Aussetzung der Vollziehung von auf § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG gestützten Bescheiden

War dem Gesetzgeber ‑hier aufgrund des zu § 8c (später: Abs. 1) Satz 1 KStG a.F. ergangenen BVerfG-Beschlusses vom 29.03.2017 - 2 BvL 6/11 (BVerfGE 145, 106, BStBl II 2017, 1082) und dessen möglicher Ausstrahlungswirkung auf § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG/§ 8c (später: Abs. 1) Satz 2 KStG a.F.‑ ohne weiteres gewiss, dass als Reaktionsmöglichkeit auf fortbestehende Verfassungszweifel eine generelle Neuausrichtung des Tatbestands des § 8c KStG im Raum stand, muss die Interessenabwägung zugunsten des wegen der Anwendung des § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG eine AdV beantragenden Betroffenen ausfallen, auch wenn das BVerfG § 8c (später: Abs. 1) Satz 1 KStG a.F. als "ähnliche Norm" nicht für nichtig erklärt, sondern dem Gesetzgeber "lediglich" aufgegeben hat, den Verfassungsverstoß bis zum 31.12.2018 rückwirkend mit Geltung ab dem 01.01.2008 (dem Inkrafttretenszeitpunkt der Regelung) zu beseitigen. Dies hat der Bundesfinanzhof (BFH) in einem aktuellen Beschluss entschieden.

Sachverhalt

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit von Feststellungsbescheiden, in denen nicht genutzte Verluste aus Vorjahren bzw. Fehlbeträge aus früheren Erhebungszeiträumen wegen schädlichen Beteiligungserwerbs auf der Grundlage von § 8c Abs. 1 Satz 1 des Körperschaftsteuergesetzes in der im Jahr 2016 (Streitjahr) geltenden Fassung unter Berücksichtigung der rückwirkenden Aufhebung des früheren Satzes 1 durch das Gesetz zur Vermeidung von Umsatzsteuerausfällen beim Handel mit Waren im Internet und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften vom 11.12.2018 (BGBl I 2018, 2338, BStBl I 2018, 1377) ‑KStG‑, dort § 34 Abs. 6 Satz 1 KStG, bzw. von § 10a Satz 10 des Gewerbesteuergesetzes in der im Erhebungszeitraum geltenden Fassung (GewStG) i.V.m. § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG als nicht abziehbar qualifiziert worden sind.

In der Sache geht es darum, ob die streitbefangenen Verlustfeststellungsbescheide wegen möglicher Verfassungswidrigkeit des § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG von der Vollziehung auszusetzen sind.

Die Antragstellerin, eine GmbH, deren Anteile einem US-amerikanischen Konzern zuzuordnen waren, war Alleingesellschafterin der A GmbH, die wiederum Alleingesellschafterin der B GmbH war. Es bestand ein mehrstöckiges Organschaftsverhältnis mit der Antragstellerin als Organträgerin.

Mit Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Körperschaftsteuer auf den 31.12.2016 wurde der verbleibende Verlustvortrag nach § 10d des Einkommensteuergesetzes i.V.m. § 31 Abs. 1 KStG festgestellt, mit Bescheid über die gesonderte Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes auf den 31.12.2016 der vortragsfähige Gewerbeverlust nach § 10a GewStG. Die Bescheide ergingen am 07.11.2018 jeweils unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gemäß § 164 der Abgabenordnung (AO).

Am 24.05.2016 wurden in den USA sämtliche Anteile einer C Corp. ‑und dadurch mittelbar alle Anteile an der Antragstellerin‑ auf neue Gesellschafter übertragen, davon 99 % auf einen einzelnen Erwerber. Nach dem vom Finanzamt nicht widersprochenen Vortrag der Antragstellerin verfügt diese innerhalb der Organschaft über stille Reserven in einem Umfang, der die Verlustvorträge auf Ebene der Antragstellerin übersteigt.

Mit Änderungsbescheiden vom 21.07.2022 kürzte das Finanzamt unter Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung den zum 31.12.2016 festgestellten verbleibenden Verlustvortrag zur Körperschaftsteuer und den vortragsfähigen Gewerbeverlust auf den 31.12.2016.

Gegen diese Bescheide legte die Antragstellerin Einspruch ein und beantragte zugleich deren Aussetzung der Vollziehung (AdV). Der Antrag wurde abgelehnt.

Den daraufhin beim Finanzgericht München gestellten Antrag auf AdV lehnte dieses durch Beschluss ab. Zwar bestünden ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG, es fehle der Antragstellerin aber ein besonderes Aussetzungsinteresse, so dass die Feststellungsbescheide nicht nach § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 Alternative 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) von der Vollziehung auszusetzen seien.

Entscheidung des BFH

Der BFH hat die Beschwerde als begründet angesehen und die Entscheidung der Vorinstanz aufgehoben.

Auf der Grundlage des zu § 8c (später: Abs. 1) Satz 1 KStG a.F. ergangenen BVerfG-Beschlusses vom 29.03.2017 - 2 BvL 6/11 (BVerfGE 145, 106, BStBl II 2017, 1082) ‑an den der § 8c (später: Abs. 1) Satz 2 KStG betreffende Vorlagebeschluss des FG Hamburg in EFG 2017, 1906 anknüpft‑ bestehen ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Regelung des § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG, da sie in ihrer Tatbestandlichkeit durch die alleinige Anknüpfung an den Umstand einer Anteilsübertragung ausgerichtet ist.

Der BFH sieht ein besonderes Aussetzungsinteresse der Antragstellerin als gegeben an. Dies gilt auch, obwohl das BVerfG in seinem Beschluss in BVerfGE 145, 106, BStBl II 2017, 1082 § 8c (später: Abs. 1) Satz 1 KStG a.F. nicht für nichtig erklärt, sondern dem Gesetzgeber "lediglich" aufgegeben habe, den Verfassungsverstoß bis zum 31.12.2018 rückwirkend mit Geltung ab dem 01.01.2008 (dem Inkrafttretenszeitpunkt der Regelung) zu beseitigen.

Denn dieser Folgenausspruch trägt nur dem Umstand Rechnung, dass für die Beseitigung des Verfassungsverstoßes mehrere Möglichkeiten in Betracht kommen, die in der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers stehen, berührt aber die damit verbundene Beeinträchtigung der "Vertrauensposition des Gesetzgebers", die das Hindernis für eine AdV-Gewährung begründen soll, durch die Feststellung des verfassungswidrigen Zustands (mit einer Ausstrahlungswirkung auf die "ähnliche Norm") nicht.

Fundstelle

BFH, Beschluss vom 12. April 2023 (I B 74/22 (AdV)), veröffentlicht am 6. Juli 2023.

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