Rückwirkende Einführung einer Regelung über den nur ratierlichen Abzug von in einem Einmalbetrag geleisteten Erbbauzinsen teilweise nichtig
Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) hat entschieden, dass die rückwirkende Änderung des Abflussprinzips durch § 11 Absatz 2 Satz 3 Halbsatz 1 in Verbindung mit § 52 Absatz 30 Einkommensteuergesetz in der Fassung des Richtlinien-Umsetzungsgesetzes (EStG i. d. F. des EURLUmsG) teilweise gegen den verfassungsrechtlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes verstößt.
Hintergrund
Nach § 11 Abs. 2 Satz 1 EStG sind als Werbungskosten zu qualifizierende Ausgaben grundsätzlich in voller Höhe für das Kalenderjahr von der Einkommensteuer abzusetzen, in dem sie geleistet worden sind (Abflussprinzip). Mit Urteil vom 23. September 2003 entschied der Bundesfinanzhof erstmals ausdrücklich, dass dies auch für Erbbauzinsen galt, die Werbungskosten für Vermietungseinkünfte sind und in einem Einmalbetrag vorausgezahlt werden. Da nach der Einschätzung der damaligen Regierungsfraktionen die uneingeschränkte Anwendung dieses Urteils zu erheblichen Haushaltsmindereinnahmen geführt hätte, initiierten die Regierungsfraktionen im Rahmen eines laufenden Gesetzgebungsverfahrens die hier verfahrensgegenständliche Veränderung des Abflussprinzips.
Die Gesetzesänderung wurde am 27. Oktober 2004 durch eine Beschlussempfehlung des Finanzausschusses in den Bundestag eingebracht, am 28. Oktober 2004 vom Bundestag beschlossen und am 15. Dezember 2004 im Bundesgesetzblatt verkündet. Aufgrund der am Folgetag in Kraft getretenen Neuregelung sind Vorauszahlungen für eine Nutzungsüberlassung von mehr als fünf Jahren auf den Vorauszahlungszeitraum zu verteilen (§ 11 Abs. Abs. 2 Satz 3 EStG i. d. F. des EURLUmsG). Bei Erbbauzinsen und anderen Entgelten für die Nutzung eines Grundstücks sollte dies bereits für alle Vorauszahlungen gelten, die nach dem 31. Dezember 2003 geleistet worden waren (§ 52 Abs. 30 EStG i .d. F. des EURLUmsG).
Sachverhalt
Der Kläger des Ausgangsverfahrens erwarb im August 2004 im Zusammenhang mit einer von ihm vermieteten Wohnung einen Miterbbaurechtsanteil an einem auf 99 Jahre bestellten Erbbaurecht. Er zahlte zur Abgeltung der gesamten Erbbauzinsansprüche für die Laufzeit des Erbbaurechts im September 2004 insgesamt 36.350 Euro. Diesen Betrag machte er vollständig bei seinen Einkünften aus Vermietung und Verpachtung des Jahres 2004 als Werbungskosten geltend.
Demgegenüber berücksichtigten das Finanzamt und das Finanzgericht nur den auf das Streitjahr entfallenden Teil der Erbbauzinsen (also 1/99 der Vorauszahlung ≈ 368 Euro). Der Bundesfinanzhof hat das sich anschließende Revisionsverfahren ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht die Frage zur Entscheidung vorgelegt, ob die verfahrensgegenständlichen Vorschriften gegen den verfassungsrechtlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes verstoßen.
Wesentliche Erwägungen des Senats
§ 52 Abs. 30 EStG i. d. F. des EURLUmsG ordnet eine unechte Rückwirkung an. Hiernach wirkt zwar § 11 Abs. 2 Satz 3 Halbsatz 1 EStG i. d. F. des EURLUmsG formal in die Zukunft, weil er erst die künftige, frühestens am Ende des Jahres 2004 entstehende Einkommensteuerschuld für Jahre ab 2004 betrifft. Allerdings werden die Rechtsfolgen tatbestandlich von einem bereits ins Werk gesetzten Sachverhalt ausgelöst, soweit die Vorauszahlungen auf Erbbauzinsen schon vor der Gesetzesverkündung (15. Dezember 2004) geleistet oder jedenfalls verbindlich vereinbart worden sind (tatbestandliche Rückanknüpfung). Dies hat aufgrund der Versagung des zuvor möglichen Sofortabzugs auch belastende Wirkungen, jedenfalls durch Liquiditäts- und Zinsnachteile.
