EuGH: Vereinbarkeit der Freibetragsregelung bei beschränkter Erbschaftsteuerpflicht mit Unionsrecht

Aufgrund zweier Vorlagefragen des Finanzgerichts Düsseldorf hält der Generalanwalt in seinen Schlussanträgen die deutsche Freibetragsregelung bei beschränkter Erbschaftsteuerpflicht als mit dem Unionsrecht vereinbar. Hinsichtlich der Weigerung des Finanzamts, den Abzug der Zahlungen als Nachlassverbindlichkeit zuzulassen, liege jedoch ein nicht zu rechtfertigender Verstoß gegen die Kapitalverkehrsfreiheit vor.

Ausgangslage

Das Finanzgericht Düsseldorf hatte erneut dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) Rechtsfragen zu erbschaftsteuerlichen Sonderregeln für Fälle der beschränkten Steuerpflicht vorgelegt. Der deutsche Gesetzgeber hatte als Reaktion auf das Urteil des EuGH vom 8. Juni 2016 in der Rechtssache C-479/14, Hünnebeck in § 16 Absatz 2 Erbschaftsteuergesetz (ErbStG) eine Neuregelung eingeführt. Danach ist für Erwerbe, für welche die Steuer nach dem 24. Juni 2017 entsteht (§ 37 Abs. 14 ErbStG), der Freibetrag des § 16 Absatz 1 ErbStG um einen nach Maßgabe des § 16 Absatz 2 Satz 2 und 3 ErbStG zu berechnenden Teilbetrag zu mindern. - Im Streitfall liegt ein Fall der beschränkten Steuerpflicht vor, weil weder der Erblasser noch die Klägerin im Zeitpunkt des Todes des Erblassers in Deutschland einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hatten; beide waren österreichische Staatsangehörige mit dortigem Wohnsitz. Mehr dazu in unserem Blogbeitrag Steuern & Recht vom 14. April 2021.

Vorlagefragen: Die Vorabentscheidungsfragen schließen an frühere Entscheidungen des EuGH zur Erbschaftsteuer an, die den freien Kapitalverkehr betreffen. Der EuGH soll prüfen, ob im Lichte der von ihm bereits entwickelten Grundsätze die deutsche Regelung, welche teilweise in § 16 (1) ErbStG geändert wurde, diesen Grundsätzen Rechnung trägt. Das vorlegende Finanzgericht möchte wissen, ob und gegebenenfalls inwieweit nach Maßgabe des Umfangs der Steuerhoheit des betreffenden Mitgliedstaats eine unterschiedliche Behandlung von persönlichen Freibeträgen (erste Vorlagefrage) oder dem Abzug von Nachlassverbindlichkeiten (zweite Vorlagefrage) möglich ist - je nachdem, ob der Steuerpflicht das gesamte Vermögen des Erblassers zugrunde liegt oder ob sie auf das Inlandsvermögen in diesem Mitgliedstaat beschränkt ist.

Schlussanträge (Empfehlungen) des Generalanwalts

Hinsichtlich der ersten Vorlagefrage (Freibeträge) sieht der Generalanwalt (GA) keinen Verstoß gegen Art. 63 Abs. 1 und Art. 65 AEUV. Die EU-Vorschriften seien dahin auszulegen, dass sie einer Regelung eines Mitgliedstaats über die Erbschaftsteuer nicht entgegenstehen, die im Fall der auf das inländische Grundvermögen begrenzten beschränkten Steuerpflicht, wenn weder der Erblasser noch der Erbe zum Zeitpunkt des Erbfalls im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats seinen Wohnsitz hatte, einen proportionalen Freibetrag vorsieht (...) während dieser Freibetrag im Fall der unbeschränkten Steuerpflicht(...) nicht begrenzt ist.

Nach Meinung des GA weist die deutsche Regierung nach, dass die unterschiedliche Behandlung erforderlich ist, um die Besteuerungsbefugnis Deutschlands zu gewährleisten und im Hinblick auf das verfolgte Ziel verhältnismäßig ist, da die unterschiedliche Steuerbemessungsgrundlage berücksichtigt wird. Dabei sei nämlich zu berücksichtigen, dass die Gewährung der persönlichen Freibeträge dem prozentualen Anteil des der deutschen Erbschaftsteuer unterliegenden Vermögens folgt und damit die Besteuerungshoheit Deutschlands in Bezug auf Gebietsfremde im Vergleich zu Gebietsansässigen widerspiegelt. Hieraus folge weiterhin, dass die Beschränkung des Kapitalverkehrs, die sich aus einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden ergibt, durch das Territorialitätsprinzip gerechtfertigt ist.

Zweite Vorlagefrage (Abzug von Nachlassverbindlichkeiten): Nach den Empfehlungen des GA liegt hier ein Verstoß gegen geltendes Unionsrecht vor. Art. 63 Abs. 1 und Art. 65 AEUV seien dahin auszulegen, dass sie einer Regelung eines Mitgliedstaats über die Berechnung der Erbschaftsteuer entgegenstehen, die im Fall der auf das inländische Grundvermögen begrenzten beschränkten Steuerpflicht (...) vorsieht, dass die Verbindlichkeiten aus Pflichtteilen nicht, auch nicht anteilig, vom Wert des Erwerbs von Todes wegen abziehbar sind, während diese Verbindlichkeiten im Fall der unbeschränkten Steuerpflicht (...) vollständig abziehbar wären.

Der Umstand, so der GA, dass für Gebietsfremde im Inland der Abzug der Verbindlichkeiten aus Pflichtteilen vom Wert des Nachlasses im Fall der beschränkten Steuerpflicht systematisch ausgeschlossen ist, stelle eine Beschränkung des freien Kapitalverkehrs im Sinne von Art. 63 AEUV dar. Diese sei auch nicht durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt. Der systematische Ausschluss erfolge ohne - auch nicht anteilige - Berücksichtigung der Steuerbemessungsgrundlage, obwohl diese nach § 10 Abs. 1 ErbStG für die Feststellung der Bereicherung des Erben festgelegt wird. Der EuGH habe im Rahmen seiner Rechtsprechung zum freien Kapitalverkehr und zu den Erbschaftsteuern bereits früher festgestellt, dass ein Bürger das Recht, sich auf die Bestimmungen des Vertrags zu berufen, nicht dadurch verliert, dass er steuerliche Vorteile nutzt, die ihm nach den in einem anderen Mitgliedstaat als seinem Wohnstaat geltenden Vorschriften offenstehen. Des weiteren bestehe mit Österreich kein Doppelbesteuerungsabkommen auf dem Gebiet der Erbschaftsteuern.

Fundstelle

EuGH, Schlussanträge vom 16. September 2021 in der Rechtssache C‑394/20, Finanzamt V

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