Steuerfreie Zuschläge bei Bereitschaftsdiensten
Die Steuerfreiheit von Zuschlägen für Bereitschaftsdienste, die außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit erbracht und gesondert vergütet werden, bemisst sich nach dem Arbeitslohn für die regelmäßige Arbeitszeit und nicht nach dem Bereitschaftsdienstentgelt (entgegen Senatsurteil vom 27.08.2002, VI R 64/96). Nicht erforderlich ist, dass der Arbeitnehmer für die zuschlagsbewehrte Tätigkeit neben den Erschwerniszuschlägen einen Anspruch auf Grundlohn hat. Dies hat der Bundesfinanzhof (BFH) in einem aktuellen Urteil entschieden.
Sachverhalt
Die Klägerin betreibt eine Förderschule mit angeschlossenem Internat für Kinder und Jugendliche mit Beeinträchtigungen. Die in Wohngruppen lebenden Kinder und Jugendlichen werden von den Mitarbeitern auch in der Nacht betreut.
Die wöchentliche regelmäßige Arbeitszeit des Betreuungspersonals betrug im Streitzeitraum (Januar 2014 bis Dezember 2017) bei Vollzeitbeschäftigung durchschnittlich 39 Stunden. Die regelmäßigen monatlichen Dienstbezüge setzten sich aus der monatlichen Regelvergütung, dem sogenannten Tabellenentgelt, der Kinderzulage und den sonstigen Zulagen zusammen. Die Zeit der nächtlichen Beaufsichtigung wurde gemäß den arbeitsvertraglichen Regelungen als Bereitschaftsdienst behandelt.
Nach den arbeitsvertraglichen Regelungen wurde die Bereitschaftsdienstzeit zum Zwecke der Entgeltberechnung faktorisiert und nur zu 25 % als Arbeitszeit entgolten. Daneben erhielten die Mitarbeiter für den Bereitschaftsdienst in den Nachtstunden je tatsächlich geleisteter Stunde einen Zeitzuschlag in Höhe von 15 % des auf eine Stunde umgerechneten individuellen Tabellenentgelts.
Das den Mitarbeitern danach zustehende Bereitschaftsdienstentgelt buchte die Klägerin, soweit die faktorisierte Arbeitszeit entgolten wurde, unter der Lohnart 100 und versteuerte diesen Lohn regulär. Den Zeitzuschlag für die Zeit von 0:00 Uhr bis 6:00 Uhr zahlte sie steuerfrei aus, führte hierüber entsprechende Aufzeichnungen und buchte diesen als Lohnart 120 gesondert.
Nach einer Lohnsteuer-Außenprüfung gelangte das Finanzamt zu der Auffassung, die den Beschäftigten gezahlten Zuschläge hätten über den in § 3b Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) genannten Höchstgrenzen gelegen und seien insoweit zu Unrecht steuerfrei ausgezahlt worden. Als Bemessungsgrundlage für die Steuerfreiheit der Zuschläge und damit als Grundlohn im Sinne von § 3b Abs. 2 Satz 1 EStG sei nicht das Tabellenentgelt, sondern lediglich das Entgelt für den Bereitschaftsdienst anzusetzen.
Dies folge aus dem Senatsurteil vom 27.08.2002, VI R 64/96 (BFHE 200, 240, BStBl II 2002, 883). Nach dieser Entscheidung seien Zuschläge zur Rufbereitschaftsentschädigung wegen der geringeren Beeinträchtigungen des Arbeitnehmers bei der Ableistung von Rufbereitschaften gegenüber den Erschwernissen bei einer vollen Arbeitserbringung in den begünstigten Zeiten nur insoweit steuerfrei, als sie die in § 3b Abs. 1 EStG vorgesehenen und an der Rufbereitschaftsentschädigung gemessenen Prozentsätze nicht überstiegen. Die Entscheidung sei wegen der vergleichbar geringeren Beeinträchtigungen auf Bereitschaftsdienste entsprechend anzuwenden.
Die Klage dagegen vor dem Niedersächsischen Finanzgericht hatte Erfolg.
Entscheidung des BFH
Der BFH hat sich der Entscheidung der Vorinstanz angeschlossen und die Revision als unbegründet zurückgewiesen.
Das Finanzgericht hat die Steuerfreiheit der streitigen Nachtarbeitszuschläge zu Recht nach den regelmäßigen monatlichen Dienstbezügen der Beschäftigten (Grundlohn) und nicht nach dem Bereitschaftsdienstentgelt bemessen.
Die Steuerfreiheit von Zuschlägen für Bereitschaftsdienste, die außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit erbracht und gesondert vergütet werden, bemisst sich nach dem Arbeitslohn für die regelmäßige Arbeitszeit und nicht nach dem Bereitschaftsdienstentgelt (entgegen Senatsurteil vom 27.08.2002, VI R 64/96, BFHE 200, 240, BStBl II 2002, 883).
Denn nur das Tabellenentgelt ist der Grundlohn im Sinne von § 3b Abs. 2 Satz 1 EStG und damit die maßgebliche Größe, nach der die Steuerfreiheit der Zuschläge der Höhe nach zu berechnen ist. Eine andere "Bemessungsgrenze" kennt das Gesetz nicht.
Dass der Bereitschaftsdienst nach den arbeitsvertraglichen Regelungen nur angeordnet werden durfte, wenn zu erwarten war, "dass zwar Arbeit anfällt, erfahrungsgemäß aber die Zeit ohne Arbeitsleistung überwiegt", steht dem nicht entgegen. Denn eine konkret (individuell) belastende Tätigkeit verlangt das Gesetz für die Steuerfreiheit von Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeitszuschlägen in § 3b EStG nicht.
Es kommt nicht darauf an, ob die zuschlagsbewehrte Tätigkeit neben den Erschwerniszuschlägen bereits durch den Grundlohn abgegolten oder ‑wie im Streitfall‑ zusätzlich durch besondere Bereitschaftsdienstentgelte vergütet wird.
Fundstelle
BFH, Urteil vom 11. April 2024 (VI R 1/22), veröffentlicht am 20. Juni 2024.
Eine englische Zusammenfassung dieses Urteils finden Sie hier.