Teleologische Reduktion von § 8c Abs. 1 Satz 1 und 3 KStG bei dauerhafter Beteiligung desselben Erwerbers zu mehr als 50%
Das Finanzgericht Münster hat durch ein aktuelles Urteil entschieden, dass kein schädlicher Beteiligungserwerb im Sinne des § 8c Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Satz 3 KStG (in der Fassung des Gesetzes zur Vermeidung von Umsatzsteuerausfällen beim Handel mit Waren im Internet und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften vom 11.12.2018, BGBl. I 2018, 2338) vorliegt, wenn im zu betrachtenden 5-Jahres-Zeitraum durchgängig dieselbe Person Mehrheitsanteilseigner der betroffenen Körperschaft ist. Die Vorschriften sind teleologisch zu reduzieren und auf einen solchen Fall nicht anzuwenden.
Sachverhalt
An der Klägerin (inländische GmbH) war seit ihrer Gründung im Jahr 2009 die C GmbH als Mehrheitsgesellschafterin beteiligt (mit einem Anteil am Stammkapital i.H.v. 12.550 Euro von insgesamt 25.000 Euro = 50,2%).
Am 18.6.2015 erwarb die C GmbH auch die restlichen Geschäftsanteile an der Klägerin in Höhe von 49,8% des Stammkapitals. Am 23.6.2015 veräußerte die Klägerin an zwei Neugesellschafter jeweils 20% der Anteile und blieb folglich zu 60% beteiligt. Die veräußerten Geschäftsanteile hatte die C GmbH seit der Gründung der Klägerin durchgängig immer gehalten.
Am 19.12.2017 erwarb die C GmbH Anteile in Höhe von 12,4% des Stammkapitals zurück und war fortan zu 72,4% beteiligt.
Zum 31.12.2017 stellte das zuständige Finanzamt einen verbleibenden Verlustvortrag zur Körperschaftsteuer und einen vortragsfähigen Gewerbeverlust der Klägerin in Höhe von jeweils 574.090 Euro gesondert fest.
Am 11.7.2018 beschlossen die Gesellschafter eine Erhöhung des Stammkapitals der Klägerin um 9.470 Euro auf 34.970 Euro. Die neuen Anteile wurden ausschließlich an die C GmbH ausgegeben (disquotale Kapitalerhöhung), die danach zu 79,98% an der Klägerin beteiligt war.
Das Finanzamt ging davon aus, dass zwar nicht die beiden Anteilserwerbe der C-GmbH vom 18.6.2015 und 19.12.2017 in Höhe von 49,8% bzw. 12,4% des Stammkapitals zusammen einen schädlichen Beteiligungserwerb i.S.d. § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG i.d.F. darstellten, weil die am 19.12.2017 erworbenen Anteile (12,4%) die nämlichen Anteile seien, welche die C GmbH zuvor selbst veräußert habe (Tz. 22-23 des BMF-Schreibens vom 28.11.2017, BStBl. I 2017, 1645). Deshalb dürften die 12,4% nicht mitgezählt werden.
Jedoch seien der Anteilserwerb vom 18.6.2015 (49,8%) und die Übernahme der neuen Anteile im Zuge der Kapitalerhöhung am 11.7.2018 zusammenzurechnen und als schädlicher Beteiligungserwerb i.S.d. § 8c Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Satz 3 KStG zu qualifizieren.
Das Finanzamt ließ deshalb im Körperschaftsteuerbescheid und Gewerbesteuermessbescheid 2018 sowie in den Verlustfeststellungsbescheiden zum 31.12.2018 sowohl die zum 31.12.2017 gesondert festgestellten als auch die im laufenden Wirtschaftsjahr 2018 bis zum 11.7. entstandenen Verluste (letztere zeitanteilig zu 192/365) unberücksichtigt.
Richterliche Entscheidung
Das Finanzgericht Münster hat der gegen die Annahme eines schädlichen Beteiligungserwerbs gerichteten Klage stattgegeben.
Zwar habe die C GmbH innerhalb von fünf Jahren mehr als 50% des heutigen Stammkapitals der Klägerin i.H.v. 34.970 Euro durch einen Anteilserwerb und eine Kapitalerhöhung erworben, so dass der Tatbestand des § 8c Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Satz 3 KStG erfüllt sei. Diese Vorschriften seien jedoch teleologisch zu reduzieren, wenn es niemals einen Wechsel der Mehrheitsanteilseignerschaft ("change of control") an der betroffenen Kapitalgesellschaft gegeben habe.
Unter Verweis auf die Gesetzesbegründung, wonach "der Neuregelung des § 8c KStG der Gedanke zugrunde [liegt], dass sich die wirtschaftliche Identität einer Gesellschaft durch das wirtschaftliche Engagement eines anderen Anteilseigners (oder Anteilseignerkreises) ändert" (BT-Drs. 16/4841 vom 27.3.2007, S. 76) und diverse Stimmen in Rspr. und Literatur (vgl. Rn. 67 des Urteils) ist nach Auffassung des Finanzgerichts die Anwendung des § 8c Abs. 1 KStG unangemessen, wenn im zu betrachtenden 5-Jahres-Zeitraum durchgängig dieselbe Person - hier die C GmbH - Mehrheitsgesellschafter war.
Zudem sei zu berücksichtigen, dass das BVerfG im Beschluss 2 BvL 6/11 vom 29.3.2017 (BStBl. II 2017, 1082) die Anwendung von § 8c (Satz 1 bzw. Abs. 1 Satz 1) KStG (in der vor dem Gesetz vom 11.12.2018 geltenden Fassung) in Fällen, in denen mehr als 25%, jedoch nicht mehr als 50% der Anteile auf neue Gesellschafter übertragen worden seien, für verfassungswidrig erklärt habe. Ein solcher Fall sei vorliegend gegeben, weshalb die teleologische Reduktion auch verfassungsrechtlich geboten sei.
Das Finanzgericht hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO).
Fundstelle
Finanzgericht Münster, Urteil vom 23. August 2023 (9 K 2166/21 K, G, F); die Revision ist beim BFH unter dem Az. I R 53/23 anhängig.