Update: Abzinsungssatz von 5,5 % für unverzinsliche Darlehensverbindlichkeiten ist verfassungsgemäß

Das Finanzgericht Münster hat in einem aktuellen Urteil entschieden, dass gegen den Abzinsungssatz von 5,5 % für unverzinsliche Darlehensverbindlichkeiten keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen.

Sachverhalt

Der Kläger betreibt einen Autohandel. In seiner auf den Schluss des Streitjahres 2016 erstellten Bilanz wies er zwei Darlehensverbindlichkeiten, die bereits seit ca. 20 Jahren bestanden, zum Nennwert aus.

Im Rahmen einer Betriebsprüfung gelangte das Finanzamt zu der Erkenntnis, dass es sich hierbei um unverzinsliche Darlehen mit unbestimmter Laufzeit handele, die nach § 6 Abs. 1 Nr. 3 Einkommensteuergesetz (EStG) mit einem Rechnungszinsfuß von 5,5 % abzuzinsen und entsprechend niedriger zu bewerten seien. Den Differenzbetrag erfasste es gewinnerhöhend.

Hiergegen wandte der Kläger ein, dass der Zinssatz von 5,5 % wegen der seit mehreren Jahren andauernden Nullzinsphase verfassungswidrig sei.

Richterliche Entscheidung

Das Finanzgericht Münster hat die hiergegen erhobene Klage abgewiesen.

Die verfassungsrechtlichen Bedenken des Klägers im Hinblick auf den Zinssatz hat das Gericht nicht geteilt. Das Gebot der Abzinsung von Verbindlichkeiten beruhe auf der sachgerechten typisierenden Vorstellung, dass eine erst in der Zukunft zu erfüllende Verpflichtung den Schuldner weniger belaste als eine sofortige Leistungspflicht. Dieser Minderaufwand werde kapitalisiert und als Ertrag vorweggenommen, während gegenläufig aufgrund der sich stetig verkürzenden Restlaufzeit ein Aufzinsungsaufwand entstehe, bis der Rückzahlungszeitpunkt erreicht sei. Die Abzinsung bewirke daher im Ergebnis lediglich eine temporäre Gewinnverschiebung. Eine solche temporäre Gewinnverschiebung sei verfassungsrechtlich am Maßstab der Willkürkontrolle zu beurteilen.

Für das Streitjahr 2016 sei der Rechnungszinssatz von 5,5 % nicht verfassungsrechtlich willkürlich gewählt worden. In diesem Jahr habe der Fremdkapitalmarktzinssatz in unterschiedlichen Konstellationen noch 2,45 % bis 3,71 % betragen. Darüber hinaus seien im Einzelfall vorliegende weitere Faktoren wie Bonität des Schuldners und fehlende Besicherung des Darlehens einzubeziehen.

Die bestehenden verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Zinssatzhöhe nach § 238 AO seien nicht auf den Abzinsungssatz nach § 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG übertragbar, weil dieser nicht den Nutzungsvorteil für die Überlassung von Kapital abschöpfen solle, sondern eine interne Rechengröße für die Bewertung einer unverzinslichen Verbindlichkeit darstelle. Schließlich ließe sich die Abzinsung durch entsprechende Gestaltungen vermeiden, etwa durch „Kettendarlehen“, die für weniger als zwölf Monate gewährt und immer wieder verlängert werden oder durch Vereinbarung eines Zinssatzes knapp über 0 %.

Das Finanzgericht hat die Revision zum Bundesfinanzhof zugelassen.

Update (27. April 2022)

Beim BFH ist unter dem Az. IV R 4/22 ein Verfahren zu der Frage anhängig, ob Verbindlichkeiten und Rückstellungen gemäß § 6 Abs. 1 Nrn. 3 und 3a EStG ab dem Jahr 2019 aufgrund der Entscheidung des BVerfG vom 08. Juli 2021, 1 BvR 2237/14 und 1 BvR 2422/17, vgl. unseren Blogbeitrag, mit einem an das aktuelle Zinsniveau angepassten Zinssatz abzuzinsen sind.

Das Verfahren betrifft das Streitjahr 2013. Die Vorinstanz (FG Münster, Urteil vom 18. Januar 2022, 2 K 700/18 G,F) hat entschieden, dass die Abzinsung im Streitjahr 2013 nicht verfassungswidrig ist und sich dabei auch auf die Entscheidung des BVerfG vom 08. Juli 2021 berufen, mit der die Verfassungskonformität des Zinssatzes in § 238 i.V.m. § 233a AO für Verzinsungszeiträume bis einschließlich 2013 bestätigt wurde.

Update (16. Februar 2022)

Das Urteil 10 K 1707/20 E, G des Finanzgerichts Münster ist laut LEXinform rechtskräftig.

Fundstelle

Finanzgericht Münster, Urteil vom 22. Juli 2021 (10 K 1707/20 E,G), die Revision wurde zugelassen, über die Einlegung ist noch nichts bekannt; siehe auch den Newsletter Oktober 2021 des Finanzgerichts.

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