Grunderwerbsteuerbefreiung bei Übergang von einer Gesamthand

§ 6 Abs. 4 Satz 1 GrEStG bezweckt die Abwehr missbräuchlicher Gestaltungen durch Verbindung des grundsätzlich steuerfreien Wechsels im Gesellschafterbestand einer Gesamthand mit der steuerfreien Übernahme von Grundstücken aus dem Gesamthandsvermögen. Die Vorschrift ist teleologisch zu reduzieren, soweit abstrakt keine Steuer zu vermeiden war. Auf einen konkreten Missbrauch im Einzelfall kommt es nicht an. Dies hat der Bundesfinanzhof (BFH) in einem aktuellen Urteil entschieden.

Sachverhalt

Eine GmbH & Co. KG (KG) war seit 2006 Eigentümerin von Grundvermögen. Persönlich haftende Gesellschafterin der KG war eine Beteiligungs GmbH (GmbH), die nicht am Vermögen der KG beteiligt war.

Die Klägerin wurde im Februar 2010 zunächst als Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt) mit Sitz in X gegründet und firmiert seit dem 19. November 2013 als GmbH. Einzeln vertretungsberechtigter Geschäftsführer war und ist der Insolvenzverwalter R. Durch notarielle Verträge vom 22. Februar 2010 erwarb die Klägerin sämtliche Kommanditanteile an der KG sowie sämtliche Geschäftsanteile an der Komplementär-GmbH. Sie bestellte R zum einzeln vertretungsberechtigten Geschäftsführer der GmbH.

Auf Eigenantrag eröffnete das Amtsgericht am 02. August 2010 das Insolvenzverfahren über das Vermögen der KG und ordnete Eigenverwaltung nach § 270 der Insolvenzordnung (InsO) an. Am 30. September 2010 eröffnete es das Insolvenzverfahren über das Vermögen der GmbH. Im Rahmen eines Insolvenzplans wurde die Kapitaldienstfähigkeit der KG wiederhergestellt. Mit Beschluss vom 26. April 2012 hob das Amtsgericht das Insolvenzverfahren auf.

Nachdem für den Kaufvertrag vom 22. Februar 2010 gesonderte Feststellungen nach § 17 Grunderwerbsteuergesetz (GrEStG) und des Grundbesitzwerts ergangen waren, setzte das Finanzamt gegen die KG wegen des Anteilserwerbs der Klägerin an der KG zum 22. Februar 2010 Grunderwerbsteuer fest. Diese Steuer wurde nicht mehr entrichtet. Die KG berief sich darauf, dass die Grunderwerbsteuerforderung nicht zur Insolvenztabelle angemeldet, der Insolvenzplan nicht angefochten worden sei und die Forderung gegenüber dem Insolvenzverwalter nicht mehr geltend gemacht werden könne (§ 254 Abs. 1 InsO). Am 01. Februar 2013 wurde das Erlöschen der KG im Handelsregister eingetragen.

Nach Eingang eines notariellen Grundbuchberichtigungsantrags wegen des Übergangs des Gesellschaftsvermögens der KG am 30. September 2010 auf die Klägerin nach § 738 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) setzte das Finanzamt für diesen Vorgang mit Bescheid vom 04. Juli 2013 unter Berufung auf § 1 Abs. 1 Nr. 3 GrEStG im Wege der Schätzung der Besteuerungsgrundlagen gegenüber der Klägerin Grunderwerbsteuer für eine auf den 01. Februar 2013, nach Einspruch mit Bescheid vom 13. September 2013 für eine auf den 30. September 2010 datierte Anwachsung fest.

Die Klage vor dem Finanzgericht Mecklenburg-Vorpommern hatte keinen Erfolg.

Entscheidung des BFH

Der BFH hat der Revision stattgegeben und die Entscheidung der Vorinstanz aufgehoben.

Geht ein Grundstück von einer Gesamthand in das Alleineigentum einer an der Gesamthand beteiligten Person über, so wird die Steuer nach § 6 Abs. 2 Satz 1 GrEStG in Höhe des Anteils nicht erhoben, zu dem der Erwerber am Vermögen der Gesamthand beteiligt ist. Nach § 6 Abs. 2 Satz 2 GrEStG gilt dies entsprechend, wenn ein Grundstück bei der Auflösung der Gesamthand in das Alleineigentum eines Gesamthänders übergeht. Die Anwachsung im Streitfall begründet einen solchen Übergang. Der Anteil für die Nichterhebung der Steuer beträgt 100 %, denn allein die Klägerin als Kommanditistin, aber nicht die ausgeschiedene Komplementär-GmbH war am Vermögen der KG beteiligt.

Nach § 6 Abs. 4 Satz 1 GrEStG gelten die Vorschriften der Abs. 1 bis 3 insoweit nicht, als ein Gesamthänder innerhalb von fünf Jahren vor dem Erwerbsvorgang seinen Anteil an der Gesamthand durch Rechtsgeschäft unter Lebenden erworben hat. Die Klägerin hatte ihre Kommanditbeteiligung an der KG, über die sie zu 100 % vermögensmäßig an der KG beteiligt wurde, am 22. Februar 2010 und damit innerhalb der Fünfjahresfrist erworben.

Es entspricht ständiger Rechtsprechung des BFH, dass § 6 Abs. 4 Satz 1 GrEStG gegen den Wortlaut teleologisch zu reduzieren ist.

Es handelt sich um eine Missbrauchsverhinderungsvorschrift, mit der Steuerumgehungen durch die Kombination eines außerhalb von § 1 Abs. 2a GrEStG nicht steuerbaren Wechsels im Gesellschafterbestand einer Gesamthand und der nachfolgenden nach § 6 GrEStG begünstigten Übernahme von Grundstücken aus dem Gesamthandsvermögen durch den "neuen" Gesellschafter verhindert werden sollen (BFH, Beschluss vom 19. März 2003, II B 96/02).

Nicht maßgebend ist, ob (subjektiv) im Einzelfall eine Steuerumgehung beabsichtigt war. Der BFH hält an seiner bisherigen Rechtsprechung und insbesondere daran fest, dass allein das abstrakte Missbrauchspotential Maßstab für die Auslegung des § 6 Abs. 4 Satz 1 GrEStG einschließlich der teleologischen Reduktion ist.

Abstraktes Missbrauchspotential fehlt, wenn der Wechsel im Gesellschafterbestand ausnahmsweise grunderwerbsteuerbar war. § 6 Abs. 4 Satz 1 GrEStG ist insoweit nicht anzuwenden. Es ist nicht maßgebend, ob die Grunderwerbsteuer festgesetzt und entrichtet wurde.

Nach diesen Maßstäben ist § 6 Abs. 4 Satz 1 GrEStG infolge teleologischer Reduktion im Streitfall nicht anzuwenden. Die Klägerin hat am 22. Februar 2010 sämtliche Geschäftsanteile der KG erworben. Dieser Vorgang war nach § 1 Abs. 2a GrEStG steuerbar. Das bedeutet, dass die Überführung der Grundstücke in den grunderwerbsteuerrechtlichen Zurechnungsbereich der Klägerin bereits der Grunderwerbsteuer unterlag. Schwierigkeiten bei Festsetzung und Erhebung dieser Grunderwerbsteuer sind für die Reichweite des § 6 Abs. 4 Satz 1 GrEStG nicht von Bedeutung.

Fundstelle

BFH, Urteil vom 25. August 2020 (II R 23/18), veröffentlicht am 03. Dezember 2020.

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