Wiedereinsetzung in die versäumte Einspruchsfrist
Krankheit ist nur dann ein Wiedereinsetzungsgrund, wenn dem Kranken wegen seines Zustandes nicht zuzumuten war, die Frist durch eigenes Handeln oder durch das Handeln eines Dritten zu wahren.
Die Krankheit muss daher plötzlich und in einer Schwere auftreten, die es dem Steuerpflichtigen auch nicht mehr zumutbar ermöglicht, einen Dritten mit der Interessenwahrnehmung zu beauftragen. Dies hat das Finanzgericht München entschieden.
Sachverhalt
Streitig ist im Klageverfahren, ob die Antragstellerin fristgerecht Einspruch gegen die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung erhoben hat.
Mit Bescheid vom 22. November 2019 wurde die Festsetzung des Kindergeldes für das Kind der Klägerin ab dem Monat Oktober 2017 aufgehoben und das Kindergeld zurückgefordert. Die Aufhebung der Festsetzung wurde damit begründet, dass die Studienbescheinigungen ab dem Wintersemester 2017/18 nicht vorgelegt worden seien und daher nicht festgestellt werden könne, ob ein Anspruch auf Kindergeld bestehe.
Mit Schreiben vom 19. Januar 2020 übersandte die Antragstellerin verschiedene Unterlagen, unter anderem die Studienbescheinigung ab dem Wintersemester 2017/18. Gleichzeitig entschuldigte sie sich für ihre verspätete Reaktion und begründete die fehlende Einlegung eines fristgerechten Einspruchs damit, dass sie aufgrund eines Arbeitsunfalls am 19. November 2019, bei dem sie sich unter anderem die rechte Hand gebrochen habe, nicht in der Lage gewesen sei, auf das Schreiben der Antragsgegnerin zu antworten. Eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 19. November 2019 bis 12. Januar 2020 legte sie dem Schreiben bei. Darüber hinaus habe die Tochter nach einer Operation infolge einer akuten Entzündung der Weisheitszähne im Zeitraum vom 27. Dezember 2019 bis 14. Januar 2020 intensiv von ihr betreut werden müssen. Eine ärztliche Bescheinigung für eine Behandlung der Tochter am 7. Januar 2020 und eine Krankheitsbescheinigung für den Zeitraum 11. Januar 2020 bis 14. Januar 2020 legte sie ebenso bei.
Richterliche Entscheidung
Die Klage vor dem Finanzgericht München blieb ohne Erfolg.
Nach § 110 Abs. 1 Abgabenordnung (AO) ist auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert ist, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Schuldmaßstab ist nicht die im Rechtsverkehr erforderliche (§ 276 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch), sondern diejenige Sorgfalt, die den Betroffenen unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des einzelnen Falles und seiner persönlichen Verhältnisse zugemutet werden kann. Bereits bei leichter Fahrlässigkeit ist ein Wiedereinsetzungsantrag regelmäßig abzulehnen.
Eine eigene Krankheit ist jedoch nur dann ein Wiedereinsetzungsgrund, wenn dem Kranken wegen seines Zustandes nicht zuzumuten war, die Frist durch eigenes Handeln oder durch das Handeln eines Dritten zu wahren. Dies bedeutet, dass die Krankheit plötzlich und in einer Schwere auftreten muss, die es dem Steuerpflichtigen auch nicht mehr zumutbar ermöglicht, einen Dritten mit der Interessenwahrnehmung zu beauftragen.
Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall offensichtlich nicht vor, da eine Fraktur der rechten Hand infolge eines Arbeitsunfalls nicht dazu führt, dass ihr die Einlegung des Einspruchs, ggf. unter Zuhilfenahme eines Dritten, nicht mehr zuzumuten war.
Zwar erscheint es glaubhaft, dass sie sich um die in ihrem Haushalt lebende Tochter kümmerte. Nicht nachvollziehbar ist jedoch, dass sie die bereits 22-jährige und ein Universitätsstudium absolvierende Tochter so intensiv betreuen musste, dass es der Antragstellerin nicht mehr zuzumuten war, ihren sonstigen Verpflichtungen nachzukommen.
Fundstelle
Finanzgericht München, Beschluss vom 17. Juni 2020 (7 V 949/20), rkr.