EuGH-Vorlage zum Anspruch auf Erstattung von Produktionsabgaben eines Zuckerherstellers

Der Bundesfinanzhof hat dem Europäischen Gerichtshof die Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt, ob die rückwirkende Festsetzung eines geringeren Koeffizienten für die Berechnung der auf die Produktionsabgabe entfallende Ergänzungsabgabe unmittelbare Auswirkungen auf einen bereits ergangenen Abgabenbescheid hat. Wie genau die rückwirkende Änderung verfahrensrechtlich umgesetzt werden soll, ist nach Meinung der Münchener Richter unionsrechtlich nicht geregelt.

Hintergrund

Am 20.12.2013 trat die Verordnung (EU) Nr. 1360/2013 in Kraft. Während die Produktionsabgaben im Zuckersektor für das Wirtschaftsjahr 2001/2002 unverändert blieben, wurde der Koeffizient geändert und für das Wirtschaftsjahr 2001/2002 mit Wirkung vom 16.10.2002 auf 0,01839 (nachträglich) herabgesetzt. Hierauf bezieht sich die Klägerin im Streitfall und beantragte am 18.12.2014 beim Hauptzollamt (HZA), die Festsetzung der Produktionsabgaben entsprechend zu ändern und ihr die so entstehende Differenz der Produktionsabgabe nebst 0,5 % Zinsen pro Monat seit dem Zeitpunkt der Zahlung der Abgabe zu erstatten. Die Erstattung wurde im Vorlagefall von der Klägerin erst ein Jahr nach rückwirkender Festsetzung eines geringeren Koeffizienten durch die VO 1360/2013 beantragt.

Das Finanzgericht hatte zuvor geurteilt, die Klägerin habe keinen Anspruch auf Erstattung der Produktionsabgaben, weil die inzwischen bestandskräftige Festsetzung der Abgaben einer Erstattung entgegenstehe. Die rückwirkende Festsetzung eines geringeren Koeffizienten durch die VO 1360/2013 habe keine unmittelbaren Auswirkungen auf einen ergangenen Abgabenbescheid.

EuGH-Vorlagebeschluss des BFH

Der Streitfall dreht sich mithin um die Auslegung des Artikel 2 der VO 1360/2013. Für den BFH ist hier entscheidend, ob die darin genannte Frist („spätester Zeitpunkt der Feststellung der Abgaben am 30. September 2014“) eine Antragsfrist darstellt, innerhalb derer ein Zuckerhersteller, der die Erstattung zu Unrecht festgesetzter Produktionsabgaben begehrt, seinen Antrag auf Erstattung bei der zuständigen Behörde hätte stellen müssen. Handelt es sich bei dieser Frist nicht um eine zwingend einzuhaltende Antragsfrist, sei zudem unklar, wie lange eine Erstattung der Produktionsabgaben beantragt werden kann und ob nationale Vorschriften über die Bestandskraft von Abgabenbescheiden und über die Festsetzungsfrist sowie der in der Rechtsprechung des EuGH anerkannte Grundsatz der Rechtssicherheit einer Erstattung entgegenstehen können. Bei der Auslegung des Art. 2 VO 1360/2013 und hinsichtlich des Verhältnisses des Grundsatzes der Rechtssicherheit zu der EuGH-Entscheidung in der Rechtssache Cargill Deutschland (EuGH-Urteil vom 19. Dezember 2019, C‑360/18) hat der BFH Zweifel geäußert. Dort hat der EuGH den unionsrechtlichen Anspruch der Zuckerhersteller auf Erstattung der zu Unrecht gezahlten Produktionsabgaben bestätigt. In seiner Entscheidung habe sich der EuGH jedoch nicht zu der Frage geäußert, innerhalb welcher Frist Erstattungsanträge gestellt werden müssen.

Eine Erstattung der zu Unrecht erhobenen Produktionsabgaben hält der BFH nur für möglich, wenn sich unmittelbar aus dem Unionsrecht ein Erstattungsanspruch ergibt und diesem weder die in Art. 2 VO 1360/2013 genannte Frist noch die nach nationalem Recht eingetretene Festsetzungsverjährung oder der unionsrechtliche Grundsatz der Rechtssicherheit entgegenstehen.

Die Vorlagefragen des BFH ergeben sich daraus wie folgt:

1. Ist Art. 2 VO 1360/2013 dahingehend auszulegen, dass ein Zuckerhersteller seinen Antrag auf Erstattung zu Unrecht erhobener Abgaben bis zum 30.09.2014 hätte stellen müssen?

2. Falls die erste Frage zu verneinen ist: Ist die zuständige Behörde in dem vorliegenden Fall (unionsrechtswidrig, aber bestandskräftig festgesetzte Abgaben, deren Erstattung erst ein Jahr nach rückwirkender Festsetzung eines geringeren Koeffizienten durch die VO 1360/2013 beantragt wurde) berechtigt, die Erstattung zu Unrecht erhobener Produktionsabgaben unter Berufung auf die nationalen Vorschriften über die Bestandskraft und auf die die für Abgabenbescheide nach den nationalen Vorschriften geltende Festsetzungsfrist sowie auf den unionsrechtlichen Grundsatz der Rechtssicherheit abzulehnen?

Fundstelle

BFH, EuGH-Vorlage vom 1. Juni 2022 (VII R 48/20), veröffentlicht am 20. September 2022.

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