Verfassungsmäßigkeit der rückwirkenden Änderung von § 27 Abs. 5 KStG durch das SEStEG

Das Finanzgericht Berlin-Brandenburg hat entschieden, dass die rückwirkende Anwendung von § 27 Abs. 5 KStG i.d.F. des SEStEG vom 7.12.2006 nach § 34 Abs. 1 KStG i.d.F. des SEStEG ab Beginn des Jahres 2006 verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sei.

Strittig war in dem Verfahren die Inanspruchnahme der Klägerin nach § 27 Abs. 5 Satz 4 KStG i.d.F. des SEStEG durch Haftungsbescheid aufgrund eines überhöht bescheinigten Betrags einer Einlagenrückgewähr. Nach der ab VZ 2006 geltenden Neufassung von § 27 Abs. 5 KStG durch das SEStEG wird die Verwendung von Beträgen aus dem steuerlichen Einlagekonto nur noch dann durch Bescheinigung festgeschrieben, wenn der Betrag der Einlagenrückgewähr zu niedrig bescheinigt wird. Nach § 27 Abs. 1 Satz 5 KStG in der bis VZ 2005 geltenden Fassung führte dagegen auch eine überhöhte Bescheinigung einer Einlagenrückgewähr zu einer Festschreibung der Verwendung.

Sachverhalt

Klägerin ist ein Gemeinschaftsunternehmen zweier Bundesländer in Form einer Kapitalgesellschaft, an der die beiden Länder zu jeweils 50% beteiligt sind. Mit Gesellschafterbeschluss vom 30. August 2006 erfolgte zum 20. Oktober 2006 eine Gewinnausschüttung der Klägerin in Höhe von 41.846.000 €, die jeweils hälftig auf die Gesellschafter aufgeteilt wurde.

Da sich zum 31. Dezember 2005 kein nach § 27 Abs. 1 Körperschaftsteuergesetz (KStG) ermittelter ausschüttbarer Gewinn ergab, wurde die gesamte Ausschüttung aus dem steuerlichen Einlagekonto bedient. Das steuerliche Einlagekonto minderte sich zum 31. Dezember 2006 um 41.846.000 €. Den Gesellschaftern wurden in den Steuerbescheinigungen Leistungen aus dem steuerlichen Einlagekonto von jeweils 20.923.000 € bescheinigt.

Nach einer steuerlichen Außenprüfung kam die Bp zu dem Schluss, dass aufgrund von durch die Bp festgestellten Gewinnerhöhungen zum 31. Dezember 2005 ausschüttbarer Gewinn in Höhe von 12.467.801 € zur Verfügung stand und durch die Ausschüttung das steuerliche Einlagekonto statt in Höhe von 41.846.000 € nur in Höhe von 29.378.199 € in Anspruch genommen wurde.

Aus dem ausschüttbaren Gewinn von 12.467.801 € ergab sich eine KapESt von 1.246.780,10 €, die durch den streitgegenständlichen Nachforderungsbescheid zur KapESt vom 23. Juli 2013 gegenüber der Klägerin durch das Finanzamt geltend gemacht wurde.

Eine Inanspruchnahme erfolgte nach § 27 Abs. 5 KStG i.d.F. des SEStEG vom 07. Dezember 2006 i. V. m. § 44 Abs. 5 Satz 1 Hs. 1 KStG, da die Klägerin für die auf die überhöht bescheinigten Beträge entfallende KapESt haftete und § 27 KStG i.d.F. des SEStEG nach § 34 Abs. 1 KStG bereits für den gesamten Veranlagungszeitraum 2006 galt.

Die Klägerin machte nach erfolglosem Einspruchsverfahren geltend, dass eine echte Rückwirkung vorliege, da die Gewinnausschüttung als Besteuerungstatbestand schon vor Verkündung des Gesetzes am 12. Dezember 2006 erfolgt sei und die den Besteuerungstatbestand auslösende Kapitalertragsteuer nicht erst mit Ablauf des Veranlagungsjahrs der Gesetzesverkündung entstehe.

Richterliche Entscheidung

Nach Auffassung des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg ist die Rückwirkung des § 27 Abs. 5 KStG i.d.F. des SEStEG durch die in § 34 Abs. 1 KStG i.d.F. des SEStEG normierte Geltung rückwirkend ab Beginn des Jahres 2006 verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

Zwar liege eine echte Rückwirkung vor, da die KSt im Zeitpunkt des Zuflusses, hier also am 20. Oktober 2006, entstanden ist und das SEStG vom Bundestag am 09. November 2006 beschlossen wurde.

Die Rückwirkung sei jedoch gleichwohl zulässig, weil die Klägerin ihre Haftung für die KapESt durch Änderung der ihren Gesellschaftern durch sie ausgestellten Steuerbescheinigungen hätte vermeiden können.

Zu berücksichtigen sei, dass die Neufassung des Gesetzes in § 27 Abs. 5 Satz 5 KStG ausdrücklich die Möglichkeit der Berichtigung der Steuerbescheinigungen vorsieht. Hätte die Klägerin von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht, hätte sie nicht gemäß § 27 Abs. 5 Satz 4 KStG verschuldensunabhängig in Anspruch genommen werden können (wobei in diesem Fall eine Inanspruchnahme der Gesellschafter nach gemäß § 44 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 EStG möglich gewesen wäre).

Das FG hat die Revision zugelassen, da

  1. nicht abschließend geklärt sei, ob juristische Personen des Privatrechts, die vollständig von der öffentlichen Hand gehalten werden und daher nicht grundrechtsfähig sind, sich im Abgabenrecht gleichwohl auf eine verfassungswidrige Rückwirkung einer Gesetzesänderung berufen können, und
  2. klärungsbedürftig sei, ob eine sich durch eine Gesetzesänderung ergebende steuerliche Rückwirkung, die eine Gesellschaft durch eine Anpassungsmaßnahme hätte vermeiden können, die dann jedoch wiederum steuerlich nachteilige, wenn auch vom Gesetzgeber vorgesehene Wirkungen bei den Gesellschaftern gehabt hätte, verfassungsgemäß ist.

Fundstelle

Finanzgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 18. Juni 2020 (10 K 5250/16); die Revision ist beim BFH unter dem Az. I R 44/20 anhängig.

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