Krieg in der Ukraine – Veränderte Lieferbeziehungen aus rechtlicher Sicht: Drei Fragen an Tobias von Tucher, Partner, Tax & Legal
Der Krieg in der Ukraine hat weitreichende Auswirkungen, auch auf die Lieferbeziehungen. Es stellen sich zahlreiche Fragen zu den vertragsrechtlichen Konsequenzen. Worauf Unternehmen jetzt achten müssen, erläutert PwC-Experte Tobias von Tucher in „Drei Fragen an…“.
Tobias von Tucher, Partner, Tax & Legal |
"Wir erleben es in letzter Zeit, dass Unternehmen auch außerhalb von Russland und der Ukraine aufgrund des Konflikts mit massiven Störungen in der Lieferkette zu kämpfen haben." |
Sind Warenlieferungen nach Russland und in die Kriegsgebiete noch zulässig und unter welchen Voraussetzungen können Unternehmen sich von Verträgen mit russischen Unternehmen lösen?
Tobias von Tucher: Die EU hat die Sanktionen betreffend Russland verschärft und erweitert. Es handelt sich hierbei um personen- und gebietsbezogene Sanktionen. Des Weiteren greifen Exportverbote in Bezug auf Dual-Use-Güter, für verschiedene Hightech-Güter und für bestimmte Maschinen in Sektoren wie Luft- und Raumfahrt, Schifffahrt und Öl-Industrie. Wichtig zu wissen: Der Handel mit Russland als solches ist im Übrigen noch nicht von Sanktionen beeinträchtigt. Wie aber die USA in Bezug auf ihr Öl-Embargo zeigen, sind weitere Beschränkungen und vor allem auch Importverbote nicht auszuschließen. Insoweit sollten Unternehmen, die weiterhin nach Russland liefern wollen, genau prüfen, ob mit dem jeweiligen Unternehmen noch Geschäfte abgewickelt werden dürfen und ob die betroffenen Waren und Dienstleistungen nicht Gegenstand von Export- oder Importverboten sind.
Bezogen auf die Frage, wie sich Unternehmen von Verträgen lösen können, möchte ich mit Verträgen deutscher Lieferanten mit Kunden in Russland anfangen. Einfach ist die rechtliche Bewertung, wenn ein Vertrag, dessen Gegenstand oder Vertragspartner von den Sanktionen umfasst ist, nach Erlass der Sanktionsmaßnahmen abgeschlossen wurde. Ein solcher Vertrag ist nach § 134 BGB nichtig. Vertragliche Verpflichtungen bestehen insoweit nicht mehr. Bei Rahmenverträgen sollte allerdings geprüft werden, ob eine Teilnichtigkeit eintritt, weil beispielsweise nur einige Güter und Dienstleistungen sanktioniert werden. Was mache ich aber mit Verträgen, die vor Erlass der Sanktionsmaßnahmen abgeschlossen worden sind? Generell kann man hier sagen, dass der Verkäufer von seiner Lieferpflicht befreit wird, wenn die Lieferung aufgrund der Sanktionen nicht mehr zulässig ist. Das gleiche gilt, wenn die die Beschaffung, Herstellung oder Lieferung der Ware durch den Krieg unmöglich geworden ist. Im Gegenzug besteht für den Käufer ein gesetzliches Rücktrittsrecht. Es liegt aus rechtlicher Sicht eine so genannte Unmöglichkeit nach § 275 BGB vor.
Ist die Lieferung an einen Kunden in Russland nicht von den Sanktionen umfasst und die Vertragsabwicklung möglich, besteht grundsätzlich weiterhin die Pflicht zur Vertragserfüllung durch deutsche Lieferanten. Vor diesem Hintergrund beschäftigen sich gerade viele Unternehmen mit der Frage, ob der Ukraine-Krieg sie berechtigt, sich auf Force Majeure zu berufen. Die Antwort hängt hier von der konkreten Formulierung der Klausel sowie der Situation der beteiligten Unternehmen ab. Force-Majeure-Klauseln können unterschiedlich ausgestaltet sein. Im Kern enthalten sie meist eine genaue Definition des Begriffs „Force Majeure“ und eine Rechtsfolge. Bei Lieferungen nach Russland dürfte in der Regel allerdings kein Fall höherer Gewalt vorliegen, wenn Waren weiterhin geliefert und Dienstleistungen weiterhin erbracht werden können und dürfen, wenn also weder faktische Hindernisse noch EU-Sanktionen bestehen. Etwas anderes würde nur gelten, wenn die Lieferung nach Russland z. B. wegen Unterbrechung der Transportwege tatsächlich unmöglich geworden ist. Trifft dies zu, muss die Ware in der Folge nicht geliefert werden. Im Gegenzug ist die Zahlung nicht erforderlich.
Wie können Zahlungsansprüche bei Lieferungen nach Russland abgesichert werden?
Tobias von Tucher: Besonders bei russischen Kunden stellt sich die Frage, ob diese angesichts der internationalen Sanktionen faktisch noch zahlungsfähig sind. Betroffene Unternehmen sollten zunächst mit dem Vertragspartner abklären, ob ihm überhaupt noch Wege zur Übermittlung von Zahlungen offenstehen. Selbst wenn derzeit noch Zahlungen fließen können, sollten zusätzliche Sicherheiten verlangt werden, wenn begründete Zweifel an der Bezahlung bestehen. Die rechtliche Grundlage hierfür bietet § 321 BGB mit der Unsicherheitseinrede. In diesem Fall kann die Lieferung oder Leistung nach Russland zunächst verweigert werden, bis eine Sicherheit z. B. durch Garantien Europäischer Banken geleistet ist oder der Vertrag auf Vorkasse umgestellt wurde. Zusätzlich sollte die Unsicherheitseinrede dazu genutzt werden, auch die Lieferbedingungen zu ändern, so dass der Käufer das Transportrisiko trägt.
Häufig sind Lieferbeziehungen auch außerhalb Russlands und der Ukraine durch den Krieg unmittelbar betroffen. Welche rechtlichen Möglichkeiten bestehen für betroffene Unternehmen?
Tobias von Tucher: Wir erleben es in letzter Zeit, dass Unternehmen auch außerhalb von Russland und der Ukraine aufgrund des Konflikts mit massiven Störungen in der Lieferkette oder nie dagewesenen Preissteigerungen bei Vorlieferanten zu kämpfen haben. Das Problem: Es handelt sich hierbei nicht um einen Fall der „Force Majeure“. Zu prüfen wäre im Einzelfall aber, ob eine Störung der Geschäftsgrundlage nach § 313 BGB vorliegen kann. Voraussetzung hierfür wäre eine schwerwiegende Änderung der Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, sodass ein Festhalten am Vertrag für eine oder beide Parteien nicht mehr zumutbar ist. Die Rechtsprechung ist bei der Anwendung des § 313 Abs. 1 BGB aufgrund von Preissteigerungen bei Vorlieferanten jedoch sehr zurückhaltend. Selbst wenn eine Störung der Geschäftsgrundlage vorliegt, sieht das Gesetz als ersten Schritt eine Vertragsanpassung vor. Erst wenn diese nicht möglich oder unzumutbar ist, kann die benachteiligte Partei vom Vertrag zurücktreten oder Dauerschuldverhältnisse wie Rahmenverträge kündigen.
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