Nichtrückkehrtage bei Anwendung der Grenzgängerregelung im DBA-Schweiz

Nach einem aktuellen Urteil des Bundesfinanzhofs gehören Tage, an denen der Steuerpflichtige von einer Geschäftsreise aus dem Drittland tatsächlich an seinen Wohnsitz zurückkehrt, nicht zu den Nichtrückkehrtagen i.S. des Art. 15a Abs. 2 Satz 2 DBA-Schweiz. Entsprechendes gilt unter gewissen Voraussetzungen für Geschäftsreisen an Wochenend- und Feiertagen.

Hintergrund

Gehälter, Löhne und ähnliche Vergütungen, die ein Grenzgänger aus unselbständiger Arbeit bezieht, sind nach dem DBA-Schweiz in dem Vertragsstaat zu besteuern, in dem dieser ansässig ist. Kehrt diese Person nicht jeweils nach Arbeitsende an ihren Wohnsitz zurück, so entfällt ihre Grenzgängereigenschaft nur dann, wenn sie bei einer Beschäftigung während des gesamten Kalenderjahrs an mehr als 60 Arbeitstagen aufgrund ihrer Arbeitsausübung nicht an ihren Wohnsitz zurückkehrt (Art. 15a Abs. 2 Satz 2 DBA-Schweiz).

Sachverhalt

Im Streitfall war der Kläger gemäß Art. 4 DBA-Schweiz in Deutschland ansässig und erzielte für seine Tätigkeit als Vizedirektor der X AG/CH im Streitjahr Einkünfte aus unselbständiger Arbeit. Die Eintragung der Funktionsbezeichnung "Vizedirektor" in das Handelsregister erfolgte erst nach Ablauf des Streitjahres (2010). In seiner Einkommensteuererklärung ging der Kläger von 65 Nichtrückkehrtagen aus, so dass er nicht als Grenzgänger mit seinen Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit der inländischen Besteuerung unterliege. Zu den Nichtrückkehrtagen zählte er sowohl Wochenendtage als auch Tage, an denen er von einer Drittland-Geschäftsreise an seinen inländischen Wohnsitz zurückgekehrt war. Das Finanzamt verneinte ebenfalls die Grenzgängereigenschaft des Klägers. Mangels Eintragung der Funktion des Vizedirektors in das Handelsregister verneinte das Finanzamt allerdings auch die Anwendung des Art. 15 Abs. 4 DBA-Schweiz. Nach dieser Vorschrift kann eine natürliche Person, die in einem Vertragsstaat ansässig, aber als Vorstandsmitglied, Direktor, Geschäftsführer oder Prokurist einer in dem anderen Vertragsstaatansässigen Kapitalgesellschaft tätig ist, mit den Einkünften aus dieser Tätigkeit in diesem anderen Staat (hier: der Schweiz) besteuert werden. Das Finanzamt unterwarf denjenigen Teil des Arbeitslohns, der auf die Ausübung der Tätigkeit in Drittstaaten oder im Inland entfiel, der inländischen Besteuerung (63/240 des Bruttoarbeitslohns). Die von der Eidgenössischen Steuerverwaltung einbehaltene Quellensteuer in Höhe von 4,5 % wurde nicht berücksichtigt.

Das Finanzgericht hatte die Klage abgewiesen. Der Kläger habe nicht mehr als 60 Nichtrückkehrtage nachgewiesen, da sowohl Wochenendtage als auch Tage, an denen der Kläger von einer Drittland-Geschäftsreise an seinen inländischen Wohnsitz zurückgekehrt ist, keine Nichtrückkehrtage i.S. des Art. 15a Abs. 2 Satz 2 DBA-Schweiz 1971/2002 seien.

Entscheidung des BFH

Die obersten Steuerrichter wiesen die Revision als unbegründet zurück. Mit folgender Begründung: Das Finanzgericht habe zu Recht entschieden, dass der Kläger nicht mehr als 60 Nichtrückkehrtage nachgewiesen hat. Tage, an denen der Steuerpflichtige von einer Geschäftsreise aus dem Drittland tatsächlich an seinen Wohnsitz zurückkehrt, gehören nicht zu den Nichtrückkehrtagen i.S. des Art. 15a Abs. 2 Satz 2 DBA-Schweiz. Entsprechendes gilt für Geschäftsreisen an Wochenend- und Feiertagen, sofern die Arbeit an diesen Tagen nicht ausdrücklich im Arbeitsvertrag vereinbart ist und der Arbeitgeber für die an diesen Tagen geleistete Arbeit weder einen anderweitigen Freizeitausgleich noch ein zusätzliches Entgelt gewährt, sondern lediglich die Reisekosten übernimmt. Der Kläger ist somit als Grenzgänger i.S. des Art. 15a DBA-Schweiz 1971/2002 anzusehen. Seine Einkünfte aus der Tätigkeit als Vizedirektor bei der X AG/CH sind (im Streitfall unter Beachtung des Verböserungsverbots) in die Bemessungsgrundlage der inländischen Einkommensteuer einzubeziehen.

Die insofern anders lautenden Regelungen des § 8 Abs. 1 Satz 3 („Trägt der Arbeitgeber die Reisekosten, werden bei mehrtägigen Geschäftsreisen alle Wochenend- und Feiertage als Nichtrückkehrtage angesehen“) und Abs. 5 Satz 2 („Eintägige Geschäftsreisen in Drittstaaten zählen stets zu den Nichtrückkehrtagen) der Verordnung zur Umsetzung von Konsultationsvereinbarungen zwischen Deutschland und der Schweiz vom 20.12.2010 (KonsVerCHEV) verstoßen nach Auffassung des BFH gegen den Grundsatz des Vorrangs des Gesetzes (Art. 20 Abs. 3 GG). Durch die im Rang einer Rechtsverordnung stehende KonsVerCHEV könne keine Regelung getroffen werden, die dem im Rang eines Gesetzes stehenden DBA-Schweiz 1971/2002 widerspricht oder dessen Lücken ergänzt.

Ob die Voraussetzungen des Art. 15 Abs. 4 DBA-Schweiz erfüllt sind, obwohl die Funktion des Klägers als Vizedirektor erst später in das Handelsregister eingetragen worden ist, konnte wegen der Vorrangigkeit des Art. 15a DBA-Schweiz 1971/2002 im Streitfall somit offen bleiben.

Anmerkung: In einem weiteren Verfahren I R 60/17 wurde dem BFH konkret diese Frage vorgelegt. Die obersten Steuerrichter entschieden dazu mit Urteil vom 30. September 2020 (I R 60/17), dass die Anwendbarkeit von Art. 15 Abs. 4 DBA-Schweiz keine Eintragung der Funktion des Steuerpflichtigen in das Handelsregister voraussetzt (lesen Sie dazu die Zusammenfassung in unserem Blogbeitrag vom 1. April 2021).

Fundstelle

BFH-Urteil vom 30. September 2020 (I R 37/17), veröffentlicht am 1. April 2021.

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