Update: Verfassungsrechtliche Zweifel an der Höhe der Säumniszuschläge
An der Höhe der ab 2019 entstandenen Säumniszuschläge bestehen verfassungsrechtliche Zweifel. Das hat das Finanzgericht Münster in einem aktuellen Beschluss entschieden.
Sachverhalt
Die Antragstellerin entrichtete fällige Grunderwerbsteuer verspätet im November 2019, wodurch Säumniszuschläge für drei Monate entstanden, die die Antragstellerin zahlte.
Auf Antrag erließ das Finanzamt hierüber einen Abrechnungsbescheid. Hiergegen legte die Antragstellerin Einspruch ein und beantrage die Aufhebung der Vollziehung.
Nach Ablehnung dieses Antrags durch das Finanzamt wandte sich die Antragstellerin an das Gericht und machte geltend, die Höhe der Säumniszuschläge sei im Hinblick auf die zur Zinshöhe ergangene Entscheidung des BVerfG vom 8. Juli 2021 (Az. 1 BvR 2237/14 und 1 BvR 2422/17, vgl. unseren Blogbeitrag) ebenfalls verfassungswidrig. Hierzu berief sie sich auf einen nicht veröffentlichten Beschluss des BFH vom 31. August 2021 (Az. VII B 69/21). Abweichend von diesem Beschluss sei die Vollziehung der Säumniszuschläge im Streitfall nicht hälftig, sondern vollständig aufzuheben.
Das Finanzamt wandte ein, dass keine verfassungsrechtlichen Zweifel an der Höhe der Säumniszuschläge bestünden. Sie wirkten als Druckmittel, dienten der Abgeltung von Verwaltungsaufwand und seien eine Gegenleistung für das Hinausschieben der Zahlung. Ein fester Zinsanteil lasse sich nicht ermitteln. Die Entscheidung des BVerfG sei daher nicht auf Säumniszuschläge übertragbar.
Richterliche Entscheidung
Dem ist das Finanzgericht Münster nicht gefolgt und hat die Vollziehung des Abrechnungsbescheids über die Säumniszuschläge in vollem Umfang aufgehoben.
Die Verfassungsmäßigkeit der gesetzlich festgelegten Höhe der Säumniszuschläge von 1% pro Monat erscheine zweifelhaft. Nach dem von der Antragstellerin angeführten Beschluss des BVerfG vom 8. Juli 2021 seien Nachzahlungszinsen nach § 233a Abgabenordnung (AO) verfassungswidrig, soweit sie auf Verzinsungszeiträume ab 2014 entfallen. Allerdings gelte die verfassungswidrige Regelung bis zum 31. Dezember 2018 fort. Andere Verzinsungstatbestände bedürften nach Auffassung des BVerfG einer eigenständigen verfassungsrechtlichen Wertung, wobei zu berücksichtigen sei, dass Steuerpflichtige im Bereich der Teilverzinsungstatbestände grundsätzlich die Wahl hätten, ob sie den steuerlichen Zinssatz von 0,5% pro Monat hinnehmen oder sich die zur Tilgung der Steuerschuld erforderlichen Geldmittel anderweitig zu günstigeren Konditionen beschaffen.
In seinem von der Antragstellerin in das Verfahren eingebrachten Beschluss vom 31. August 2021 (Az. VII B 69/21) führe der BFH aus, dass die verfassungsrechtlichen Zweifel auf Säumniszuschläge übertragbar seien, soweit ihnen nicht die Funktion eines Druckmittels, sondern eine zinsähnliche Funktion zukomme. Da sich das Aussetzungsbegehren im dortigen Verfahren nur auf die hälftigen Säumniszuschläge beschränkt habe, habe der BFH keine Entscheidung über darüber hinaus gehende Beträge treffen müssen.
Nach Auffassung des Finanzgerichts Münster könne die gesetzlich festgelegte Höhe der Säumniszuschläge nur insgesamt verfassungsgemäß oder verfassungswidrig sein, weil es keine Teilverfassungswidrigkeit in Bezug auf einen bestimmten Zweck einer Norm geben könne. Daher sei die Vollziehung der Säumniszuschläge in vollem Umfang aufzuheben.
Das Finanzamt hat die vom Finanzgericht zugelassene Beschwerde eingelegt. Das Finanzgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und sie dem Bundesfinanzhof zur Entscheidung vorgelegt. Ein dortiges Aktenzeichen ist noch nicht bekannt.
Update (18. Oktober 2022)
Der BFH hat der Beschwerde des FA gegen den Beschluss 12 V 2684/21 AO des FG Münster durch Beschluss vom 20. September 2022, II B 3/22 (AdV), stattgegeben und den AdV-Antrag der Stpfl. abgelehnt.
Der BFH hat daran erinnert, dass nach seiner ständigen Rechtsprechung in Fällen, in denen die ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts (im Sinne des § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO) auf der vermeintlichen Verfassungswidrigkeit einer im Steuerbescheid angewendeten Vorschrift beruhen, ein besonderes Interesse des Stpfl. an der Aussetzung dargelegt werden muss, welches das öffentliche Interesse am Vollzug des Gesetzes überwiegt (BFH-Beschluss II B 46/12 vom 21. November 2013, Rn. 12 ff.).
Diesbezüglich hat der BFH in seinem Beschluss I B 168/09 vom 01. April 2010 Fallgruppen aufgeführt, in denen das besondere Interesse anzuerkennen ist. Das Finanzgericht Münster hatte in der erstinstanzlichen Entscheidung jedoch nicht begründet, warum im vorliegenden Fall ein besonderes Aussetzungsinteresse der Stpfl. gemäß einer dieser Fallgruppen gegeben sein soll.
Soweit das Finanzgericht Münster in anderen Verfahren, in denen es AdV-Anträgen gegen die Festsetzung von Säumniszuschlägen (teilweise) stattgegeben hat, das Aussetzungsinteresse mit dem Beschluss des BVerfG vom 08. Juli 2021 zur Verfassungswidrigkeit des gesetzlichen Zinssatzes für Nachzahlungs- und Erstattungszinsen nach § 233a AO (1 BvR 2237/14, 1 BvR 2422/17, siehe unseren Blogbeitrag) begründet hat, hält der BFH dies nicht für zulässig. Ein Gleichlauf der verfassungsrechtlichen Beurteilung von Zinsen und Säumniszuschlägen verbiete sich. Und da jedenfalls kein besonderes Aussetzungsinteresse der Antragstellerin vorliege, sei es nicht erforderlich zu entscheiden, ob Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Säumniszuschläge bestünden.
Update (21. Juni 2022)
Die Beschwerde ist beim BFH unter dem Az. II B 3/22 anhängig.
Fundstelle
Finanzgericht Münster, Beschluss vom 16. Dezember 2021 (12 V 2684/21 AO), die Beschwerde ist beim BFH unter dem Az. II B 3/22 anhängig; siehe auch den Newsletter Januar 2022 des Finanzgerichts.