EuGH-Vorlagen zum Umfang des unionsrechtlichen Zinsanspruchs

Das FG Hamburg hat dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) drei Vorlagen zu der Frage vorgelegt, ob die Rechtsprechung des EuGH zum unionsrechtlichen Zinsanspruch auch auf Einzelfallentscheidungen von Verwaltungsbehörden auszudehnen ist. Sämtliche bisherige Entscheidungen aus Luxemburg betrafen einen Ausgleich für Zahlungen, die aufgrund eines Verstoßes gegen das Unionsrecht für ungültig oder nichtig erklärter Normen erfolgt waren.

Hintergrund

Nach bisheriger Rechtsprechung des EuGH besteht eine unionsrechtliche Pflicht der Mitgliedsstaaten, zu erstattende Beträge ab dem Zeitpunkt ihrer Entrichtung zu verzinsen, wenn Einfuhr- oder andere Abgaben unter Verstoß gegen Unionsrecht erhoben worden sind (zuletzt EuGH vom 18. Januar 2017, Wortmann, C-365/15, EuGH vom 27. September 2012, Zuckerfabrik Jülich, C-113/10; EuGH vom 18. April 2013, Rimie, C-565/11). Sämtliche Entscheidungen betrafen einen Ausgleich für Zahlungen, die aufgrund eines Verstoßes gegen das Unionsrecht für ungültig oder nichtig erklärter Normen erfolgt waren, mithin auf einem Rechtssetzungsfehler beruhten.

Vorlagefragen

In den drei Vorabentscheidungsverfahren des Finanzgerichts Hamburg geht es dagegen um Folgen von Rechtsanwendungsfehlern. Dem geltend gemachten Zinsanspruch liegt in dem Verfahren 4 K 67/18 eine Entscheidung zugrunde, mit der das Hauptzollamt zu Unrecht Einfuhrabgaben nacherhoben hatte, weil es Ware fehlerhaft einer Position der Kombinierten Nomenklatur zugeordnet hatte. In der Sache 4 K 56/18 hatte das Hauptzollamt eine Unterposition der Kombinierten Nomenklatur falsch ausgelegt und zu Unrecht die Gewährung von Ausfuhrerstattungen verweigert und überdies eine Sanktion wegen vermeintlich überhöhter Beantragung von Ausfuhrerstattung verhängt. In dem Verfahren 4 K 14/20 hatte die Behörde schließlich einen fehlerhaften Sachverhalt zugrunde gelegt. Nach nationalem Recht kam eine Verzinsung der Erstattungsansprüche jeweils nur für Zeiten der Rechtshängigkeit nach § 236 AO in Betracht.

Der EuGH wird nun darüber zu befinden haben, ob seine Rechtsprechung zum unionsrechtlichen Zinsanspruch auch auf Einzelfallentscheidungen von Verwaltungsbehörden auszudehnen ist. Die bisherige Rechtsprechung beruht im Kern auf der Überlegung, dass die Wirkungen von Handlungen der Union bzw. der Mitgliedstaaten grundsätzlich nicht fortbestehen sollen, sofern der Gerichtshof diese Handlungen wegen Verstoßes gegen das Unionsrecht für ungültig oder nichtig erklärt.

Im Einzelnen geht es um folgende Vorlagefragen:

Beschluss vom 01. September 2020 - 4 K 14/20

Ist ein Verstoß gegen das Unionsrecht als Voraussetzung des vom EuGH entwickelten unionsrechtlichen Zinsanspruchs auch gegeben, wenn eine mitgliedstaatliche Behörde eine Abgabe unter Anwendung des Unionsrechts festsetzt, ein mitgliedstaatliches Gericht jedoch später feststellt, dass die tatsächlichen Voraussetzungen für die Erhebung der Abgabe nicht vorliegen?

Beschluss vom 01. September 2020 - 4 K 67/18

Ist ein Verstoß gegen das Unionsrecht als Voraussetzung des vom EuGH entwickelten unionsrechtlichen Zinsanspruchs auch gegeben, wenn eine mitgliedstaatliche Behörde eine Abgabe unter Verletzung rechtsgültiger Vorschriften des Unionsrechts festsetzt und ein mitgliedstaatliches Gericht diesen Verstoß gegen das Unionsrecht feststellt?

Beschluss vom 20. August 2020 - 4 K 56/18

  1. Besteht die unionsrechtliche Pflicht der Mitgliedstaaten, unter Verstoß gegen das Unionsrecht erhobene Abgaben zuzüglich Zinsen zu erstatten, auch in Fällen, in denen der Grund für die Erstattung nicht ein vom EuGH Verstoß der Rechtsgrundlage gegen das Unionsrecht, sondern eine vom Gerichtshof getroffene Auslegung einer (Unter-)Position der Kombinierten Nomenklatur ist?
  2. Sind die Grundsätze des vom EuGH entwickelten unionsrechtlichen Zinsanspruchs auch auf die Zahlung von Ausfuhrerstattungen, die die mitgliedstaatliche Behörde unter Verstoß gegen das Unionsrecht verweigert hat, übertragbar?

Fundstellen

Finanzgericht Hamburg Beschluss vom 1. September 2020 (4 K 14/20), Az. beim EuGH C-419/20, F. Reyher; Beschluss vom 1. September 2020 (4 K 67/18), Az. beim EuGH C-427/20, Flexi Montagetechnik ; Beschluss vom 20. August 2020 (4 K 56/18), Az. beim EuGH C-415/20, Gräfendorfer Geflügel - und Tiefkühlkost.

Finanzgericht Hamburg Newsletter 3/2020

Zum Anfang