Grundsatzurteil zur Arbeitszeiterfassungspflicht in Deutschland

Nach dem „Paukenschlag“ am 13. September 2022 hat das Bundesarbeitsgericht am 04. Dezember 2022 nun die langersehnte Begründung der Entscheidung zur Arbeitszeiterfassungspflicht veröffentlicht. Jedes Unternehmen, jeder Betrieb muss jetzt Regelungen zur Arbeitszeiterfassung unter Beachtung der Mitbestimmungs- und Datenschutzvorgaben aufsetzen und einführen.

Der Anlass

Am 13. September 2022 hatte das Bundesarbeitsgericht (BAG) die wegweisende Entscheidung getroffen, dass in Deutschland eine Pflicht zur Arbeitszeiterfassung besteht. Vorangegangen war die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs aus dem Jahr 2019, dass die Mitgliedstaaten die Arbeitgeber dazu verpflichten müssen, ein objektives, verlässliches und zugängliches Arbeitszeiterfassungssystem einzurichten.

Das BAG sah eine solche Verpflichtung nicht im aktuellen Arbeitszeitgesetz, sondern vielmehr in § 3 Abs. 2 Nr. 1 des Arbeitsschutzgesetzes (ArbSchG). Darin ist geregelt, dass der Arbeitgeber zur Sicherung des Gesundheitsschutzes „für eine geeignete Organisation zu sorgen und die erforderlichen Mittel bereitzustellen“ hat. Das umfasse auch die Verpflichtung, ein System zur Erfassung der von den Arbeitnehmern geleisteten täglichen Arbeitszeit einzuführen. Erfassen muss ein solches System den Beginn und das Ende und damit die Dauer der Arbeitszeit einschließlich der Überstunden.

Die Verpflichtung zur Erfassung der Arbeitszeit gilt nach dem BAG für jeden beschäftigten Arbeitnehmer im Betrieb, also damit auch für leitende Angestellte. Der deutsche Gesetzgeber hat nämlich keine Einschränkung der Arbeitszeitvorgaben aus der Arbeitszeitrichtlinie für bestimmte Tätigkeiten oder bestimmte Arbeitnehmergruppen vorgenommen. Ob dies in der Zukunft so bleibt, ist derzeit offen, da insoweit der Gesetzgeber eine neue Regelung erlassen muss.

Allerdings kann die Verpflichtung zur Aufzeichnung der Arbeitszeit an die Arbeitnehmer delegiert werden. In welcher Form, beschreibt das BAG nicht ausführlich, da der Gesetzgeber hierzu keinerlei Regelungen getroffen hat und das System nach den Vorgaben des EuGH lediglich „objektiv, verlässlich und zugänglich“ sein muss. Papieraufzeichnungen sind auch möglich, wenn auch aus Gründen der Verlässlichkeit nicht zu empfehlen.

Die Praxishinweise

Mit der Veröffentlichung der Entscheidungsgründen steht fest, dass es eine gesetzliche Pflicht gibt, sämtliche Arbeitszeiten zu erfassen. Eine Übergangsfrist gibt es nicht. Die Pflicht zur vollständigen Arbeitszeiterfassung gilt dabei nach derzeitigem Recht auch für leitende Angestellte.

Jedes Unternehmen muss jetzt für sich die Überlegung anstellen, wie und für welche Arbeitnehmer die Arbeitszeit erfasst wird insbesondere vor dem Hintergrund der bestehenden Arbeitszeitmodelle/-Richtlinien. Welche Zeitarten/Zeitkonten bestehen und wie ist die Umsetzung in Abrechnungs- und Urlaubssystemen sowie deren Übertragungsaufwand? Eine Analyse bietet damit eine gezielten Überblick auf die bestehenden Strukturen unter juristischen, prozessualen sowie technischen Aspekten. Unsere Mandanten / Kunden unterstützen wir bei der Umsetzung des Handlungsbedarfs je nach den Erfordernissen:

  • Modifikation bestehender Systeme und Prozesse sowie Anpassung bestehender IT-Betriebsvereinbarungen
  • Einführung von temporären technischen Lösungen für eine Mindestdokumentation
  • Auswahl, Konfiguration und beratende Begleitung der Implementierung eines neuen Zeiterfassungssystems: Dies umfasst eine Markt- und Anforderungsanalyse, eine Schnittstellenanpassung, die Datenmigration, die Provider Governance sowie die arbeitsrechtliche Umsetzung inklusive Gestaltung von passenden IT-Betriebsvereinbarungen

Die Autoren

Dr. Nicole Elert, Partnerin, Rechtsanwältin, Fachanwältin für Arbeitsrecht

Manuel Klingenberg, Senior Manager, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht

Zum Anfang