EuGH: Keine Verlegung des Leistungsorts bei Beteiligung an Mehrwertsteuerhinterziehung

In einem österreichischen Vorabentscheidungsersuchen hat der EuGH zur Frage des Leistungsorts bei Umsätzen aus einer Übertragung von Treibhausgasemissionszertifikaten Stellung genommen. Insbesondere hat er entschieden, dass der sich im Empfängerland befindliche Ort der Leistungserbringung nicht deswegen als im Ursprungsland befindlich angesehen werden darf, weil der leistende Unternehmer von einem Mehrwertsteuerbetrug Kenntnis hatte.

Hintergrund

Im Jahr 2010 übertrug Climate Corporation mit Sitz in Baden (Österreich) Treibhausgasemissionszertifikate gegen Entgelt an die Bauduin Handelsgesellschaft mbH (im Folgenden: Bauduin) mit Sitz in Hamburg. Im Umsatzsteuerbescheid für 2010 stufte das Finanzamt Baden Mödling (Österreich) diese Übertragungen der Treibhausgasemissionszertifikate als steuerpflichtige „Lieferungen von Gegenständen“ ein, die nicht unter die Steuerbefreiung für innergemeinschaftliche Lieferungen fielen. Bauduin sei als „Missing Trader“ an Mehrwertsteuerhinterziehungen in Form eines Mehrwertsteuerkarussells beteiligt gewesen und Climate Corporation habe gewusst oder hätte wissen müssen, dass diese Zertifikate für Mehrwertsteuerhinterziehungen verwendet würden. Climate Corporation legte hiergegen Beschwerde ein.

Das Beschwerdegericht (Bundesfinanzgericht Österreich) führte hierzu aus, dass Übertragungen von Treibhausgasemissionszertifikaten als „Dienstleistungen“ und nicht als „Lieferungen von Gegenständen“ einzustufen seien, wie sich aus dem EuGH-Urteil vom 8. Dezember 2016, A und B (C‑453/15) ergebe. Daher liege der Ort der von Climate Corporation an Bauduin erbrachten Dienstleistungen in Deutschland. Diese Dienstleistungen seien daher nicht in Österreich, sondern in Deutschland steuerbar, und Bauduin sei in Deutschland Mehrwertsteuerschuldnerin. Wegen des Wissens über die betrügerische Verwendung der verkauften Zertifikate fragt sich das vorlegende Gericht, ob die zu innergemeinschaftlichen Lieferungen ergangene Rechtsprechung auf grenzüberschreitende Dienstleistungen entsprechend anwendbar ist: Dies würde dann bedeuten, dass im Ausgangsrechtsstreit ungeachtet des gegenteiligen Wortlauts von Art. 44 der Mehrwertsteuerrichtlinie (MwStRL) und der entsprechenden nationalen Bestimmungen davon auszugehen wäre, dass der Ort der Dienstleistung in Österreich und nicht in Deutschland liege.

Vorlagefrage:

Ist es nach der MwStRL erlaubt, dass die nationalen Behörden und Gerichte den Ort einer Dienstleistung, der formal in dem Mitgliedstaat, in welchem sich der Sitz des Leistungsempfängers befindet, liegt, als im Inland liegend ansehen, wenn der Leistungserbringer hätte wissen müssen, dass er sich durch die erbrachte Dienstleistung an einer im Rahmen einer Leistungskette begangenen Mehrwertsteuerhinterziehung beteiligt?

Entscheidung des EuGH

Nach Dafürhalten des EuGH stehen die Bestimmungen der Richtlinie 2006/112/EG (MwStRL) einer solchen (Rück) Verlagerung des Leistungsortes (hier: nach Österreich) entgegen.

Leistungsort im Empfängerstaat

Der Ort einer Dienstleistung könne nicht unter Verstoß gegen den eindeutigen Wortlaut von Art. 44 MwStRL geändert werden, weil bei dem betreffenden Umsatz Mehrwertsteuer hinterzogen wurde. Nach dieser Bestimmung sollen nämlich u.a. „alle Dienstleistungen grundsätzlich an dem Ort besteuert werden, an dem der tatsächliche Verbrauch erfolgt. Bei Dienstleistungen an Steuerpflichtige sollte die Grundregel für die Bestimmung des Ortes der Dienstleistung auf den Ort abstellen, an dem der Empfänger ansässig ist, und nicht auf den, an dem der Dienstleistungserbringer ansässig ist“. Gemäß Art. 44 der MwStRL liegt der Ort eines Umsatzes, der in einer entgeltlichen Übertragung von Treibhausgasemissionszertifikaten durch einen in einem Mitgliedstaat ansässigen Steuerpflichtigen an einen anderen, in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Steuerpflichtigen besteht, in diesem anderen Mitgliedstaat.

Nur bei innergemeinschaftlicher Lieferung Versagung der Steuerbefreiung möglich

Zwar habe der EuGH in der Vergangenheit entschieden, dass das Recht auf Steuerbefreiung einer innergemeinschaftlichen Lieferung, die betrügerisch oder missbräuchlich geltend gemacht wird, grundsätzlich versagt werden kann oder sogar muss. Jedoch, so der EuGH, sei dies nicht auf die Bestimmung des Ortes einer Dienstleistung zu übertragen. Dies hätte sonst konkret zur Folge, dass die Besteuerungsbefugnis des Mitgliedstaats, in dem der Empfänger der betreffenden Dienstleistung ansässig ist, ohne jegliche Rechtsgrundlage auf den Mitgliedstaat übertragen würde, in dem der Erbringer dieser Dienstleistung ansässig ist.

Im Gegensatz zu den Befugnissen des Mitgliedstaats des Beginns der Versendung eines Gegenstands im Rahmen einer innergemeinschaftlichen Lieferung wird dem Mitgliedstaat, in dem der Erbringer einer Dienstleistung ansässig ist, keine Befugnis eingeräumt, Mehrwertsteuer auf eine solche Dienstleistung zu erheben.

Sanktion als Alternative bei Missbrauch

Allerdings stehe es den Mitgliedstaaten frei, Sanktionen zu verhängen, um eine genaue Erhebung der Steuer sicherzustellen und Steuerhinterziehungen zu verhindern. Diese Maßnahmen dürfen jedoch nicht über das zur Erreichung dieser Ziele Erforderliche hinausgehen.

Fundstelle

EuGH, Urteil vom 27. Oktober 2022 (C‑641/21), Climate Corporation Emissions Trading.

Zum Anfang