Ernstliche Zweifel an der Höhe der Säumniszuschläge

Bei summarischer Prüfung bestehen ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit von Säumniszuschlägen, soweit diese nach dem 31. Dezember 2018 entstanden sind (Anschluss an BFH-Beschluss vom 31.08.2021 - VII B 69/21 (AdV), nicht veröffentlicht). Das hat der Bundesfinanzhof (BFH) im Rahmen eines AdV-Verfahrens entschieden.

Sachverhalt

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit der in den Abrechnungsbescheiden zur Umsatzsteuer Mai 2013 sowie 2014 bis 2017 vom 27. April 2021 ausgewiesenen entstandenen und nicht erlassenen Säumniszuschläge.

Nachdem das Finanzamt im Jahr 2019 einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Antragstellerin gestellt hatte, beantragte diese die Erteilung von Abrechnungsbescheiden für alle ab dem 01. Januar 2010 angefallenen Säumniszuschläge. Die Säumniszuschläge seien im Hinblick auf den darin enthaltenen Zinsanteil verfassungswidrig zu hoch. Die Säumniszuschläge seien auch insoweit zu erlassen, als sie Druckcharakter hätten.

Gegen die am 27. April 2021 erlassenen Abrechnungsbescheide zur Umsatzsteuer Mai 2013 sowie 2014 bis 2017, in denen das Finanzamt die entstandenen und die noch zu verwirklichenden Säumniszuschläge auswies, legte die Antragstellerin Einspruch ein, der im Hinblick auf das beim BFH anhängige Revisionsverfahren VII R 55/20 ruht. Das Finanzamt lehnte die im Hinblick auf die Säumniszuschläge begehrte Aussetzung und Aufhebung der Vollziehung (AdV) am 14. Juni 2021 ab. Hierauf beantragte die Antragstellerin beim Finanzgericht die AdV der angefochtenen Abrechnungsbescheide.

Die Antragstellerin begründete ihre ernstlichen Zweifel mit dem in den Säumniszuschlägen enthaltenen Zinsanteil und verwies auf die BFH-Beschlüsse vom 26. Mai 2021, VII B 13/21 (AdV) und vom 10. Juni 2021, VII B 54/21 (AdV) (nicht veröffentlicht).

Das Finanzgericht Münster gab dem AdV-Antrag hinsichtlich der hälftigen nach dem 31. Dezember 2018 entstandenen Säumniszuschläge statt; im Übrigen wies das Finanzgericht den Antrag mangels ernstlicher Zweifel als unbegründet zurück

Die vom Finanzgericht Münster zugelassene Beschwerde haben sowohl die Antragstellerin als auch das Finanzamt eingelegt.

Entscheidung des BFH

Die Beschwerden sind zulässig, aber nur die der Antragstellerin (teilweise) begründet.

Die Beschwerde der Antragstellerin ist nur insoweit begründet, als AdV hinsichtlich der nach dem 31. Dezember 2018 entstandenen Säumniszuschläge, soweit sie nicht erlassen sind, in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang zu gewähren ist. Der Beschluss des Finanzgerichts, das die AdV auf die hälftigen nach dem 31. Dezember 2018 entstandenen Säumniszuschläge beschränkt hat, ist entsprechend zu ändern. Im Übrigen ist die Beschwerde der Antragstellerin auf AdV der gesamten entstandenen und nicht erlassenen Säumniszuschläge und die des Finanzamts auf Ablehnung der vom Finanzgericht gewährten AdV unbegründet und insoweit zurückzuweisen.

Nach § 128 Abs. 3 i.V.m. § 69 Abs. 3 Satz 1, Abs. 2 Satz 2 Finanzgerichtsordnung (FGO) ist die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsakts ganz oder teilweise auszusetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige Härte zur Folge hätte.

Ernstliche Zweifel i. S. von § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO liegen bereits dann vor, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Bescheides neben für seine Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung entscheidungserheblicher Tatfragen bewirken (ständige Rechtsprechung, vgl. zuletzt BFH, Beschluss vom 30. März 2021, V B 63/20 (AdV) und BFH, Beschluss vom 08. April 2009, I B 223/08). Die Entscheidung hierüber ergeht bei der im AdV-Verfahren gebotenen summarischen Prüfung aufgrund des Sachverhalts, der sich aus dem Vortrag der Beteiligten und der Aktenlage ergibt (vgl. BFH, Beschluss vom 07. September 2011, I B 157/10, Rz. 12, m.w.N.).

Zur Gewährung der AdV ist es nicht erforderlich, dass die für die Rechtswidrigkeit sprechenden Gründe im Sinne einer Erfolgswahrscheinlichkeit überwiegen (BFH, Beschluss vom 07. September 2011, I B 157/10, Rz. 12).

Ernstliche Zweifel können auch verfassungsrechtliche Zweifel hinsichtlich einer dem angefochtenen Verwaltungsakt zugrunde liegenden Norm sein (vgl. BFH, Beschluss v. 4.7.2019 - VIII B 128/18, Rz. 12) oder sich aus einem möglichen Verstoß des Steuergesetzes gegen eine unionsrechtliche Bestimmung ergeben (vgl. BFH, Beschluss vom 12. Dezember 2013, XI B 88/13).

Von diesen Grundsätzen ausgehend ist die Beschwerde der Antragstellerin auf AdV sämtlicher entstandenen und nicht erlassenen Säumniszuschläge teilweise begründet. Es bestehen nur insoweit ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der nach dem 31. Dezember 2018 verwirkten Säumniszuschläge, als das Finanzgericht in seinem Beschluss vom 11. Januar 2022, 12 V 1805/21 in seinem Tenor - anders als in seiner Begründung - die AdV auf die hälftigen nach dem 31. Dezember 2018 entstandenen Säumniszuschläge beschränkt und zudem insoweit den Teilerlass nicht hinreichend berücksichtigt hat.

Verfassungsrechtliche Zweifel an der Höhe der Säumniszuschläge ergeben sich insbesondere nicht im Hinblick auf den BFH, Beschluss vom 26. Mai 2021, VII B 13/21. Darin hat der VII. Senat des BFH zwar erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Höhe der Säumniszuschläge bereits für die Jahre ab 2012 geäußert. Dieser Beschluss ist jedoch durch den BVerfG, Beschluss vom 08. Juli 2021, 1 BvR 2237/14, 1 BvR 2422/17 (siehe unseren Blogbeitrag), jedenfalls bei summarischer Prüfung überholt, wonach die Vollverzinsung von Steueransprüchen nach § 233a Abgabenordnung (AO) trotz Verfassungswidrigkeit erst ab dem Verzinsungszeitraum 2019 unanwendbar ist.

Aus unionsrechtlichen Grundsätzen (Äquivalenz-, Effizienz-, Verhältnismäßigkeits- und Neutralitätsprinzip) folgen keine weitergehenden Zweifel an der gesetzlichen Höhe der Säumniszuschläge.

Fundstelle

BFH, Beschluss vom 23. Mai 2022 (V B 4/22 (AdV)), veröffentlicht am 21. Juli 2022.

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