EuGH: Direktanspruch auf Erstattung der Umsatzsteuer gegen das Finanzamt

Aufgrund eines Vorabentscheidungsersuchens des Finanzgerichts Münster hat der Europäische Gerichtshof entschieden, dass dem Empfänger von Lieferungen ein Anspruch auf Erstattung von zu Unrecht in Rechnung gestellter Mehrwertsteuer (einschließlich der damit zusammenhängenden Zinsen), die er an seine Lieferer gezahlt hat, unmittelbar gegen die Steuerbehörde dann zusteht, wenn er unter anderem, ohne dass ihm Betrug, Missbrauch oder Fahrlässigkeit vorgeworfen werden können, diese Erstattung aufgrund der im nationalen Recht vorgesehenen Verjährung nicht mehr von diesen Lieferern fordern kann.

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft den Anspruch auf einen aus Billigkeitsgründen zu gewährenden Erlass der von den deutschen Finanzbehörden nachträglich geforderten Mehrwertsteuer und der darauf festgesetzten Zinsen.

Der Kläger, ein Land- und Forstwirt hatte in 2011 bis 2013 Holz von verschiedenen Lieferanten erworben, welches er anschließend als Brennholz an seine Kunden weiterverkaufte und lieferte. Während in den Rechnungen seiner Lieferanten der normale Mehrwertsteuersatz von 19 % ausgewiesen wurde, hatte der Kläger in den Rechnungen an seine Kunden den (zutreffenden) ermäßigten Satz von 7 % ausgewiesen und brachte die Vorsteuer aus den Käufen zu 19 % in Abzug. Dem folgte das Finanzamt nicht und kürzte dessen Vorsteuer entsprechend. Der Kläger machte seine Einwendungen vor dem Finanzgericht Münster geltend, welches in Folge an den EuGH herantrat.

Mehr zum Hintergrund und dem Vorlagebeschluss des Finanzgerichts lesen Sie in unserem Blogbeitrag vom 20. Oktober 2022.

Urteil des EuGH

Die Entscheidung des EuGH erfolgte auch hier unter dem Blickwinkel der Neutralität und dem Recht auf Vorsteuerabzug, das integraler Bestandteil des Mechanismus der Mehrwertsteuer ist. In diesem Kontext sei auch ein Antrag auf Erstattung zu viel entrichteter Mehrwertsteuer der Anspruch auf Rückzahlung rechtsgrundlos gezahlter Beträge zu sehen, der die Folgen der Unvereinbarkeit der Abgabe mit dem Unionsrecht beheben soll.

Der EuGH entschied, dass dem Empfänger von Lieferungen von Gegenständen ein Anspruch auf Erstattung der zu Unrecht in Rechnung gestellten Mehrwertsteuer, die er an seine Lieferer gezahlt hat und die diese an die Staatskasse abgeführt haben, einschließlich der damit zusammenhängenden Zinsen, unmittelbar gegen die Steuerbehörde dann zusteht, wenn er zum einen, ohne dass ihm Betrug, Missbrauch oder Fahrlässigkeit vorgeworfen werden können, diese Erstattung aufgrund der im nationalen Recht vorgesehenen Verjährung nicht mehr von diesen Lieferern fordern kann und zum anderen formal die Möglichkeit besteht, dass diese Lieferer - nachdem sie die ursprünglich an den Empfänger dieser Lieferungen gerichteten Rechnungen berichtigt haben - im Nachhinein von der Steuerbehörde die Erstattung des zu viel gezahlten Betrags verlangen. Wird die von der Steuerbehörde zu Unrecht erhobene Mehrwertsteuer nicht innerhalb einer angemessenen Frist erstattet, ist der Schaden, durch die Zahlung von Verzugszinsen auszugleichen.

Dies, so der EuGH, könne weder durch die hier fehlende Insolvenz noch durch die Gefahr einer doppelten Erstattung, die vom vorlegenden Gericht angeführt werden, in Frage gestellt werden. Die bisher in der EuGH-Rechtsprechung einzig erwähnte Insolvenz als Grund für einen Erstattungsanspruch sei nicht abschließend, denn dies stelle nur einen der Fälle dar, in denen es unmöglich oder übermäßig schwierig sein kann, die Erstattung der zu Unrecht in Rechnung gestellten und entrichteten Mehrwertsteuer zu erhalten.

Die Inanspruchnahme des Rechts auf Erstattung der zu Unrecht in Rechnung gestellten und entrichteten Mehrwertsteuer ist nur zu versagen, wenn feststeht, dass dieses Recht in betrügerischer Weise oder missbräuchlich geltend gemacht wird. Im vorliegenden Fall zeige sich jedoch, vorbehaltlich der vom vorlegenden Gericht vorzunehmenden Prüfungen, dass zum einen der Erwerber die in den Rechnungen ausgewiesene Mehrwertsteuer an die Lieferer gezahlt hat und dass zum anderen die Lieferer diese Mehrwertsteuerbeträge an die Steuerbehörde abgeführt haben (mehr hierzu in RZ. 33 des Urteils).

Sollte der Kläger den Betrag, der der Verringerung seines ursprünglichen Abzugs entspricht, tatsächlich bereits an die Steuerbehörde gezahlt haben, ist ihm somit ein finanzieller Schaden entstanden, da er nicht über diesen Betrag verfügen kann. Wenn die von der Behörde zu Unrecht erhobene Mehrwertsteuer nicht innerhalb einer angemessenen Frist erstattet wird, müsste dieser Schaden demnach, da er aufgrund eines Verstoßes des Mitgliedstaats gegen das Unionsrecht entstanden ist, durch die Zahlung von Verzugszinsen ausgeglichen werden.

Fundstelle

EuGH-Urteil vom 7. September 2023, Rechtssache C‑453/22 Schütte

Eine englische Zusammenfassung dieses Urteils finden Sie hier.

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