Billigkeitserlass nach § 34c Abs. 5 EStG bis zur Festsetzungsverjährung

Der Antrag auf Steuererlass nach § 34c Abs. 5 EStG i. V. mit den Regelungen des Auslandstätigkeitserlasses (BMF, Schreiben v. 31. Oktober 1983, IV B 6 - S 2293 - 50/83) wird zeitlich durch die Festsetzungsverjährung und nicht bereits durch die Bestandskraft der Steuerfestsetzung begrenzt. Dies hat der Bundesfinanzhof (BFH) in einem aktuellen Urteil entschieden.

Sachverhalt

Die Kläger wurden im Jahr 2010 (Streitjahr) zur Einkommensteuer zusammenveranlagt. Der Kläger erzielte als Fluggerätemechaniker Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit. Arbeitgeber des Klägers war die A. Gemäß Abordnungsvertrag vom 08. Juli 2009 war der Kläger im Streitjahr auf dem Flughafen in X (Nigeria) eingesetzt und dort mit der Wartung und Störbehebung von Flugzeugen der Fluggesellschaft B befasst.

Während der Arbeitgeber für die Veranlagungszeiträume vor dem Streitjahr die Regelungen des Auslandstätigkeitserlasses - ATE - (BMF, Schreiben vom 31. Oktober 1983, IV B 6 - S 2293 - 50/83) bereits im Rahmen des Lohnsteuerabzugs berücksichtigte, unterwarf er den im Streitjahr erzielten Arbeitslohn der Lohnsteuer in Deutschland. In der von den Klägern für das Streitjahr eingereichten Einkommensteuererklärung erklärten sie den vom Kläger bezogenen Arbeitslohn als in Deutschland steuerpflichtig. In der Anlage N beantragten sie Kosten für Familienheimfahrten zwischen X und der Familienwohnung in Deutschland als Werbungskosten, welche vom Finanzamt antragsgemäß berücksichtigt wurden. Der Bescheid stand nicht unter dem Vorbehalt der Nachprüfung und wurde bestandskräftig.

Mit beim Finanzamt am 16. Januar 2015 eingegangenem Schreiben beantragten die Kläger die Änderung des Einkommensteuerbescheides nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO) dahingehend, dass der ATE zur Anwendung komme. Nach Ablehnung dieses Antrags durch das Finanzamt beantragten die Kläger mit Schreiben vom 27. April 2015 die Anwendung des Erlasses nach § 34c Abs. 5 des Einkommensteuergesetzes (EStG) im Rahmen einer Billigkeitsentscheidung gemäß § 163 AO.

Mit Verfügung vom 20. Mai 2015 lehnte das Finanzamt diesen Antrag ab, weil unter Berücksichtigung des Sinns und Zwecks der allgemeinen Billigkeitsregelungen der AO eine zeitliche Begrenzung der Zulässigkeit eines Antrags nach § 34c Abs. 5 EStG i.V.m. dem ATE vorzunehmen sei.

Die Klage vor dem Hessischen Finanzgericht hatte Erfolg.

Entscheidung des BFH

Der BFH hat sich der Entscheidung der Vorinstanz angeschlossen und die Revision als unbegründet zurückgewiesen.

Soweit die auf ausländische Einkünfte entfallende deutsche Einkommensteuer nach dem ATE ganz oder zum Teil erlassen werden soll, ist darüber verfahrensrechtlich nicht im Steuerfestsetzungsverfahren oder im Rahmen der Feststellung von Besteuerungsgrundlagen, sondern durch einen eigenständigen Bescheid zu entscheiden (BFH, Urteil v. 25. April 2001, I R 80/97). Auch wenn dieser Verwaltungsakt regelmäßig mit der Steuerfestsetzung verbunden wird, ändert das nichts daran, dass es sich hierbei um eine gesonderte Entscheidung handelt. Mit Blick auf die Steuerfestsetzung handelt es sich um einen Grundlagenbescheid, der eine Bindungswirkung auslöst, die ggf. nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO umzusetzen ist (vgl. BFH, Beschluss v. 12. Juli 2012, I R 32/11).

Im Gesetz bzw. im ATE ist insoweit allerdings nicht geregelt, innerhalb welcher zeitlicher Grenzen ein Antrag auf Steuererlass nach § 34c Abs. 5 EStG i.V.m. den Regelungen des ATE gestellt werden kann.

Teilweise wird dazu die Auffassung vertreten, schon aus der Natur der Entscheidung nach § 34c Abs. 5 EStG als Grundlagenbescheid folge, dass der Erlass der Entscheidung zeitlich durch die Festsetzungsverjährung und nicht bereits durch die Bestandskraft der Steuerfestsetzung begrenzt werde. Dieser Auffassung schließt sich der BFH im Ergebnis an.

Er geht hierbei davon aus, dass es sich bei § 34c Abs. 5 EStG um eine gegenüber den allgemeinen Erlassregelungen in §§ 163 und 227 AO speziellere Regelung handelt, die allerdings ggf. unter Rückgriff auf die genannten allgemeinen Regelungen auszufüllen ist.

Das Finanzamt versteht den ATE so, dass ein Antrag nur bis zur Bestandskraft der Steuerfestsetzung gestellt werden kann. Dass das nicht zutreffend ist, ergibt sich aber bereits daraus, dass die Finanzverwaltung das Zeitmoment im ebenfalls auf § 34c Abs. 5 EStG gestützten Pauschalierungserlass (BMF-Schreiben vom 10.04.1984, IV C 6 - S 2293) positiv dahingehend geregelt hat, dass der dortige Antrag gestellt werden kann, "solange die Steuerfestsetzung noch nicht unanfechtbar ist oder unter dem Vorbehalt der Nachprüfung steht". Daraus, dass der ATE eine entsprechende Regelung nicht enthält, lässt sich nur schließen, dass der Erlassgeber eine zeitliche Beschränkung der Antragstellung dort gerade nicht hat vornehmen wollen.

Zwar kann im Rahmen der Ermessensentscheidung über die Billigkeitsmaßnahme der Zeitablauf auch als solcher berücksichtigt werden und er bildet insoweit einen selbständigen Grund für den Rechtsverlust, der neben die Verwirkung tritt und von dieser zu trennen ist. Indessen tritt ein solcher Rechtsverlust aber nicht bereits vor dem Ablauf der Festsetzungsverjährung ein. Hierfür spricht, dass das Festsetzungsverfahren einerseits und das Billigkeitsverfahren andererseits zwei getrennte Verfahren sind und ein nach Eintritt der Bestandskraft ergangener Billigkeitserweis nach § 34c Abs. 5 EStG im Rahmen der Festsetzung nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO nachträglich zu berücksichtigen ist.

Das Finanzgericht ist im Ergebnis von den vorstehenden Rechtsgrundsätzen ausgegangen. Es hat auch zutreffend einen Anspruch der Kläger auf die Gewährung des begehrten Billigkeitserlasses bejaht. Zwischen den Beteiligten ist zu Recht nicht streitig, dass im Streitfall die tatbestandlichen Voraussetzungen der Ziffern I bis IV des ATE vorliegen. Auch unter zeitlichen Gesichtspunkten war im Streitfall die Antragstellung nicht zu beanstanden, da bei Antragstellung noch keine Festsetzungsverjährung eingetreten war.

Fundstelle

BFH, Urteil vom 17. Juni 2020 (I R 7/18), veröffentlicht am 12. November 2020.

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