Eine solche unechte Rückwirkung ist zwar nicht grundsätzlich unzulässig. Der Gesetzgeber muss aber dem verfassungsrechtlich gebotenen Vertrauensschutz in hinreichendem Maß Rechnung tragen und verhältnismäßig handeln. Eine unechte Rückwirkung ist mit den Grundsätzen grundrechtlichen und rechtsstaatlichen Vertrauensschutzes nur vereinbar, wenn sie zur Förderung des Gesetzeszwecks geeignet und erforderlich ist und wenn bei einer Gesamtabwägung zwischen dem Gewicht des enttäuschten Vertrauens und dem Gewicht und der Dringlichkeit der die Rechtsänderung rechtfertigenden Gründe die Grenze der Zumutbarkeit gewahrt bleibt.
Weniger schutzwürdig sind Dispositionen des Steuerpflichtigen, soweit Vorauszahlungen erst nach dem 27. Oktober 2004 (Tag der Einbringung des Änderungsentwurfs in den Bundestag durch die Beschlussempfehlung des Finanzausschusses) verbindlich vereinbart worden sind, da sich die Vertragspartner dann auf eine mögliche Änderung der Rechtslage für die Zukunft einstellen konnten.
Weniger schutzwürdig sind ferner bis zum 27. Oktober 2004 geschlossene Vorauszahlungsvereinbarungen, bei denen der Leistungszeitpunkt vertraglich über das Jahr des Vertragsschlusses hinaus festgelegt wurde, weil es hier ferner liegt, auf den jahresübergreifenden Fortbestand des aktuell geltenden Steuerrechts zu vertrauen, und näher, mit vertraglichen Klauseln auch die Verteilung des Risikos künftiger Steuerverschärfungen zu regeln.
Demgegenüber sind Dispositionen eines Steuerpflichtigen uneingeschränkt schutzwürdig, soweit von der Neuregelung betroffene Vorauszahlungsvereinbarungen im Jahr 2004, spätestens am 27. Oktober 2004, geschlossen und vereinbarungsgemäß noch im Jahr 2004 erfüllt worden sind. Die Betroffenen durften darauf vertrauen, dass nach dem geltenden Recht als Werbungskosten vorausgezahlte Erbbauzinsen vollständig im Zahlungsjahr abzuziehen waren. Zwar hatte der Bundesfinanzhof diese spezielle Frage mit seiner Entscheidung vom 23. September 2003 erstmals und abweichend von der bis dahin geübten Verwaltungspraxis ausdrücklich geklärt. Jedoch setzte er damit seine sonstige gefestigte und langjährige Rechtsprechung zur steuerrechtlichen Behandlung des Erbbauzinses systematisch konsequent fort, sodass mit einer Änderung seiner Rechtsauffassung in absehbarer Zeit nicht gerechnet werden musste.
Dem schutzwürdigen Vertrauen steht auch nicht entgegen, dass die Finanzverwaltung in dem Zeitraum bis zur Neuregelung weder ihre abweichende Verwaltungsvorschrift geändert noch die Entscheidung des Bundesfinanzhofs im Bundessteuerblatt Teil II veröffentlicht hat. Denn die Befugnis zur verbindlichen Auslegung von Gesetzen ist nach dem Grundgesetz der Rechtsprechung vorbehalten.
Die Betroffenen durften ferner nicht nur auf den vom Bundesfinanzhof geklärten Inhalt des geltenden Rechts, sondern bis zum 27. Oktober 2004 auch auf den Fortbestand des geltenden Rechts vertrauen. Zwar ist der Gesetzgeber jederzeit befugt, den Inhalt einer von ihm gesetzten Norm zu ändern und damit gegebenenfalls eine fachgerichtliche Rechtsprechung zu korrigieren, mit der er nicht einverstanden ist. Seine Änderungsbefugnis ist aber in erster Linie zukunftsgerichtet. Das Vertrauen der Steuerpflichtigen in die Fortgeltung ist allerdings dann nicht schutzwürdig, wenn bei objektiver Betrachtung nicht mit dem Fortbestand des geltenden Rechts gerechnet werden konnte, sondern eine Neuregelung ernsthaft zu erwarten war. Derartige Anhaltspunkte lagen hier jedoch bis zur Einbringung des Änderungsentwurfs in den Bundestag aus der maßgeblichen Sicht der Steuerpflichtigen trotz entgegenstehender Verwaltungsanweisung und fehlender Veröffentlichung des Urteils des Bundesfinanzhofs vom 23. September 2003 im für die Finanzverwaltung verbindlichen Bundessteuerblatt Teil II nicht vor.
