Wegzugsbesteuerung und "lediglich vorübergehende Abwesenheit"

Das zum Entfallen der sog. Wegzugsbesteuerung führende Merkmal der "nur vorübergehenden Abwesenheit" in § 6 Abs. 3 Satz 1 AStG ist unabhängig von einer "Rückkehrabsicht" erfüllt, wenn der Steuerpflichtige innerhalb des gesetzlich bestimmten Zeitrahmens von fünf Jahren nach dem Wegzug wieder unbeschränkt steuerpflichtig wird. Dies hat der Bundesfinanzhof (BFH) in einem aktuellen Urteil entschieden.

Sachverhalt

Streitig ist, ob im Zusammenhang mit einem Wohnsitzwechsel in das Ausland ein Vermögenszuwachs (Beteiligungsbesitz) der Besteuerung unterliegt.

Der Kläger war nach Dubai in den Vereinigten Arabischen Emiraten gezogen und hatte seinen inländischen Wohnsitz und gewöhnlichen Aufenthalt aufgegeben. Zum Zeitpunkt seines Wegzugs hielt der Kläger Beteiligungen an mehreren im Inland ansässigen Kapitalgesellschaften. Zwei Jahre nach dem Wegzug begründete der Kläger wieder seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland.

Das Finanzamt erfasste bei der Einkommensteuerveranlagung des Klägers für das Jahr des Wegzugs Veräußerungsgewinne gemäß § 6 Abs. 1 Außensteuergesetz (AStG) i.V.m. § 17 Einkommensteuergesetz (EStG). Hiergegen wandte sich der Kläger mit dem Argument, dass infolge seiner Rückkehr nach Deutschland die Besteuerung rückwirkend wieder entfallen müsse. Das Finanzamt folgte dem nicht mit der Begründung, dass der Kläger nicht bereits bei seinem Wegzug seinen Willen zur Rückkehr angezeigt habe.

Die Klage vor dem Finanzgericht Münster hatte keinen Erfolg (siehe unseren Blogbeitrag).

Entscheidung des BFH

Der BFH hat der Revision teilweise stattgegeben und die Entscheidung der Vorinstanz aufgehoben.

Der Ansatz von Einkünften des Klägers aus Gewerbebetrieb (§ 6 Abs. 1 AStG i.V.m. § 17 EStG) infolge des Entfallens der unbeschränkten Steuerpflicht jedenfalls im Streitjahr (Wegzug des Klägers) ist rechtsfehlerhaft; denn es liegt nur eine "vorübergehende Abwesenheit" vor, die "nachträglich" ‑aber im Streitfall schon im Rahmen der Steuerfestsetzung des Streitjahres‑ den Besteuerungstatbestand ausschließt (§ 6 Abs. 3 Satz 1 AStG).

Auch wenn man aus dem durch einen bestimmten Zeitrahmen (§ 6 Abs. 3 Satz 1 AStG: 5 Jahre) konkretisierten Tatbestandsmerkmal der "lediglich vorübergehenden Abwesenheit" das Erfordernis einer Rückkehrabsicht ableitet, gibt der Wortlaut zum Zeitpunkt der entsprechenden Willensbildung keine Auskunft. Denn der Gesetzestext führt erst in der Sondersituation des § 6 Abs. 3 Satz 2 AStG (einzelfallbezogene Verlängerung der Rückausnahmemöglichkeit bei Glaubhaftmachung, dass "(s)eine Absicht zur Rückkehr unverändert fortbesteht") im Zusammenhang mit der begünstigenden Ausweitung der Belastungsausnahme eine solche (Rückkehr-)Absicht (verbunden mit der Notwendigkeit einer Glaubhaftmachung) ausdrücklich an; dabei ist auch der Rückschluss, dass eine solche Absicht schon im Augenblick des Wegzugs (und damit auch für die Situation des Satzes 1) bestehen muss (Hinweis auf den Terminus "unverändert"), nicht ausreichend belastbar, da in Satz 2 ein Zeitbezug nur für den Verlängerungszeitraum hergestellt ist (Häck, IStR 2020, 118, 119), so dass der Rückkehrwille durchaus auch im Laufe des ersten 5-Jahres-Zeitraums gebildet worden sein kann (Häck, a.a.O.). Jedenfalls legt der Formulierungsunterschied die Interpretation nahe, dass der Umstand der tatsächlichen (zeitgerechten) Rückkehr in der Grundsituation des Satzes 1 das Entfallen der Belastung (die "Begünstigung") auslöst und damit das Beruhen der Rückkehr auf einer ursprünglich bestehenden Rückkehrabsicht indiziert.

Es geht daher entgegen der Ansicht des Finanzgerichts bei der Auslegung mitnichten darum, die Anwendung von Absatz 3 "für gescheiterte oder 'abgebrochene' Auswanderungen" auszuschließen und Absatz 3 nicht einen Zweck als "'Reparaturvorschrift' für steuerlich 'missglückte' Wegzüge" zuzuweisen; vielmehr geht es darum, angesichts des nicht abschließend klaren Wortlauts und der systematischen Zusammenhänge dem teleologischen Leitprinzip der Regelung Geltung zu verschaffen, das auf die Bewahrung des nationalen Besteuerungsrechts mit Blick auf die stillen Reserven der Kapitalgesellschaftsbeteiligungen ausgerichtet ist.

Damit besteht kein Widerspruch zur Entstehungsgeschichte der Regelung. Das Finanzgericht hat zutreffend angeführt, dass bereits in § 6 Abs. 4 AStG in der Gesetzesfassung vom 08. September 1972 (BGBl I 1972, 1713, BStBl I 1972, 450) von der "vorübergehenden Abwesenheit" gesprochen wurde.

Fundstelle

BFH, Urteil vom 21. Dezember 2022 (I R 55/19), veröffentlicht am 13. April 2023.

Eine englische Zusammenfassung dieses Urteils finden Sie hier.

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