EuGH: Zulässigkeit der Vollstreckung der von einem deutschen Finanzamt erlassenen Europäischen Ermittlungsanordnung
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschied, dass die Vollstreckung der vom Finanzamt für Steuerstrafsachen Düsseldorf erlassenen Europäischen Ermittlungsanordnung in Österreich rechtens sein kann. Sie sei zwar nicht als dafür zuständige „Justizbehörde“ anzusehen, könne jedoch bei Erfüllung bestimmter Voraussetzungen unter den Begriff „Anordnungsbehörde“ im Sinne von Art. 2 Buchst. c Ziff. ii der Richtlinie 2014/41/EU über die Europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen fallen.
Hintergrund
Das Finanzamt für Steuerstrafsachen Düsseldorf ermittelt wegen Steuerhinterziehung gegen die Klägerin. Diese wird als Geschäftsführerin einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung verdächtigt, im Zeitraum von 2015 bis Februar 2020 Umsätze von etwa 1,6 Mio. Euro nicht erklärt zu haben. Für die Zwecke dieser Ermittlungen erließ dieses Finanzamt eine Europäische Ermittlungsanordnung, mit der es die Staatsanwaltschaft Graz ersuchte, bei einer Bank in Österreich Unterlagen zu zwei auf den Namen der Klägerin eröffneten Bankkonten für den Zeitraum vom 1. Januar 2015 bis zum 28. Februar 2020 zu erheben.
Das vorlegende Gericht fragt den EuGH, ob eine Steuerbehörde eines Mitgliedstaats (hier: das deutsche Finanzamt für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung), die zwar zur Exekutive dieses Staates gehört, aber gemäß dem nationalen Recht anstelle der Staatsanwaltschaft steuerstrafrechtliche Ermittlungen selbständig durchführt und dabei die Rechte und Pflichten wahrnimmt, die der Staatsanwaltschaft zukommen, als „Justizbehörde“ und „Anordnungsbehörde“ im Sinne dieser beiden Bestimmungen angesehen werden kann.
Entscheidung des EuGH
Der EuGH beantwortete die Vorlagefrage wie folgt: Die beiden fraglichen Artikel sind dahin auszulegen, dass
eine Steuerbehörde eines Mitgliedstaats, die zwar zur Exekutive dieses Staats gehört, aber gemäß dem nationalen Recht anstelle der Staatsanwaltschaft steuerstrafrechtliche Ermittlungen selbständig durchführt und dabei die Rechte und Pflichten wahrnimmt, die der Staatsanwaltschaft zukommen, nicht als „Justizbehörde“ und „Anordnungsbehörde“ im Sinne dieser beiden Bestimmungen angesehen werden kann. Eine solche Behörde könne hingegen dann unter den Begriff „Anordnungsbehörde“ im Sinne von Art. 2 Buchst. c Ziff. ii dieser Richtlinie fallen, wenn die in den Bestimmung des Artikels 2 Buchst. c Ziff. ii der Richtlinie 2014/41 festgelegten Voraussetzungen erfüllt sind.
Begründung:
In Art. 2 Buchst. c Ziff. i dieser Richtlinie werden Richter, Gerichte, Ermittlungsrichter oder Staatsanwälte ausdrücklich als „Anordnungsbehörde“ bezeichnet, und zwar unter der einzigen Voraussetzung, dass sie in der betreffenden Sache zuständig sind. In Art. 2 Buchst. c Ziff. ii dieser Richtlinie gibt es jedoch noch eine zweite Kategorie von Behörden, die unter den Begriff der „Anordnungsbehörde“ fallen können. Diese erfasst jede „andere“ Behörde als die in Art. 2 Buchst. c Ziff. i dieser Richtlinie genannten, sofern eine solche Behörde in Strafverfahren befugt ist, als Ermittlungsbehörde tätig zu werden. Eine von einer solchen Behörde erlassene Europäische Ermittlungsanordnung muss allerdings vor ihrer Übermittlung an die Vollstreckungsbehörde von einer „Justizbehörde“ im Sinne von Art. 2 Buchst. c Ziff. i dieser Richtlinie validiert werden.
Folglich, so der EuGH weiter, lasse der Verweis auf „jede andere Behörde“ in Art. 2 Buchst. c Ziff. ii der Richtlinie 2014/41 eindeutig erkennen, dass jede Behörde, bei der es sich nicht um einen Richter, ein Gericht, einen Ermittlungsrichter oder einen Staatsanwalt nach Art. 2 Buchst. c Ziff. i dieser Richtlinie handelt, anhand von Art. 2 Buchst. c Ziff. ii zu prüfen ist. Eine Behörde, die keine Justizbehörde ist, wie eine Verwaltungsbehörde, kann folglich unter den in Rn. 33 des Urteils angeführten Voraussetzungen unter den Begriff „Anordnungsbehörde“ im Sinne von Art. 2 Buchst. c Ziff. ii der Richtlinie 2014/41 fallen.
Fundstelle
EuGH-Urteil vom 2. März 2023 (C‑16/22), Staatsanwaltschaft Graz (Service des affaires fiscales pénales de Düsseldorf).