Die Entscheidung für eine Gesetzesänderung ist erst nach verwaltungsinterner Prüfung möglicher Handlungsoptionen durch eine beim Bundesministerium der Finanzen eingerichtete Bund-Länder-Arbeitsgruppe gefallen. Nach außen drang die Absicht der Finanzverwaltung zur Gesetzesänderung allein aufgrund vereinzelter Anfragen aus der Presse sowie aus der Immobilien- und Fondsbranche, ohne dass zu diesem Zeitpunkt ein Gesetzentwurf in den Deutschen Bundestag eingebracht war. Ein überwiegend internes Verwaltungshandeln ohne Beteiligung der zur Gesetzesinitiative Berechtigten mindert das grundsätzlich schutzwürdige Vertrauen der Steuerpflichtigen in das geltende Recht jedoch nicht. Dementsprechend genügt dafür erst recht nicht, dass bereits ab dem Beginn des Jahres 2004 in den Medien sowie in der Immobilien- und Fondsbranche über die Steuersparmodelle, die das Urteil des Bundesfinanzhofs vom 23. September 2003 ermöglichte, und die möglichen Reaktionen der Finanzverwaltung hierauf spekuliert wurde.
Soweit das Vertrauen der Steuerpflichtigen in das geltende Recht und den Fortbestand der dafür maßgeblichen Normen bei der Abwägung als schutzwürdig einzustellen ist, ist die unechte Rückwirkung auch unter Berücksichtigung des Gesetzesanliegens verfassungsrechtlich unzulässig. Das Vertrauen des Steuerpflichtigen überwiegt hier die für die Einführung der Neuregelung maßgebliche Annahme, die uneingeschränkte Anwendung des Urteils des Bundesfinanzhofs vom 23. September 2003 würde zu erheblichen, nicht hinnehmbaren Haushaltsmindereinnahmen führen. Denn die bloße Absicht, staatliche Mehreinkünfte zu erzielen, begründet für sich genommen grundsätzlich noch kein den Vertrauensschutz betroffener Steuerpflichtiger überwindendes Gemeinwohlinteresse. Ansonsten würde der Vertrauensschutz gegenüber rückwirkenden Verschärfungen des Steuerrechts praktisch leerlaufen.
Die Absicht des Gesetzgebers, ein „Steuerschlupfloch“ zu schließen, und Gesichtspunkte der Belastungsgleichheit können die Versagung von Vertrauensschutz ebenfalls nicht rechtfertigen. Es stellt grundsätzlich keinen Missbrauch dar, sondern gehört zu den legitimen Dispositionen im grundrechtlich geschützten Bereich der allgemeinen (wirtschaftlichen) Handlungsfreiheit, wenn Steuerpflichtige darum bemüht sind, die Vorteile des geltenden Rechts auch mit Blick auf mögliche Nachteile einer zukünftigen Gesetzeslage für sich zu nutzen. Das grundsätzlich berechtigte Interesse, einen „Ankündigungs- oder Mitnahmeeffekt“ und einen unerwünschten „Wettlauf“ zwischen Steuerpflichtigem und Gesetzgeber zu vermeiden, konnte hier die Rückwirkung für Vereinbarungen in dem Zeitraum vor der Einbringung des Gesetzentwurfs in den Bundestag nicht legitimieren, weil bis dahin größere „Ankündigungs- und Mitnahmeeffekte“ nicht zu verzeichnen waren. Selbstverständlich ist der Gesetzgeber befugt, von ihm unerwünschte steuerliche Gestaltungen typisierend als missbräuchlich zu qualifizieren und zu unterbinden. Ein derartiges Änderungsinteresse bietet aber noch keinen spezifischen Grund für die rückwirkende Änderung.
