EuGH: Inanspruchnahme der Fusionsrichtlinie nicht von zusätzlichen Anforderungen abhängig
Der EuGH hat entschieden, dass Artikel 8 Abs. 2 der Fusionsrichtlinie (Richtlinie 2009/133/EG) nationalen Rechtsvorschriften entgegensteht, welche die Inanspruchnahme dieser Bestimmung von Voraussetzungen abhängig machen, die sich auf die Verringerung der Beteiligung des Gesellschafters der einbringenden Gesellschaft an dieser Gesellschaft oder auf die Verringerung des Gesellschaftskapitals dieser Gesellschaft beziehen und in dieser Richtlinie nicht vorgesehen sind.
Hintergrund
Der EuGH musste in einem ungarischen Fall über die steuerlichen Folgen entscheiden, die eine bei von der Klägerin (eine Holding Kft.) gehaltenen Gesellschaften vorgenommene Abspaltung mit Fusion durch Übernahme für diese Gesellschaft hat. Dabei stand die Auslegung der Richtlinie 2009/133/EG des Rates vom 19. Oktober 2009 (Fusionsrichtlinie) im Fokus der richterlichen Rechtsfindung.
In Art. 8 der Richtlinie 2009/133/EG ist u.a. bestimmt:
„(2) Die Zuteilung von Anteilen am Gesellschaftskapital der übernehmenden Gesellschaft an einen Gesellschafter der einbringenden Gesellschaft aufgrund einer Abspaltung darf für sich allein keine Besteuerung des Veräußerungsgewinns dieses Gesellschafters auslösen.“
Der Fall betraf ein ungarisches Unternehmen (GE Infrastructure), das als Anteilseigner an einer inländischen Übertragung (im Wege einer Abspaltung) eines Geschäftsbereichs zwischen zwei seiner ungarischen Tochtergesellschaften beteiligt war. Bei der entsprechenden Abspaltung wurde der Geschäftsbereich aus der übertragenden Gesellschaft ausgegliedert und gleichzeitig in der übernehmenden Gesellschaft verschmolzen. Die Spaltung führte zu einem Nettoverlust auf der Ebene von GE Infrastructure. Der Verlust war darauf zurückzuführen, dass der Aktionär die Anteile an der übertragenden Gesellschaft zum beizulegenden Zeitwert ausbuchte, während er die neuen Anteile an der übernehmenden Gesellschaft zum Buchwert des Unternehmens ansetzte. Diese Behandlung wurde durch die ungarischen Generally Accepted Accounting Principles (HU GAAP) ermöglicht, die eine Entflechtung unter Verwendung der bestehenden Buchwerte erlauben.
Das ungarische Finanzamt ist der Auffassung, dass die Spaltung eine Steuerpflicht auf Gesellschafterebene auslöst:
- aufgrund der Tatsache, dass das nominale (eingetragene) Eigenkapital der übertragenden Gesellschaft, während der Abspaltung nicht reduziert wurde; die Transaktion könne nicht als Umwandlung auf Gesellschafterebene behandelt werden, und
- die betreffenden Aktien fielen unter die ungarische Regelung zur Befreiung von Beteiligungen; daher seien Verluste auf die Aktien nicht abzugsfähig,
Urteil des EuGH
Der EuGH entscheidet im Ergebnis, dass der Vorteil des Art. 8 Abs. 2 der Steuerfusionsrichtlinie nicht von zusätzlichen Anforderungen abhängig gemacht werden kann, die nicht in der Richtlinie selbst festgelegt sind.
Fazit der Entscheidung: Die Steuerfusionsrichtlinie regelt ausschließlich die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Steuerstundungsmechanismus bei Umstrukturierungen. Die Tatsache, dass EU-Mitgliedstaaten die Anwendung der Richtlinie in Bezug auf Transaktionen verweigern können, deren Hauptziel Steuerhinterziehung oder Steuervermeidung ist, bedeutet nicht, dass sie weitere Bedingungen (wie in der Richtlinie erforderlich) für die Gewährung eines Steueraufschubs vorsehen können.
Anmerkung: Diese Schlussfolgerung wurde dem englischen EUDTG Newsalert vom 17. November 2023 entnommen. Den ausführlichen Newsalert finden Sie hier: PwC EUDTG Newsalert - 17 November 2023 (1).pdf
Fundstelle
EuGH-Urteil vom 16. November 2023 (C-318/22), GE Infrastructure Hungary Holding