Update: Teleologische Reduktion der Sperrfristregelung in § 6 Abs. 5 Satz 6 EStG

Hat eine Kapitalgesellschaft Einzelwirtschaftsgüter nach § 6 Abs. 5 Satz 3 Nr. 1 EStG zum Buchwert gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten in das Gesamthandsvermögen einer neugegründeten Kommanditgesellschaft übertragen, an der sie vermögensmäßig zu 100 % als Kommanditist beteiligt ist, so ist im Wege einer teleologischen Reduktion der Tatbestand des § 6 Abs. 5 Satz 6 EStG nicht als erfüllt anzusehen, wenn die Kapitalgesellschaft innerhalb von sieben Jahren ihre Kommanditbeteiligung (teilweise) zu einem fremdüblichen Preis an eine andere Kapitalgesellschaft veräußert. Dies hat das Finanzgericht München entschieden.

Sachverhalt

Die Klägerin ist eine GmbH. Gesellschafter der Klägerin waren zum 1. Januar 2011 die A-GmbH mit einem Anteil von 94% und B mit einem Anteil von 6%. Geschäftsführer war C. Mit Wirkung zum 1. Januar 2011 brachte die Klägerin einzelne Wirtschaftsgüter in das Gesamthandsvermögen der neu gegründete D-GmbH & Co. KG ein. Die Einbringung der Wirtschaftsgüter erfolgte gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten an die Klägerin, die als alleinige Kommanditistin zu 100% am Gesellschaftsvermögen der D-GmbH & Co.KG beteiligt war. Komplementärin war die D-Verwaltungs GmbH, die weder am Vermögen noch am Gewinn und Verlust der D-GmbH & Co.KG beteiligt war. Die Anteile an der D-Verwaltungs GmbH wurden zu 100% von der Klägerin gehalten.

Die Klägerin und die D-GmbH & Co. KG gingen im Hinblick auf die Übertragung der Wirtschaftsgüter von einer Buchwertfortführung nach § 6 Abs. 5 Satz 3 Nr. 1 Einkommensteuergesetz (EStG) aus. Die Umsetzung der Buchwertfortführung erfolgte durch Anwendung der sog. Bruttomethode. In der Gesamthandbilanz der D-GmbH & Co.KG wurde der Teilwert der übertragenen Wirtschaftsgüter ausgewiesen. Der Wertansatz wurde durch Erstellung einer negativen Ergänzungsbilanz zum 1. Januar 2011 für die Klägerin korrigiert.

Am 4. März 2011 veräußerte die Klägerin rückwirkend zum 1. Januar 2011 30% ihrer Kommanditanteile an die schweizerische E-AG. Am 1. Januar 2014 veräußerte die Klägerin einen weiteren Kommanditanteil von 30% an der D-GmbH & Co.KG an die E-AG.

Nachdem das Finanzamt zunächst der Buchwertfortführung gefolgt war, vertrat es im Anschluss an eine Außenprüfung die Auffassung, dass rückwirkend auf den Zeitpunkt der Übertragung der Wirtschaftsgüter auf die D-GmbH & Co.KG der Teilwert anzusetzen sei, soweit die Klägerin in den Jahren 2011 und 2014 Kommanditanteile an der D-GmbH & Co.KG an die E-AG veräußert habe.

Richterliche Entscheidung

Das Finanzgericht München gab der dagegen gerichteten Klage statt.

Das Finanzamt ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass im Streitfall ein rückwirkender Teilwertansatz nach § 6 Abs. 5 Satz 6 EStG vorzunehmen war.

Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 6 Abs. 5 Satz 6 EStG liegen zwar nach dem Wortlaut der Regelung vor.

Im Streitfall hat sich der Anteil einer Körperschaft an den übertragenen Wirtschaftsgütern unmittelbar i.S. des § 6 Abs. 5 Satz 6 EStG begründet und erhöht. Dies erfolgte innerhalb von sieben Jahren nach Übertragung der Wirtschaftsgüter.

Der Wortlaut des § 6 Abs. 5 Satz 6 EStG erfasst auch die im Streitfall vorliegende Begründung bzw. Erhöhung des Anteils einer Kapitalgesellschaft durch Erwerb eines Mitunternehmeranteils zu einem fremdüblichen Entgelt von einer anderen Kapitalgesellschaft.

Die Anwendung des § 6 Abs. 5 Satz 6 EStG wird auch nicht dadurch ausgeschlossen, dass die stillen Reserven an den übertragenen Wirtschaftsgütern der übertragenden Gesellschafterin (Klägerin) durch Erstellung einer Ergänzungsbilanz zugeordnet wurden. Anders als § 6 Abs. 4 Satz 4 EStG sehen die Sätze 5 und 6 diese Möglichkeit nicht vor.

