Zur Berechnung der Beteiligungsschwelle für Streubesitzdividenden
In einem Urteil zur Bestimmung der Beteiligungshöhe i. S. des § 8b Abs. 4 Körperschaftsteuergesetz hat der Bundesfinanzhof entschieden, dass der Begriff "Beteiligung" bei der Berechnung der Beteiligungsschwelle des § 8b Abs. 4 Satz 1 KStG für sogenannte Streubesitzdividenden auf die allgemeinen Grundsätze der steuerrechtlichen Zurechnung von Wirtschaftsgütern (§ 39 Abgabenordnung) Bezug nimmt. Entscheidend ist das wirtschaftliche Eigentum an den Anteilen.
Hintergrund
Eine Streubesitzbeteiligung i. S. des § 8b Abs. 4 Satz 1 Körperschaftsteuergesetz (KStG) liegt vor, wenn die Beteiligung zu Beginn des Kalenderjahres weniger als 10 % betragen hat. Die Klägerin, eine GmbH, und X waren Aktionäre der Y-AG. Die Klägerin hielt hiervon 9,898 %; Hauptaktionär war X mit 85,1 %.
Die Klägerin schloss am 16. Dezember 2013 mit dem Hauptaktionär einen Kauf- und Übertragungsvertrag über 50 Aktien ab, der sie über die Beteiligungsschwelle von 10 % brachte. Allerdings stand dieser Vertrag unter der aufschiebenden Bedingung der Kaufpreiszahlung, und diese verzögerte sich wegen einer Fehlüberweisung bis in das Jahr 2014, so dass der zivilrechtliche Eigentumsübergang unstreitig erst zu Beginn 2014 stattfand.
Im Jahr 2014 (Streitjahr) bezog die Klägerin von der Y-AG Dividenden in Höhe für den Zeitraum 01.01.2012 bis 31.12.2012 und für den Zeitraum 01.01.2013 bis 31.12.2013. In der Körperschaftsteuererklärung für 2014 erklärte sie insoweit steuerfreie Bezüge im Sinne des § 8b Abs. 1 KStG in der für das Streitjahr geltenden Fassung und nicht abziehbare Betriebsausgaben nach § 8b Abs. 5 KStG. Das Finanzamt lehnte eine Anwendung des § 8b Abs. 1 KStG ab und berücksichtigte die Dividenden in voller Höhe bei der Ermittlung des Einkommens. Die Klägerin habe zu Beginn des Jahres 2014 noch nicht die nach § 8b Abs. 4 KStG erforderliche Beteiligungsschwelle von 10 % erreicht.
Das Finanzgericht hatte der Klage stattgegeben. Die Beteiligungsschwelle des § 8b Abs. 4 KStG sei bereits zu Beginn des Streitjahres erreicht, da die Klägerin zu diesem Zeitpunkt zwar noch nicht zivilrechtliche, aber wirtschaftliche Eigentümerin der am 16.12.2013 erworbenen Anteile geworden sei.
Entscheidung des BFH
Der BFH schloss sich der Ansicht der Vorinstanz an und wies die Revision des Finanzamts als unbegründet zurück. Es liegen keine Streubesitzdividenden vor. Entgegen der Auffassung des Finanzamts kommt es für die Ermittlung der Höhe der Beteiligung nicht allein auf das zivilrechtliche Eigentum an. Vielmehr ist die steuerrechtliche Zurechnung der Kapitalanteile nach § 39 Abgabenordnung (AO) maßgebend (wirtschaftliches Eigentum).
Dies folge bereits daraus, dass sich § 8b Abs. 4 Satz 1 KStG auf "Bezüge im Sinne des Absatzes 1" (u. a. Dividenden im Sinne des § 20 Abs. 1 Einkommensteuergesetz) bezieht und als Rechtsfolge anordnet, diese Bezüge - "abweichend von der in Absatz 1 Satz 1"angeordneten Befreiung - bei der Ermittlung des Einkommens zu berücksichtigen. Aus dieser Bezugnahme sei zu schließen, so der BFH, dass es auch bei der Beteiligungsschwelle im Sinne des § 8b Abs. 4 Satz 1 KStG nur um diejenigen Anteile gehen kann, die zu Bezügen im Sinne des § 8b Abs. 1 Satz 1 KStG führen können.
Nach § 39 Abs. 1 AO kommt es für die steuerrechtliche Zurechnung von Wirtschaftsgütern zunächst auf das zivilrechtliche Eigentum an. Zum Stichtag 01.01.2014 war die Klägerin aber noch nicht zivilrechtliche Eigentümerin der Stückaktien geworden, die sie mit Vertrag vom 16.12.2013 von X erworben hatte und die ihre Beteiligungsquote an der Y-AG von 9,898 % auf 10,00425 % anheben sollte. Denn die Eigentumsübertragung stand vertragsgemäß unter der aufschiebenden Bedingung der vollständigen Kaufpreiszahlung, die aufgrund einer zunächst fehlgeschlagenen Überweisung erst nach dem 01.01.2014 erfolgte. Allerdings war die Klägerin am 01.01.2014 nach den Maßgaben des § 39 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 AO bereits wirtschaftliche Eigentümerin der erworbenen Anteile.
Die Würdigung des Finanzgerichts, dass diese Voraussetzungen im Streitfall noch vor dem 01.01.2014 zu einem Übergang des wirtschaftlichen Eigentums an den mit Vertrag vom 16.12.2013 erworbenen Aktien geführt haben, ist nach Auffassung des BFH zutreffend. Das Finanzgericht hatte festgestellt, dass die Anteile bereits 2013 wirtschaftlich der Klägerin zuzurechnen waren, weil diese bereits ein Anwartschaftsrecht erlangt hatte, das ihr einseitig von dem Veräußerer nicht mehr entzogen werden konnte, und dass sie bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise auch bereits das Gewinnbezugsrecht erlangt hatte. Die Tatsache, dass der Klägerin die Stimmrechte aus den 50 Aktien noch nicht zustanden, war nicht entscheidungserheblich, da sie sich mit einer Beteiligung von knapp über oder knapp unter 10 % gleichermaßen einem Hauptaktionär mit einer Beteiligung von 85 v. H. bzw. 85,1 v. H. gegenübersah und die Erhöhung ihres Stimmrechts somit im konkreten Fall praktisch keine Auswirkung hatte.
Abschließend weist der BFH darauf hin, dass nicht einzelne Strukturelemente maßgebend sind, sondern wem nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse die wirtschaftliche Dispositionsbefugnis zusteht. Dabei ist für den Fall des Erwerbs von Wertpapieren zu berücksichtigen, dass die "Rechtsmacht" des Erwerbers vom Inhaber des Wertpapiers (als Verkäufer) abgeleitet sein muss und somit der konkrete Ausschluss der (wirtschaftlichen) Inhaberschaft des Verkäufers erforderlich ist (so auch im BFH-Urteil vom 02.02.2022 - I R 22/20, m.w.N.; zum Urteil selbst siehe unseren Blogbeitrag vom 30. Juni 2022).
Fundstelle
BFH, Urteil vom 7. Juni 2023 (I R 50/19) – veröffentlicht am 14. September 2023.
Eine englische Zusammenfassung dieses Urteils finden Sie hier.