Dagegen ist in den genannten Fällen geringerer Schutzwürdigkeit der Disposition des Steuerpflichtigen die unechte Rückwirkung verfassungsrechtlich grundsätzlich nicht (a) und mithin nur ausnahmsweise (b) zu beanstanden.
a) Soweit die Neuregelung auf Fälle anwendbar ist, in denen die Vorauszahlung im Jahr 2004 vereinbart, aber gemäß dieser Vereinbarung oder aufgrund einer vertragswidrigen Verzögerung durch den Erbbauberechtigten erst ab dem Jahr 2005 geleistet worden ist, musste der Steuerpflichtige von sich aus das Risiko künftiger Rechtsänderungen berücksichtigen und konnte sich außerdem durch vertragliche Anpassungsklauseln darauf einstellen. Deshalb reichen in diesen Fällen die legitimen Änderungsinteressen des Gesetzgebers zur Rechtfertigung der Enttäuschung des im Zeitpunkt der Vereinbarung bestehenden Vertrauens in den Fortbestand des geltenden Rechts aus.
Erst recht ist die Anwendung der Neuregelung auf solche Vereinbarungen nicht zu beanstanden, die zu einem Zeitpunkt geschlossen worden sind, als sich die Rechtsänderung noch für das laufende Jahr 2004 durch die Einbringung des Änderungsentwurfs in den Bundestag bereits konkret abzeichnete. Soweit also die Neuregelung auf Fälle anwendbar ist, in denen die Vereinbarung nach der Einbringung in den Bundestag am 27. Oktober 2004 geschlossen worden ist, führt auch eine Zahlung noch vor der Verkündung der Neuregelung am 15. Dezember 2004 nicht dazu, dass das Änderungsinteresse des Gesetzgebers hinter das schutzwürdige Vertrauen der Steuerpflichtigen zurücktreten muss. Insoweit diente die Rückwirkung dem berechtigten Interesse, einen „Wettlauf“ zwischen Steuerpflichtigem und Gesetzgeber sowie „Ankündigungs- und Mitnahmeeffekte“ in einer nicht unerheblichen Größenordnung zu vermeiden. Hier bestand nämlich die naheliegende Gefahr, dass es durch die ‑ für sich genommen legitime ‑ Erlangung dieser wahrscheinlich nur noch kurze Zeit zu erzielenden Steuervorteile durch eine Minderheit professionell beratener Steuerpflichtiger zulasten des Allgemeinwohls zu Steuermindereinnahmen kommen könnte, die deutlich über das im Zeitpunkt der Einbringung der Änderung erreichte Volumen hinausgingen.
b) Nur soweit die Vorauszahlung bereits vor 2004 vereinbart, die Zahlung aber vereinbarungsgemäß erst in der Zeit zwischen dem 1. Januar und dem 15. Dezember 2004 (Tag der Verkündung der Neuregelung) ‑ also noch unter Geltung des alten Rechts ‑ geleistet worden ist, genügt das Änderungsinteresse des Gesetzgebers nicht, um dem Steuerpflichtigen nachträglich die mit der Vorauszahlung verbundenen Vorteile einer vollständigen Abzugsfähigkeit als Werbungskosten im Jahr der Zahlung wieder zu entziehen. Auch in diesem Fall war zwar die Schutzwürdigkeit des mit dem Abschluss der Vereinbarung betätigten Vertrauens wegen der das Kalenderjahr überschreitenden Vertragsgestaltung zunächst gemindert. Der steuerrechtlich relevante Sachverhalt hat jedoch durch die vereinbarungsgemäße Leistung der geschuldeten Erbbauzinsen noch unter der Geltung des alten Rechts einen gesteigerten Grad an Abgeschlossenheit erreicht. Dann bedarf es besonderer Gründe zur Veränderung des zuvor geltenden Sofortabzugs. Das generelle Interesse des Gesetzgebers, Steuermindereinnahmen zu vermeiden, reicht insoweit nicht aus. Nennenswerte „Ankündigungs- und Mitnahmeeffekte“ sind bei einer bereits vor dem Jahr 2004 geschlossenen Vereinbarung nicht ersichtlich.
Fundstelle
BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 25. März 2021 (2 BvL 1/11), veröffentlicht am 11. Mai 2021, vgl. die Pressemitteilung 35/2021.