.

Entscheidung des BFH

Der BFH gab der Revision der Klägerin statt. Er beurteilte den Entzug der Aktien in Höhe von 36.262,77 € als steuerbaren Aktienveräußerungsverlust. Das Gesetz (hier: §20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG und § 20 Abs. 2 Satz 2 EstG) weise insoweit aber eine planwidrige Regelungslücke auf, die im Wege der Analogie auf den hier zu beurteilenden Fall des „Aktienentzugs“ zu schließen sei. Die in § 225a Insolvenzordnung geregelte Sanierungsmöglichkeit sei erst später eingeführt worden, ohne die steuerlichen Folgen für Kleinanleger wie die Klägerin zu bedenken. Es widerspreche den Vorgaben des Gleichheitsgrundsatzes, speziell durch das Leistungsfähigkeitsprinzip, wenn der von der Klägerin erlittene Aktienverlust steuerlich nicht berücksichtigt werde, wirtschaftlich vergleichbare Verluste aber schon.

Dem Einwand des BMF, § 20 Abs. 2 EStG sei nicht planwidrig, sondern "bewusst" unvollständig, weil der Gesetzgeber bei Aktien nicht sämtliche wirtschaftlich vergleichbaren (positiven und negativen) Wertveränderungen der Besteuerung habe unterwerfen wollen, sondern nur solche, die unter den Veräußerungsbegriff des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG oder einen der Ersatztatbestände des § 20 Abs. 2 Satz 2 EStG subsumiert werden können, konnte sich der BFH nicht anschließen.

Anmerkung: Zu dem entsprechenden Ergebnis kam der BFH in einem weiteren inhaltsgleichen (und als NV-Entscheidung veröffentlichten) Urteil vom 3. Dezember 2019, VIII R 43/18.

Fundstelle

BFH, Urteil vom 3. Dezember 2019 (VIII R 34/16), veröffentlicht am 30. April 2020; BFH-Pressemitteilung Nr. 21 vom 30. April 2020.

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