Update: EuGH: Portugiesische Dividendenbesteuerung gebietsfremder Anlageinstrumente unionsrechtswidrig

Gebietet die Kapitalverkehrsfreiheit einem Mitgliedstaat, gebietsfremde und gebietsansässige Anlageinstrumente nach dem gleichen Steuersystem zu besteuern? Dieser Frage musste der Europäische Gerichtshof (EuGH) in einem portugiesischen Fall nachgehen. Betroffen war ein Organismus für gemeinsame Anlagen (OGAW) mit Sitz in Deutschland. Im Gegensatz zu der Empfehlung der Generalanwältin in ihren Schlussanträgen sieht der EuGH in der divergierenden portugiesischen Besteuerung der OGAWs eine unzulässige Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit.

Hintergrund

Die vorliegende Rechtssache betrifft die einschlägigen portugiesische Regelungen, die bei gebietsfremden Anlageinstrumenten die traditionelle Besteuerung von Kapitalerträgen durch die Körperschaftsteuer mittels einer Quellensteuer vorsehen, wenn diese Einrichtungen in ihrem Wohnsitzstaat nicht der Körperschaftsteuer unterliegen.

Der Kläger ist ein Organismus für gemeinsame Anlagen (OGAW) mit Sitz in Deutschland und bezieht Kapitaleinkünfte in Form von Dividendenausschüttungen von in Portugal ansässigen Unternehmen. Er wendet sich gegen den Einbehalt von Quellensteuer der portugiesischen Finanzbehörde auf Dividendenausschüttungen von in Portugal ansässigen Unternehmen. Dividendenausschüttungen an einen nach portugiesischem Recht gegründeten OGAW behandelt Portugal grundsätzlich als körperschaftsteuerfrei. Die Befreiung von der Körperschaftsteuer für Kapitaleinkünfte des OGAW greift für den Kläger allerdings nicht, u.a. da er nicht nach portugiesischem Recht gegründet wurde. Die im portugiesischen Recht vorgesehene Körperschaftsteuerbefreiung für Dividendenzahlungen an Körperschaften im Ausland scheitert an der steuerrechtlichen Behandlung eines OGAW in Deutschland, wonach dieser – nach Angaben des vorlegenden portugiesischen Gerichts - in Deutschland auch von der Körperschaftsteuer befreit ist. Da ein OGAW in Deutschland keine Körperschaftsteuer schuldet, kann folglich auf seiner Ebene die portugiesische Körperschaftsteuer auch nicht angerechnet werden (sondern jeweils nur auf die entsprechende Steuer der Anleger). Dies alles wirft u.a. die Frage auf, ob die Kapitalverkehrsfreiheit hier Abhilfe schaffen kann oder ob mangels Vergleichbarkeit der Situationen je nach Ansässigkeit und nach Mitgliedstaat auch unterschiedliche Besteuerungssysteme möglich sind und damit eine gewisse Belastungsungleichheit unionsrechtlich toleriert werden muss.

Die Generalanwältin war in ihren damaligen Schlussanträgen der Auffassung, dass die Bestimmungen über die Kapitalverkehrsfreiheit der angefochtenen portugiesischen Regelung nicht entgegenstehen. Nach Ihrem Dafürhalten überwiegen die Rechtfertigungsgründe für die vorliegende Ungleichbehandlung inländischer und ausländischer OGAWs (u. a. Wahrung der ausgewogenen Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse und der Wahrung der Kohärenz des portugiesischen Steuersystems) das Interesse des Klägers, wie ein gebietsansässiger OGAW von der Körperschaftsteuer befreit zu werden.

Entscheidung des EuGH

Der EuGH ist in seinem heutigen Urteil der Sichtweise der Generalanwältin nicht gefolgt und sieht in der unterschiedlichen Besteuerung der portugiesischen und der deutschen OGAW eine unzulässige Beschränkung des freien Kapitalverkehrs. Die vorliegende Beschränkung des freien Kapitalverkehrs kann nur dann gerechtfertigt werden, wenn die sich aus ihr ergebende Ungleichbehandlung entweder Situationen betrifft, die nicht objektiv miteinander vergleichbar sind, oder wenn sie durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist (entweder um die Kohärenz des nationalen Steuersystems zu wahren oder eine ausgewogene Verteilung der Steuerhoheit zwischen den betreffenden Mitgliedstaaten zu gewährleisten). Im Gegensatz zur Generalanwältin verneinen die Europarichter beide Rechtfertigungsalternativen.

Objektiv vergleichbare Situationen

Anhand des Unterscheidungskriteriums der portugiesischen Regelung, mit dem allein auf den Ort abgestellt wird, an dem die OGAW ansässig sind, lasse sich zwischen der Situation der gebietsansässigen und der Situation der gebietsfremden OGAW objektiv kein Unterschied feststellen. Die unterschiedliche Behandlung der gebietsansässigen und der gebietsfremden OGAW betreffe mithin Situationen, die objektiv vergleichbar sind.

Zur Wahrung der Kohärenz und der ausgewogenen Verteilung der Steuerhoheit

Nach Dafürhalten des EuGH könne die Wahrung der Kohärenz nur dann als Rechtfertigungsgrund herangezogen werden, wenn ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen dem betreffenden steuerlichen Vorteil und dem Ausgleich dieses Vorteils durch eine bestimmte steuerliche Belastung nachgewiesen wird. Ein solcher liege aber hier nicht vor, weil die Befreiung der Dividenden, die an gebietsansässige OGAW gezahlt werden (hier: die Befreiung vom Steuerabzug an der Quelle) im vorliegenden Fall nicht an die Bedingung geknüpft ist, dass die OGAW die Dividenden, die sie erhalten, weiterleiten und dass die Besteuerung der Dividenden auf der Ebene der Anteilinhaber es ermöglicht, die Befreiung vom Steuerabzug an der Quelle auszugleichen.

Auch das Argument der Wahrung der ausgewogenen Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten greife nicht durch, so der EuGH. Eine solche könne nur dann als Rechtfertigungsgrund anerkannt werden, wenn die betreffende Regelung bezweckt, das Recht eines Mitgliedstaats auf seine Besteuerungsbefugnis in Bezug auf Tätigkeiten in seinem Hoheitsgebiet zu beeinträchtigen. Wenn sich ein Mitgliedstaat aber - wie im vorliegenden Fall - dafür entscheide, die gebietsansässigen OGAW, die Dividenden inländischer Herkunft beziehen, nicht zu besteuern, könne nicht auf die Notwendigkeit einer ausgewogenen Aufteilung der Steuerhoheit zwischen den Mitgliedstaaten verwiesen werden, um die Besteuerung der gebietsfremden OGAW, die derartige Einkünfte haben, zu rechtfertigen (so bereits der EuGH in seinem Urteil vom 21. Juni 2018 in der Rechtssache C‑480/16, Fidelity Funds u. a.).

Update (01. April 2022)

Siehe auch Newsalert unserer Experten von der EU Direct Tax Group (EUDTG) vom 31. März 2022: PwC EUDTG Newsalert - 31 March 2022 (CJEU Judgment on Portugals WHT on dividends paid to non-resident Collective Investment

Fundstelle

EuGH, Urteil vom 17. März 2022 (C‑545/19), AllianzGI-Fonds AEVN

Eine englische Zusammenfassung dieses Urteils finden Sie hier (Portuguese dividend withholding tax for foreign UCITS in breach of EU law)

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