Erstattungszinsen als tarifbegünstigte Vergütung für mehrjährige Tätigkeiten

Erstattungszinsen, die zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb gehören, sind als tarifbegünstigte Vergütung für mehrjährige Tätigkeiten anzusehen, wenn die zugrunde liegende Steuererstattung als Vergütung für mehrjährige Tätigkeiten nach § 34 Abs. 2 Nr. 4 des Einkommensteuergesetzes tarifbegünstigt ist (Abweichung vom BFH-Urteil vom 12.11.2013 - VIII R 36/10, BFHE 243, 506, BStBl II 2014, 168 mit Zustimmung des VIII. Senats). Dies hat der Bundesfinanzhof (BFH) in einem aktuellen Urteil entschieden.

Sachverhalt

Die Kläger sind Eheleute, die im Streitjahr 2012 zur Einkommensteuer zusammenveranlagt werden. Der Kläger erzielte gewerbliche Einkünfte aus dem Betrieb eines Kraftfahrzeughandels; seinen Gewinn ermittelte er durch Betriebsvermögensvergleich.

Das Finanzamt erließ am 28.11.2012 geänderte Umsatzsteuerbescheide für die Jahre 1997 bis 2000. Diese beruhten auf einer tatsächlichen Verständigung, mit der ein insgesamt mehr als acht Jahre andauerndes Einspruchs-, Klage- und Revisionsverfahren, das aus einer Steuerfahndungsprüfung hervorgegangen war, im zweiten Rechtsgang vor dem Finanzgericht abgeschlossen wurde. Mit den Bescheiden wurde die Umsatzsteuer um insgesamt 321.774 € herabgesetzt; ferner wurden ‑nach den Feststellungen des Finanzgerichts‑ Erstattungszinsen in Höhe von insgesamt 203.022 € festgesetzt.

Die Kläger begehrten die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes nach § 34 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) auf die geballt zu versteuernden Umsatzsteuererstattungen sowie auf die Erstattungszinsen. Dies begründeten sie im Wesentlichen mit dem kurz zuvor veröffentlichten BFH-Urteil vom 25.02.2014, X R 10/12 (BStBl II 2014, 668).

Das Finanzamt gewährte den Antrag jedoch nur für die Steuererstattungen, jedoch nicht für die Erstattungszinsen.

Die Klage vor dem Finanzgericht München hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht verwies zur Begründung im Wesentlichen auf das Urteil des BFH vom 12.11.2013, VIII R 36/10 (BStBl II 2014, 168).

Entscheidung des BFH

Der BFH hat der Revision stattgegeben und die Entscheidung der Vorinstanz aufgehoben.

Es handelt sich nicht nur bei den aufgrund des langjährigen Rechtsstreits zusammengeballt zu versteuernden Umsatzsteuererstattungen, sondern auch bei den darauf beruhenden Erstattungszinsen um ermäßigt zu besteuernde außerordentliche Einkünfte in Gestalt von Vergütungen für mehrjährige Tätigkeiten (§ 34 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 4 EStG).

Vergütungen sind nach der von der neueren Rechtsprechung verwendeten Definition alle Vorteile von wirtschaftlichem Wert, die der Steuerpflichtige im Rahmen der jeweiligen Einkunftsart erzielt (ständige höchstrichterliche Rechtsprechung seit dem BFH-Urteil vom 25.02.2014, X R 10/12).

Unter diese Begriffsbestimmung fallen auch Erstattungszinsen zu Betriebssteuern, die ‑wie im Streitfall‑ zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb gehören. Denn es handelt sich um Vorteile von wirtschaftlichem Wert, die im Rahmen der Einkünfte aus Gewerbebetrieb erzielt werden.

Nach der für die Anwendung des § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG geltenden Systematik findet die weite Auslegung des Begriffs der "Vergütung für mehrjährige Tätigkeiten" dadurch ihr Korrektiv, dass zusätzlich die "Außerordentlichkeit" der Einkünfte erforderlich ist, wozu auch eine typischerweise eintretende Progressionswirkung gehört (BFH, Urteil vom 25.02.2014, X R 10/12, BStBl II 2014, 668, Rz 48).

Vorliegend sind dem Kläger nicht nur die Umsatzsteuererstattungen aufgrund des langjährigen Rechtsstreits geballt zugeflossen und zum selben Zeitpunkt gewinnerhöhend zu erfassen gewesen; dies gilt vielmehr ebenso für die durch die Umsatzsteuererstattungen ausgelösten Erstattungszinsen. Diese haben die bereits durch die Umsatzsteuererstattungen ausgelöste Progressionswirkung zudem noch erheblich verstärkt.

Zur Progressionswirkung trägt im vorliegenden Fall gerade die erhebliche Höhe der Zinsen im Vergleich zur Hauptschuld bei: Die Erstattungszinsen (203.022 €) belaufen sich auf 63,1 % der erstatteten Umsatzsteuer (321.774 €) beziehungsweise auf 38,7 % des zusammengeballt zu versteuernden Gesamtbetrags (524.796 €).

§ 34 Abs. 2 Nr. 3 EStG entfaltet im Streitfall keine Sperrwirkung. Nach dieser Regelung kommen als außerordentliche Einkünfte Nutzungsvergütungen und Zinsen im Sinne des § 24 Nr. 3 EStG (d.h. nur solche für die Inanspruchnahme von Grundstücken für öffentliche Zwecke), soweit sie für einen Zeitraum von mehr als drei Jahren nachgezahlt werden, in Betracht. Der VIII. Senat hat hieraus für die Einkünfte aus Kapitalvermögen gefolgert, dass andere Zinsen als die in § 34 Abs. 2 Nr. 3 EStG genannten generell nicht von § 34 Abs. 2 EStG erfasst werden sollen (BFH-Urteil vom 12.11.2013, VIII R 36/10, BStBl II 2014, 168, Rz 39). Das Finanzgericht hat diese Rechtsprechung im Streitfall auch auf Zinsen, die zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb gehören, übertragen.

Für Zinsen, die zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb gehören, kann aus § 34 Abs. 2 Nr. 3 EStG jedoch keine derart umfassende Sperrwirkung abgeleitet werden. Dies folgt aus der Entstehungsgeschichte jener Norm.

Der VIII. Senat des BFH auf Anfrage des erkennenden Senats (§ 11 Abs. 3 Satz 1 FGO) mit Beschluss vom 04.07.2023 erklärt, dass er an seiner im Urteil vom 12.11.2013 - VIII R 36/10 (BFHE 243, 506, BStBl II 2014, 168) geäußerten Rechtsauffassung, wonach § 34 Abs. 2 Nr. 3 EStG eine Sperrwirkung in Bezug auf alle nicht in dieser Norm aufgeführten Zinsen entfaltet, nicht weiter festhält.

Fundstelle

BFH, Urteil vom 30. August 2023 (X R 2/22), veröffentlicht am 7. Dezember 2023.

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