Das Finanzgericht vertritt jedoch die Auffassung, dass eine allein am Wortlaut orientierte Lösung zu sinnwidrigen Ergebnissen führt und deshalb eine teleologische Reduktion der Regelung des § 6 Abs. 5 Satz 6 EStG vorzunehmen ist.

Im Streitfall lässt die Gesetzesbegründung darauf schließen, dass der Wortlaut der Regelung des § 6 Abs. 5 Satz 6 EStG von dem Sinn und Zweck des Gesetzes abweicht und der weit gefasste Wortlaut den Willen des Gesetzgebers planwidrig umsetzt.

Der Gesetzgeber wollte dieser Vorschrift somit Gestaltungen entgegenwirken, bei denen stille Reserven einzelner Wirtschaftsgüter auf Anteile an Kapitalgesellschaften verlagert und nachfolgend die Anteile an der Kapitalgesellschaft unter Nutzung der Vorteile veräußert werden, die durch die Einführung des Halbeinkünfteverfahrens - bzw. nachfolgend des Teileinkünfteverfahrens - entstanden sind.

Dabei ist die Regelung des § 6 Abs. 5 Satz 6 EStG als ergänzende Regelung der Vorschrift des § 6 Abs. 5 Satz 5 EStG zu verstehen, da sich die Rechtsfolge dieser Regelung durch Gestaltungen vermeiden ließe, in denen sich ein Körperschaftsteuersubjekt erst nach der Buchwertübertragung an dem Rechtsträger beteiligt, auf die Wirtschaftsgüter übergegangen sind. Dies verhindert § 6 Abs. 5 Satz 6 EStG, der anordnet, dass auch die spätere Beteiligung eines Körperschaftsteuersubjekts an den stillen Reserven dazu führt, dass rückwirkend der Teilwert anzusetzen ist.

Hiervon ausgehend, ist der Wortlaut des Satz 6 jedenfalls dann einzuschränken, wenn - wie im Streitfall - infolge der nachträglichen Begründung oder Erhöhung des Anteils einer Körperschaft an den vorher übertragenen Wirtschaftsgütern keine stillen Reserven auf ein Körperschaftssteuersubjekt übergehen. Der Erwerb der Kommanditanteile an der D-GmbH & Co.KG, der zur Folge hatte, dass ein Anteil der E-AG an den zuvor nach § 6 Abs. 5 Satz 3 EStG zu Buchwerten übertragenen Wirtschaftsgütern begründet bzw. erhöht wurde, erfolgte unstreitig zu einem fremdüblichen Entgelt. Da somit ein Vorgang mit Realisation der stillen Reserven vorliegt, ist insoweit eine Verlagerung von stillen Reserven auf die Kapitalgesellschaft (E-AG) ausgeschlossen.

Einer teleologischen Reduktion steht dabei nicht entgegen, dass in der Folge die Besteuerung der Aufdeckung der stillen Reserven auf der Ebene der D-GmbH & Co.KG erfolgt und nicht unmittelbar bei der übertragenden Klägerin. Es ist nicht Zweck der Regelung des § 6 Abs. 5 Sätze 5 und 6 EStG dies zu verhindern

Update (02. August 2021)

Das Verfahren I R 34/20 (siehe Update 03. November 2020) wurde an den XI. Senat des BFH abgegeben. Das neue Az. lautet XI R 43/20. Der XI. Senat wird die beiden Verfahren XI R 43/20 und XI R 20/19 am 18. August 2021 mündlich verhandeln.

Update (03. November 2020)

Das Finanzgericht Münster hat sich im Urteil 13 K 3029/18 F vom 24. Juni 2020 dem Finanzgericht München angeschlossen und ebenfalls entschieden, dass § 6 Abs. 5 Satz 6 EStG teleologisch zu reduzieren und nicht anzuwenden ist, wenn die von der Norm tatbestandlich vorausgesetzte Begründung oder Erhöhung des Anteils einer Körperschaft an dem Wirtschaftsgut, das zuvor gemäß § 6 Abs. 5 Satz 3 EStG zum Buchwert übertragen wurde, dadurch bewirkt wird, dass das WG voll entgeltlich an die Körperschaft übertragen (veräußert) wird.
Da durch die Veräußerung die in dem WG liegenden stillen Reserven aufgedeckt und nicht auf die erwerbende Körperschaft übertragen werden, wäre - so das Finanzgericht Münster - die Anwendung des § 6 Abs. 5 Satz 6 EStG sinnwidrig.

Wie das Finanzgericht München hat auch das Finanzgericht Münster die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen. Die Revision ist beim BFH unter dem Az. I R 34/20 anhängig.

Fundstelle

Finanzgericht München, Urteil vom 10. Juli 2019 (7 K 1253/17), die Revision ist beim BFH unter dem Az. XI R 20/19 anhängig.

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