Wahlrecht zur Buchwertfortführung, wenn während des Rückwirkungszeitraums getätigte Entnahmen zu negativen Anschaffungskosten des Einbringenden führen

Das Finanzgericht Münster hat mit zwei im Wesentlichen inhaltsgleichen Urteilen entschieden, dass das Wahlrecht der übernehmenden Gesellschaft, für das eingebrachte Betriebsvermögen den Buchwert anzusetzen, auch nicht dadurch ausgeschlossen wird, dass der Abzug von Entnahmen im Rückwirkungszeitraum gem. § 20 Abs. 5 Satz 3 UmwStG 2006 (i.d.F. des Steueränderungsgesetzes 2015, StÄndG 2015) zu negativen Anschaffungskosten führt. Der Wortlaut des § 20 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 und Satz 4 UmwStG ist in dem Fall, entgegen Rn. 20.19 UmwStE 2011, nicht teleologisch zu erweitern.

Sachverhalt

In dem unter dem Aktenzeichen 9 K 935/21 K geführten Verfahren brachte der Kläger im Jahr 2016 sein Einzelunternehmen gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten in eine von ihm im Jahr 2015 gegründete und im Jahr 2016 in das Handelsregister eingetragene GmbH ein, deren alleiniger Geschäftsführer der Kläger war. Die Einbringung erfolgte zu Buchwerten und wurde auf den 1.1.2016 zurückbezogen.

In dem ähnlich gelagerten, unter dem Aktenzeichen 9 K 1242/21 K geführten Verfahren wandelte der Kläger im Jahr 2014 sein Einzelunternehmen in eine GmbH um und übertrug das Vermögen seines Einzelunternehmens als Gesamtheit auf die von ihm zeitgleich gegründete GmbH. Die Einbringung erfolgte zu Buchwerten und wurde auf den 1.1.2014 zurückbezogen.

Insbesondere aufgrund von Entnahmen im Rückwirkungszeitraum wurden die Anschaffungskosten an den übernehmenden Gesellschaften jeweils negativ. Das Finanzamt vertrat im Anschluss an eine Betriebsprüfung die Auffassung, dass es nach § 20 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 und Satz 4 UmwStG 2006 keine negativen Anschaffungskosten geben könne und das übernommene Betriebsvermögen deshalb in beiden Fällen mit dem Zwischenwert bei der übernehmenden Gesellschaft anzusetzen sein müsse. Hierdurch entstand jeweils ein steuerpflichtiger Einbringungsgewinn bei den Klägern.

Richterliche Entscheidung

Hinsichtlich der Zulässigkeit der Klagen stellte das FG Münster unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des BFH in beiden Streitfällen fest, dass dem Kläger als Einbringenden im Fall der Einbringung eines Betriebs i.S.d. § 20 UmwStG 2006 ein Anfechtungsrecht gegen die gegenüber der aufnehmenden Gesellschaft ergangenen Steuerfestsetzung zusteht, wenn der Kläger geltend macht, dass das Finanzamt das eingebrachte Betriebsvermögen zu Unrecht mit einem höheren Wert als dem Buchwert angesetzt hat (vgl. BFH-Urteile vom 8.6.2011, I R 79/10 und vom 13.9.2018, I R 19/16, siehe unseren Blogbeitrag)

In materiell-rechtlicher Hinsicht hat das Finanzgericht Münster in beiden Streitfällen entschieden, dass das Finanzamt den Wert des vom Kläger eingebrachten Betriebsvermögens zu Unrecht bei der aufnehmenden Gesellschaft mit einem Zwischenwert angesetzt hat. Maßgeblich sind in beiden Fällen vielmehr die Buchwerte des eingebrachten Betriebsvermögens. Die Berechtigung der aufnehmenden Gesellschaften zum Ansatz des eingebrachten Betriebsvermögens mit dem Buchwert wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass der Abzug der vom Finanzamt festgestellten Entnahmen im Rückwirkungszeitraum gem. § 20 Abs. 5 Satz 3 UmwStG 2006 in den Streitfällen jeweils zu negativen Anschaffungskosten geführt hat. Die Vorschrift des § 20 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 und Satz 4 UmwStG ist über dessen Wortlaut hinaus auf die Streitfälle nicht anzuwenden.

Das Finanzgericht stützte sich diesbezüglich insbesondere auf die Erwägungen des BFH zu § 20 Abs. 7 Sätze 2 und 3 UmwStG 2002 (BFH-Urteil vom 7.3.2018, I R 12/16), die für die hiesigen Streitfälle weiterhin Gültigkeit haben. Die Vorschriften des § 20 Abs. 7 Satz 2 und 3 UmwStG 2002 wurden zwischenzeitlich in § 20 Abs. 5 Sätze 2 und 3 UmwStG 2006 verschoben, ohne – so das Finanzgericht Münster – dass sich die inhaltlichen Wertungen verändert haben. Die Vorschriften stellen lediglich besondere Einkommensermittlungsvorschriften dar und zielen nicht darauf ab, einen geänderten Entnahmezeitpunkt zu fingieren.

Der Umstand, dass der Gesetzgeber mit dem StÄndG 2015 § 20 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 UmwStG eingefügt hat, führt zu keinem anderen Ergebnis. Es ist – so das Finanzgericht – nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber mit der Einführung dieser Regelung die Entstehung von negativen Anschaffungskosten verhindern wollte.

Die Revisionen wurden wegen grundsätzlicher Bedeutung nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zugelassen.

Fundstelle

Finanzgericht Münster, Urteile vom 17. Mai 2023 (9 K 935/21 K und 9 K 1242/21 K); die Revisionen wurden zugelassen, über die Einlegung ist noch nichts bekannt.

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