Gewinnerhöhende Auflösung einer § 6b EStG-Rücklage bei Verschmelzung

Wird eine GmbH unter Buchwertfortführung zu einem steuerlichen Übertragungsstichtag, der dem Tag nachfolgt, zu dem auch das vierte reguläre Wirtschaftsjahr nach Bildung einer Rücklage nach § 6b EStG endet, verschmolzen, ist die Auflösung der Rücklage (§ 6b Abs. 3 Satz 5 EStG) in der steuerlichen Schlussbilanz der übertragenden Gesellschaft vorzunehmen. Dies hat der Bundesfinanzhof (BFH) in einem aktuellen Urteil entschieden.

Sachverhalt

Streitig ist, ob eine Rücklage nach § 6b des Einkommensteuergesetzes in der im Streitjahr geltenden Fassung (EStG) bei einer Rechtsvorgängerin einkommenserhöhend aufzulösen ist, wenn sich dem Tag des Ablaufs der (bei ihr ungenutzten) Reinvestitionsfrist der Stichtag einer rückwirkenden Verschmelzung auf eine Rechtsnachfolgerin, deren Tochtergesellschaft investiert, unmittelbar anschließt.

Das Finanzgericht Münster hatte zugunsten der Klägerin entschieden (siehe unseren Blogbeitrag).

Entscheidung des BFH

Der BFH hat der Revision des Finanzamtes stattgegeben und die Entscheidung der Vorinstanz aufgehoben.

Da der übernehmende Rechtsträger mit Wirkung ab dem steuerlichen Übertragungsstichtag (hier: 01.Juli 2011) in die steuerliche Rechtsstellung der Überträgerin eintritt (§ 12 Abs. 3 i.V.m. § 4 Abs. 2 Satz 1 UmwStG 2006; s.a. BFH-Urteil vom 22.11.2018 - VI R 50/16, siehe unseren Blogbeitrag), bedeutet dies hinsichtlich der hier relevanten Rücklage des § 6b Abs. 3 EStG, dass diese von der Klägerin in der Weise fortzuführen ist, wie sie von der übertragenden Körperschaft hätte fortgeführt werden können bzw. müssen.

Wenn aber --wie im Streitfall-- die B-GmbH (die Verschmelzung hinweggedacht) die Rücklage am 01. Juli 2011 nicht mehr hätte "nutzen" können, weil die Reinvestitionsfrist am 30. Juni 2011 abgelaufen war und die Rücklage zwingend schon bei der Erstellung der Schlussbilanz der B-GmbH hätte gewinnerhöhend aufgelöst werden müssen, kann sie auch von der Klägerin nicht "genutzt" werden.

Allerdings hat das Finanzgericht angenommen, dass die Rücklage zum Ende der Reinvestitionsfrist "bei der B-GmbH nicht mehr vorhanden war". Es fehle eine gesetzliche Grundlage für die Auffassung, dass das letzte reguläre Wirtschaftsjahr der B-GmbH eine logische Sekunde vor Ablauf des 30. Juni 2011 geendet habe und der Vermögensübergang auf die Klägerin erst im Anschluss daran in der letzten Sekunde des 30. Juni 2011 erfolgt sei.

Weiterhin habe das Finanzgericht angenommen, dass es nicht zuletzt der Wertung von § 6b Abs. 3 Satz 5 EStG widersprechen würde, den Reinvestitionszeitraum von 48 Monaten wegen der Verschmelzung zu verkürzen; vielmehr finde in entsprechender Anwendung der zu § 6 Abs. 3 EStG ergangenen Rechtsprechung (vgl. BFH-Urteil vom 23.04.2009 - IV R 9/06) eine "Verklammerung" des auf die Rechtsvorgängerin entfallenden Reinvestitionszeitraums (48 Monate abzüglich einer logischen Sekunde) und des auf die Rechtsnachfolgerin entfallenden Reinvestitionszeitraums (eine logische Sekunde) zu einem Gesamtzeitraum von 48 Monaten statt - die Beteiligten wären daher auch in diesem Falle so zu stellen, als ob die Reinvestitionsfrist erst mit Ablauf der letzten Sekunde des 30.06.2011 geendet hätte.

Dies sei auch damit begründet, dass sowohl ein Übertragungsgewinn bzw. -verlust (§ 11 UmwStG 2006) als auch ein Übernahmegewinn bzw. -verlust sowie ein etwaiger Übernahmefolgegewinn (§ 12 UmwStG 2006) noch in dem (hier:) am 30.06.2011 endenden Wirtschaftsjahr bei dem jeweiligen Beteiligten der Umstrukturierung zu erfassen gewesen wäre.

Dieser Ansicht, die auch in der Literatur geteilt wird, ist nach Auffassung des BFH nicht zu folgen. Sie steht dem Wortlaut und dem Regelungszweck des § 6b Abs. 3 Satz 5 EStG entgegen (so im Ergebnis auch FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 05.03.2019 - 6 K 6071/18, [Revision XI R 43/19, früher I R 20/19], siehe unseren Blogbeitrag).

Es kommt nach Auffassung des BFH entgegen der im angefochtenen Urteil geäußerten Ansicht auch nicht zu einer Verkürzung des von § 6b EStG eingeräumten Reinvestitionszeitraums um eine logische Sekunde; denn die Übertragungsbilanz der B-GmbH war auf die letzte Sekunde des 30. Juni 2011 aufzustellen, nicht auf einen davor liegenden (fiktiven) Zeitpunkt. Nichts anderes würde auch ohne Verschmelzung gelten, wenn die Rücklage wegen des Ablaufs der Reinvestitionsfrist aufgelöst würde.

Fundstelle

BFH, Urteil vom 29. April 2020 (XI R 39/18), veröffentlicht am 20. August 2020.

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