Zur steuerlichen Berücksichtigung des Beibehaltungswahlrechts gemäß Art. 67 Abs. 1 Satz 2 EGHGB

Der Handelsbilanzwert für Nachsorgerückstellungen bildet auch nach Inkrafttreten des BilMoG gegenüber einem höheren steuerrechtlichen Rückstellungswert die Obergrenze (Anschluss an BFH-Urteil vom 20. November 2019, XI R 46/17). Der maßgebliche Handelsbilanzwert bestimmt sich unter Berücksichtigung der als GoB zu beurteilenden Bewertungsgrundsätze des Handelsrechts (§§ 252 ff. HGB) und damit auch unter Berücksichtigung des Beibehaltungswahlrechts des Art. 67 Abs. 1 Satz 2 EGHGB. Dies hat der Bundesfinanzhof (BFH) in einem aktuellen Urteil entschieden.

Sachverhalt

Streitig ist, welche Rechtsfolgen sich aus der Ausübung des Beibehaltungswahlrechts nach Art. 67 Abs. 1 Satz 2 des Einführungsgesetzes zum Handelsgesetzbuch (EGHGB) in der Handelsbilanz der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) für die Bewertung einer Nachsorgerückstellung in deren Steuerbilanz zum 31. Dezember 2010 ergeben.

Die Klage vor dem Finanzgericht Münster hatte keinen Erfolg.

Entscheidung des BFH

Der BFH hat der Revision stattgegeben, die Entscheidung der Vorinstanz aufgehoben und zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Finanzgericht zurückverwiesen.

Das Finanzgericht hat zwar zutreffend erkannt, dass die Klägerin dem Grunde nach verpflichtet war, eine Nachsorgerückstellung zu bilden. Jedoch hält die Ermittlung der Höhe der Rückstellung durch das Finanzgericht der revisionsrechtlichen Prüfung nicht stand. Das Finanzgericht hat seiner Berechnung rechtsfehlerhaft den abgezinsten Erfüllungsbetrag gemäß § 253 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 1 HGB zugrunde gelegt, anstatt den von der Klägerin zum 31. Dezember 2010 angesetzten handelsbilanziellen Rückstellungswert, der sich nach Ausübung des Wahlrechts gemäß Art. 67 EGHGB ergeben hat, als Ausgangspunkt zu wählen.

Die Bewertung von Wirtschaftsgütern in der Steuerbilanz folgt den handelsrechtlichen Vorschriften, soweit dem steuerrechtliche Vorschriften nicht entgegenstehen (§ 5 Abs. 6 EStG). Für die Bewertung der im Streitfall vorliegenden Sachleistungsrückstellung sieht § 6 Abs. 1 Nr. 3a EStG vor, dass Rückstellungen "höchstens insbesondere" unter Berücksichtigung der in den Buchst. a bis f der Vorschrift genannten Grundsätze anzusetzen sind. Danach dürfen die sich aus § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. a bis f EStG ergebenden Rückstellungsbeträge den zulässigen Ansatz nach der Handelsbilanz nicht überschreiten.

Die steuerrechtlichen Bewertungsvorschriften in § 6 Abs. 1 Nr. 3a EStG haben folglich keinen absoluten Vorrang vor den handelsrechtlichen Bewertungsregeln, sondern wirken ‑wie die Formulierung "höchstens insbesondere" zeigt‑ begrenzend: Überschreitet der steuerrechtliche Wertansatz den handelsrechtlichen Wertansatz, gilt der niedrigere handelsrechtliche Wert.

Der maßgebliche handelsrechtliche Wertansatz bestimmt sich unter Berücksichtigung der als GoB zu beurteilenden Bewertungsgrundsätze des Handelsrechts (§§ 252 ff. HGB, vgl. BFH, Urteil vom 15. Juli 1998, I R 24/96,, unter II.3.; Schmidt/Weber-Grellet, EStG, 41. Aufl., § 5 Rz 33; wohl auch Marx, StuB 2019, 885, 889) und damit auch unter Berücksichtigung des Beibehaltungswahlrechts des Art. 67 Abs. 1 Satz 2 EGHGB.

Dieses Normverständnis steht im Einklang mit der Rechtsprechung des BFH zum Verhältnis von handelsrechtlichen und steuerrechtlichen (Passivierungs-)Wahlrechten.

Das Finanzgerichts -Urteil entspricht den dargelegten Grundsätzen nur zum Teil. Das Finanzgericht hat der Berechnung des von ihm als zutreffend erachteten Rückstellungswertes zum 31. Dezember 2010 nicht den von der Klägerin zum 31. Dezember 2010 unter Berücksichtigung der GoB ermittelten und angesetzten handelsbilanziellen Rückstellungswert zugrunde gelegt, der sich nach Ausübung des Wahlrechts gemäß Art. 67 Abs. 1 Satz 2 EGHGB ergeben hat, sondern es hat den abgezinsten Erfüllungsbetrag gemäß § 253 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 1 HGB angesetzt. Seine Entscheidung war daher aufzuheben.

Die Sache ist nicht spruchreif, denn eine abschließende Ermittlung des zutreffenden Rückstellungswertes ist dem Senat auf der Grundlage der Feststellungen des Finanzgerichts nicht möglich.

Fundstelle

BFH, Urteil vom 9. März 2023 (IV R 24/19), veröffentlicht am 11. Mai 2023.

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