EuGH-Vorlage zur Besteuerung der Umsätze von In-App-Käufen
Der Bundesfinanzhof hat dem Europäischen Gerichtshof Fragen zur Umsatzbesteuerung von sogenannten In-App-Käufen vorgelegt. In den Streitjahren (2012 bis 2014) war Art. 9a der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 282/2011 des Rates vom 15.03.2011 zur Festlegung von Mehrwertsteuer-Durchführungsvorschriften zur Richtlinie 2006/112/EG und die deutsche Umsetzung in § 3 Abs. 11a UStG noch nicht in Kraft getreten. Geklärt werden muss, wer umsatzsteuerrechtlicher Leistungserbringer ist und ob der Ort der Leistung in Deutschland oder in Irland ist.
Hintergrund
Der Streitfall betrifft die Rechtslage bis zum 31.12.2014. Im Zuge der sogenannten In-App-Käufe können zusätzliche Inhalte oder Dienste, beispielsweise Premium-Funktionen oder Verbesserungen in Spielen, kostenpflichtig freigeschaltet werden. Die Klägerin entwickelte und vertrieb Spiele-Apps für mobile Endgeräte wie z.B. Smartphones. Die Abwicklung der sog. In-App-Käufe erfolgte über den Appstore, der von der in Irland ansässigen X betrieben wurde und mittels einer der dort vom Endkunden hinterlegten Zahlungsmethode. Die Klägerin wurde im Rahmen des Bezahlprozesses nicht als Leistende genannt. Der Endkunde erhielt nach dem Kaufvorgang von X eine Bestellbestätigung per E-Mail. Diese E-Mail enthielt u.a. die Angabe, dass bei dem jeweiligen Entwickler (hier: der Klägerin) im Appstore eingekauft worden sei. X rechnete die In-App-Käufe monatlich mit der Klägerin ab und behielt für jeden Kauf eine Provision von 30 % ein.
Die Klägerin machte geltend, dass eine Dienstleistungskommission vorliege (§ 3 Abs. 11 UStG), X sei Leistungserbringer gegenüber den Endkunden und der Ort ihrer Leistung liege mithin in Irland. Das Finanzamt ist der Auffassung X sei lediglich Vermittler. Das Finanzgericht hatte der Klage stattgegeben (mehr dazu in unserem Blogbeitrag vom 2. Juli 2020).
EuGH-Vorlagebeschluss des BFH
Die erste Vorlagefrage resultiert aus den Zweifeln des BFH, ob die Annahme des Finanzgerichts, dass X und nicht die Klägerin die Leistungen an die Erwerber der In-App-Käufe ausgeführt habe, in Einklang mit Unionsrecht steht (RZ 56 bis 75 im Beschluss).
Ist in Fällen, in denen eine deutsche Steuerpflichtige (Entwicklerin) vor dem 01.01.2015 eine Dienstleistung auf elektronischem Weg an im Gemeinschaftsgebiet ansässige Nichtsteuerpflichtige (Endkunden) über einen Appstore einer irischen Steuerpflichtigen erbracht hat, Art. 28 der Richtlinie 2006/112/EG anzuwenden mit der Folge, dass die irische Steuerpflichtige so behandelt wird, als ob sie diese Dienstleistungen von der Entwicklerin erhalten und an die Endkunden erbracht hätte?
Nach Meinung des BFH könne für Umsätze vor dem 01.01.2015, bei denen der Leistungsort gemäß Art. 58 MwStSystRL a.F. noch nicht bei den im Gemeinschaftsgebiet ansässigen Leistungsempfängern lag, in allen nicht bestandskräftigen Fällen die Nichtbesteuerung von solchen Umsätzen drohen, die über den Appstore der X abgewickelt worden sind. In Irland würden sie nicht besteuert, weil Irland von einem Besteuerungsrecht des Ansässigkeitsstaats der Entwickler (hier: Deutschland) ausgeht. In Deutschland würden sie nicht besteuert, wenn der Senat die Auffassung des FG bestätigen würde, das von einem Besteuerungsrecht Irlands ausgegangen ist.
Mit der zweiten Frage ersucht der vorlegende BFH um Klärung der Rechtsfolgen des Art. 28 MwStSystRL zum Ort der Leistung bei „Steuerpflichtigen, die bei der Erbringung von Dienstleistungen im eigenen Namen, aber für Rechnung Dritter tätig werden“ (RZ 77 bis 98 im Beschluss).
Bei Bejahung der Frage 1: Liegt der Ort der gemäß Art. 28 MwStSystRL fingierten, von der Entwicklerin an den Appstore erbrachten Dienstleistung gemäß Art. 44 MwStSystRL in Irland oder gemäß Art. 45 MwStSystRL in Deutschland?
Rechtsfolge der Anwendung der § 3 Abs. 11 UStG, Art. 28 MwStSystRL ist die juristische Fiktion zweier gleichartiger Dienstleistungen, die nacheinander erbracht werden. Wie weit diese Fiktion reicht, ist in Deutschland umstritten, so der BFH. Folgende Lösungen sind denkbar: Die Entwicklerin (Klägerin) erbringt die gesamte die Leistung unmittelbar an den Endkunden, Ort der Dienstleistung wäre Deutschland. Gleiches Ergebnis, wenn man von einer Kommissionsleistung ausgeht und den Ort der Dienstleistung zwischen Kommittenten und Kommissionär bestimmt. Bei getrennter Bestimmung des Orts der Dienstleistung läge der Ort der Leistung in Irland.
Mit der dritten Frage soll geklärt werden, welche Auswirkungen es hat, dass X mit Einverständnis der Klägerin per E-Mail-Bestellbestätigungen versandt hat, in denen angegeben worden ist, dass bei der Klägerin im Appstore eingekauft worden sei, und in denen der Bruttopreis und die darin enthaltene deutsche Umsatzsteuer genannt sind (RZ 100 bis 107).
Falls die Entwicklerin keine Dienstleistungen in Deutschland erbracht hat: Besteht eine Steuerschuld der Entwicklerin für deutsche Umsatzsteuer gemäß Art. 203 MwStSystRL, weil der Appstore sie vereinbarungsgemäß in seinen per E-Mail an die Endkunden übermittelten Bestellbestätigungen als Leistende genannt und deutsche Umsatzsteuer ausgewiesen hat, obwohl die Endkunden nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt sind?
Fundstelle
BFH, EuGH-Vorlage vom 23. August 2023, XI R 10/20 – veröffentlicht am 8. Februar 2024.