Gewinnerzielungsabsicht bei den Einkünften aus § 17 EStG und Gestaltungsmissbrauch bei gezielter Herbeiführung von Veräußerungsverlusten

Die auch bei den Einkünften aus § 17 EStG erforderliche Gewinnerzielungsabsicht muss sich auf die gesamte Beteiligung des Steuerpflichtigen an der Kapitalgesellschaft beziehen. Eine auf den einzelnen veräußerten Geschäftsanteil bezogene Betrachtung ist ausgeschlossen. Die gezielte Herbeiführung eines Verlusts durch die Veräußerung eines GmbH-Geschäftsanteils, dessen Anschaffungskosten aufgrund eines Aufgelds seinen Verkehrswert übersteigen, ist nicht ohne Weiteres rechtsmissbräuchlich i.S. von § 42 der Abgabenordnung. Dies hat der Bundesfinanzhof (BFH) in einem aktuellen Urteil entschieden.

Sachverhalt

Die Klägerin gründete im November 2015 als Alleingesellschafterin die A-GmbH (GmbH). Deren Geschäftsgegenstand ist der Erwerb und die Verwaltung von Immobilien. Das Stammkapital betrug zunächst 25.000 €. Es war eingeteilt in 25 000 Geschäftsanteile im Nennbetrag von jeweils 1 € (Nr. 1 bis 25 000).

Mitte Dezember 2015 beschloss die Gesellschafterversammlung der GmbH eine Kapitalerhöhung um 1.000 €. Hierzu schuf sie einen weiteren Geschäftsanteil im Nennbetrag von 1.000 € (Nr. 25 001). Auch diesen Geschäftsanteil übernahm die Klägerin. Beschlussgemäß zahlte sie hierfür neben dem Nennbetrag ein Aufgeld von 500.000 € in die freie Kapitalrücklage der GmbH.

Am 28.12.2015 veräußerte die Klägerin 300 Geschäftsanteile im Nennwert von je 1 € (Nr. 24 701 bis 25 000) sowie den neuen Geschäftsanteil Nr. 25 001 zum Kaufpreis von 26.300 € an den Kläger, der fortan zu 5 % am Kapital der GmbH beteiligt war.

In der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr erklärte die Klägerin aus der Veräußerung der GmbH-Geschäftsanteile einen gemäß § 17 des Einkommensteuergesetzes (EStG) zu berücksichtigenden Verlust.

Den aus der Veräußerung des neu geschaffenen Geschäftsanteils Nr. 25 001 herrührenden Verlust erkannte das Finanzamt nicht an. In Anbetracht der hohen Anschaffungskosten (1.000 € Nennwert zuzüglich 500.000 € Aufgeld) habe es der Klägerin insoweit an einer Gewinnerzielungsabsicht gefehlt. Aus der Veräußerung der Anteile der Nr. 24 701 bis 25 000 ermittelte das Finanzamt dagegen einen nach § 17 EStG zu besteuernden Gewinn.

Die Klage vor dem Finanzgericht Düsseldorf hatte Erfolg.

Entscheidung des BFH

Der BFH hat sich der Entscheidung der Vorinstanz angeschlossen und die Revision als unbegründet zurückgewiesen.

Das Finanzgericht hat zu Recht entschieden, dass die am 28.12.2015 erfolgte Veräußerung von Geschäftsanteilen an der GmbH zu Einkünften aus Gewerbebetrieb gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG führte. Der hieraus resultierende Verlust betrug 475.000 € und war nach Maßgabe des Teileinkünfteverfahrens mit 285.000 € anzusetzen. Ein Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts lag nicht vor.

An einer Gewinnerzielungsabsicht fehlt es (nur), wenn konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass aufgrund der individuellen Verhältnisse der Kapitalgesellschaft und/oder ihrer Gesellschafter auch langfristig mit positiven Einkünften nicht zu rechnen ist oder dass rein persönliche Gesichtspunkte ‑wie freundschaftliche oder verwandtschaftliche Beziehungen‑ für die Beteiligung des Steuerpflichtigen bestimmend waren (BFH, Urteil vom 02.05.2001, VIII R 32/00, BStBl II 2001, 668, unter 1., m.w.N.).

Die auch bei den Einkünften aus § 17 EStG erforderliche Gewinnerzielungsabsicht muss sich auf die gesamte Beteiligung des Steuerpflichtigen an der Kapitalgesellschaft beziehen.

Eine auf den einzelnen veräußerten Geschäftsanteil bezogene Betrachtung ist ausgeschlossen. Dem Wortlaut des § 17 EStG sind hierfür keine durchgreifenden Anhaltspunkte zu entnehmen. Steuersystematische Erwägungen gebieten es vielmehr, die Gewinnerzielungsabsicht an der gesamten Beteiligung des Steuerpflichtigen zu messen.

Das für einen bestimmten Geschäftsanteil gezahlte Aufgeld (Agio) erhöht die Anschaffungskosten dieses Anteils, auch wenn die Summe aus dem Nennbetrag und dem Agio den Verkehrswert des Anteils übersteigt (sog. Überpari-Emission; Anschluss an das Urteil des Bundesfinanzhofs vom 27.05.2009, I R 53/08). Das gilt jedenfalls für Veräußerungen bis zum 31.07.2019.

Die gezielte Herbeiführung eines Verlusts durch die Veräußerung eines GmbH-Geschäftsanteils, dessen Anschaffungskosten aufgrund eines Aufgelds seinen Verkehrswert übersteigen, ist nicht ohne Weiteres rechtsmissbräuchlich i.S. von § 42 der Abgabenordnung.

Zum einen unterliegt es der Disposition des Steuerpflichtigen, Veräußerungsgeschäfte so zu gestalten, dass er sich steuerlich möglichst günstig steht. Dies schließt die Freiheit ein, der Gesellschaft Kapital in einer steuerlich vorteilhaften Weise zuzuführen. So war die Klägerin weder verpflichtet, die GmbH von vornherein mit einem höheren Stammkapital auszustatten noch eine Zuzahlung in die Kapitalrücklage gemäß § 272 Abs. 2 Nr. 4 HGB zu leisten, die sich auf sämtliche Geschäftsanteile verteilt hätte.

Zum anderen ist geklärt, dass der Steuerpflichtige selbst entscheiden kann, welchen Geschäftsanteil seiner Beteiligung er veräußert (BFH, Urteil vom 10.10.1978, VIII R 126/75, BStBl II 1979, 77, unter 2.a). Dies gilt unabhängig davon, ob die Veräußerung an einen fremden Dritten oder an einen nahen Angehörigen erfolgt.

Fundstelle

BFH, Urteil vom 3. Mai 2023 (IX R 12/22), veröffentlicht am 10. August 2023.

Eine englische Zusammenfassung dieses Urteils finden Sie hier.

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