Update: Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Abzinsungszinssatzes von 5,5 Prozent
Das Finanzgericht Hamburg hat die Vollziehung hinsichtlich der Körperschaftsteuer- und Gewerbesteuermessbescheide für 2013 und 2015 ausgesetzt, weil ernsthafte Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des in § 6 Abs. 1 Nr. 3 Einkommensteuergesetz vorgegebenen Zinssatzes von 5,5 Prozent bestehen.
Hintergrund: Nach § 6 Abs. 1 Nr.3 Einkommensteuergesetz (EStG) sind unverzinsliche Verbindlichkeiten, deren Laufzeit am Bilanzstichtag mehr als zwölf Monate beträgt und die nicht auf einer Anzahlung oder Vorauszahlung beruhen, mit einem Zinssatz von 5,5 % abzuzinsen.
Nach Ansicht des Finanzgerichts bestehen an der Verfassungsmäßigkeit des gesetzlichen Zinssatzes ernstliche Zweifel, zum einen aufgrund des konkret und diesbezüglich beim BVerfG anhängigen Verfahrens 2 BvR 2706/17, der anhängigen Verfahren zur Zinshöhe bei der Bewertung von Pensionsverpflichtungen 2 BvL 22/17 und 1 BvR 2237/14, sowie 1 BvR 2422/17 (zum typisierten Zinssatz bei Aussetzungszinsen).
Ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des typisierenden Abzinsungssatzes
Der gemäß § 238 Abs. 1 Satz 1 Abgabenordnung (AO) gesetzlich festgelegte Aussetzungszinssatz von 6 Prozent p.a. überschreite für den Zeitraum ab 2015 (bzw. 2012) angesichts der zu dieser Zeit bereits eingetretenen strukturellen und nachhaltigen Verfestigung des niedrigen Marktzinsniveaus den angemessenen Rahmen der wirtschaftlichen Realität in erheblichem Maße. Auch der BFH habe in diversen Beschlüssen vorläufigen Rechtsschutz gewährt (IX B 21/18 und VIII B 15/18). Auch die Verfassungsmäßigkeit des Abzinsungssatzes für Verbindlichkeiten werde vor diesem Hintergrund zunehmend in Zweifel gezogen werden müssen, so die Hamburger Richter.
Zwischenzeitlich habe der typisierte Zinssatz in einer anhaltenden Niedrigzinsphase keinen Bezug mehr zum langfristigen Marktzinsniveau. Dies gilt für den Zinssatz von 6 % gem. § 238 AO (Aussetzungszinsen) und § 6a Abs. 3 Satz 3 EStG (Abzinsung bei Teilwertermittlung von Pensionsverpflichtungen) gleichermaßen wie für den Zinssatz von 5,5 % gem. § 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG; in allen Fällen habe die Typisierung bei summarischer Prüfung ihre Basis verloren.
Durch die vorgegebene Sollverzinsung, die der Steuerpflichtige am Markt nicht mehr erzielen kann, müsse er einen nicht realisierten Gewinn ausweisen. Dies widerspreche jedoch dem gesetzgeberischen Willen, bei der Passivierung von Verbindlichkeiten realitätsnahe Wertansätze zuzulassen und den Steuerpflichtigen nicht zum Ausweis überhöhter Gewinne zu zwingen.
Update (1. Juli 2020)
Die vom Finanzgericht zugelassene Beschwerde wurde offenbar nicht eingelegt. Laut LEXinform ist das Urteil rechtskräftig.
Fundstelle
Finanzgericht Hamburg, Beschluss vom 31.1.2019 (2 V 112/18); rkr.