Steuerhinterziehung bei Ausfuhrlieferung
Der Bundesfinanzhof (BFH) hat in einem aktuellen Urteil entschieden, dass das Ausstellen einer unterfakturierten Zweitrechnung nicht dazu führt, die Steuerfreiheit für die Ausfuhrlieferung aufgrund einer vom Abnehmer zu Lasten des Steueraufkommens eines Drittstaats begangenen Steuerhinterziehung zu versagen.
Sachverhalt
Die Klägerin lieferte im Streitjahr 2013 Kraftfahrzeuge aus dem Inland in die Türkei an dort ansässige Abnehmer. Sie nahm dabei die Steuerfreiheit für Ausfuhrlieferungen nach § 6 Umsatzsteuergesetz (UStG) in Anspruch.
Die Steuerfreiheit für eine Ausfuhrlieferung von 20 Kraftfahrzeugen für Umsätze in Höhe von 1.132.400 € wurde vom Finanzamt im Anschluss an eine Umsatzsteuersonderprüfung jedoch nicht gewährt.
Das Finanzamt ging davon aus, dass die Fahrzeuge über eine Spedition zwar tatsächlich in die Türkei geliefert worden seien, die Steuerfreiheit aber im Hinblick auf die Missbrauchsrechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) zur MwStSystRL zu versagen sei, da sich die Klägerin aktiv an einem Betrugsmodell beteiligt habe.
Sie habe die Begehung von Steuerverkürzungen im Empfangsstaat durch die Erteilung unterfakturierter Zweitrechnungen, die das Entgelt im Vergleich zu den zutreffenden Erstrechnungen nicht vollständig ausgewiesen hätten, ermöglicht. In der Türkei seien mit diesen Rechnungen die Sonderverbrauchsteuer ÖTV (Özel Tüketim Vergisi) und die Umsatzsteuer KDV (Katma Deger Vergisi) bei der Einfuhr hinterzogen worden.
Die Klage vor dem Finanzgericht Köln blieb ohne Erfolg.
Entscheidung des BFH
Der BFH hat der Revision stattgegeben und die Entscheidung der Vorinstanz aufgehoben.
Ausfuhrlieferungen sind gemäß § 4 Nr. 1 Buchst. a UStG unter den in § 6 UStG bezeichneten Voraussetzungen steuerfrei.
Es steht der Steuerfreiheit nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 UStG nicht entgegen, wenn der Lieferer bei der Ausstellung einer z.B. unterfakturierten Zweitrechnung für die Ausfuhrlieferung wusste oder hätte wissen müssen, dass der Abnehmer mit dem gelieferten Gegenstand eine Steuerhinterziehung zu Lasten des Steueraufkommens eines Drittstaats begeht. § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 UStG ist keine derartige Voraussetzung zu entnehmen. Sie ergibt sich auch nicht aus der Rechtsprechung des EuGH.
Ebenso wie die fehlende Identifizierung dieses Empfängers ist auch das Ausstellen von Rechnungen der hier vorliegenden Art nicht geeignet, die materiellen Voraussetzungen der Ausfuhrlieferung und damit die Beförderung oder Versendung des gelieferten Gegenstands in das Drittlandsgebiet in Frage zu stellen.
Für den Fall, dass die Voraussetzungen der Steuerbefreiung bei der Ausfuhr nach Art. 146 Abs. 1 Buchst. b MwStSystRL und damit die Verbringung der Gegenstände aus dem Zollgebiet nachgewiesen sind, weist der EuGH aber darauf hin, dass für eine solche Lieferung keine Mehrwertsteuer geschuldet wird und grundsätzlich keine Gefahr eines Steuerbetrugs oder finanzieller Verluste mehr besteht, der die Besteuerung des Umsatzes rechtfertigen kann (EuGH-Urteil v. 17. Oktober 2019 - C-653/18 „Unitel“, unter Bezugnahme auf das EuGH, Urteil v. 19. Dezember 2013 - C 563/12 „BDV Hungary Trading“).
Danach führt das Ausstellen einer unterfakturierten Zweitrechnung für eine Ausfuhrlieferung nicht zu einer das Funktionieren des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems gefährdenden Steuerhinterziehung, wie sich aus den zwischen den Steuerbefreiungen für innergemeinschaftliche Lieferungen und für Ausfuhrlieferungen bestehenden Unterschieden ergibt.
Von einer Einholung eines Vorabentscheidungsersuchens an den EuGH sieht der BFH ausdrücklich ab, da nach seiner Auffassung keine Zweifel an der zutreffenden Auslegung des Unionsrechts bestehen.
Fundstelle
BFH, Urteil vom 12. März 2020 (V R 20/19), veröffentlicht am 6. August 2020; siehe auch die teilweise inhaltsgleiche Entscheidung (V R 24/19) vom selben Tag.