Verlustberücksichtigung bei Darlehensverzicht
Der vertragliche Rückzahlungsanspruch des Darlehensgebers als sonstige Kapitalforderung wird gemäß § 52 Abs. 28 Satz 16 des Einkommensteuergesetzes mit dem wirksamen Zustandekommen des Darlehensvertrags "begründet". Dies hat der BFH in einem aktuellen Urteil entschieden.
Sachverhalt
Die Kläger sind Eheleute und werden für das Jahr 2018 (Streitjahr) zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Mit Vertrag vom 01.08.2006 verpachtete die Klägerin der Q Ltd. das ihr gehörende und mit einem Hotelgebäude bebaute Grundstück X-Straße 1 sowie einen Personenkraftwagen. Der Kläger war Director der Q Ltd. mit Sitz in London und Zweigniederlassung in der Bundesrepublik Deutschland. Seit 2011 war der Kläger auch Alleingesellschafter der Q Ltd. Die Q Ltd. wurde im Jahr 2019 aufgelöst und die Zweigniederlassung aufgehoben.
Am 01.01.2008 gewährte die Klägerin der Q Ltd. ein Darlehen über maximal 150.000 €, rückzahlbar zum Ende des Vertrags. Die Q Ltd. sollte berechtigt sein, das Darlehen jederzeit bis zur maximalen Höhe abzurufen oder zu tilgen. Die Zinsen wurden jährlich ermittelt und am Ende des Jahres dem Darlehen zugeschlagen. Rückzahlungen sollten vorrangig auf die Zinsen verrechnet werden. Die Entwicklung des Darlehenskontos ergibt sich aus den Jahreskontoauszügen 2008 bis 2018.
Mit Auflösungsvereinbarung vom 31.12.2018 verzichtete die Klägerin zum 31.12.2018 vollständig auf die Rückzahlung des Darlehens. Das Darlehen valutierte am 31.12.2018 mit 111.865,11 €. In ihrer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr machten die Kläger den Darlehensverzicht als der tariflichen Einkommensteuer unterliegenden Verlust in voller Höhe bei den Einkünften der Klägerin aus Kapitalvermögen geltend. Die Q Ltd. habe bereits im Vorjahr einen Verlust von 54.000 € erzielt, der das Eigenkapital der Gesellschaft überstiegen habe. Ohne den Darlehensverzicht hätte der Verlust der Q Ltd. im Streitjahr 59.000 € betragen.
Das Finanzamt erkannte den Verlust aus dem Darlehensverzicht im Einkommensteuerbescheid vom 03.11.2020 nicht an. § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 des Einkommensteuergesetzes (EStG) i.d.F. des Art. 1 des Unternehmensteuerreformgesetzes 2008 vom 14.08.2007 ‑UntStRefG 2008‑ (BGBl I 2007, 1912) sei erstmals anwendbar auf Kapitalforderungen, die nach dem 31.12.2008 begründet worden seien. Die Kapitalforderung, auf die die Klägerin verzichtet habe, sei aber mit Abschluss des Darlehensvertrags am 01.01.2008 begründet worden.
Die Klage vor dem Finanzgericht Berlin-Brandenburg hatte Erfolg.
Entscheidung des BFH
Der BFH hat der Revision stattgegeben und die Entscheidung der Vorinstanz aufgehoben.
Nach der Rechtsprechung des Senats führt der endgültige Ausfall einer Kapitalforderung im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG in der privaten Vermögenssphäre nach Einführung der Abgeltungsteuer grundsätzlich zu einem steuerlich anzuerkennenden Verlust nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7, Satz 2, Abs. 4 EStG (BFH, Urteil vom 24.10.2017, VIII R 13/15, BStBl II 2020, 831). Auch der Forderungsverzicht führt in Höhe des nicht werthaltigen Teils der Forderung im Verzichtszeitpunkt zu einem gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7, Satz 2, Abs. 4 EStG steuerbaren Abtretungsverlust (BFH, Urteil vom 06.08.2019, VIII R 18/16, BStBl II 2020, 833).
Der Anwendungsbereich des durch das Unternehmensteuerreformgesetz 2008 neu eingeführten Veräußerungstatbestands in § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG ist im Streitfall jedoch nicht eröffnet.
§ 52 Abs. 28 Satz 15 und 16 EStG regeln in zeitlicher und sachlicher Hinsicht den Übergang zum neuen § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG. § 52 Abs. 28 Satz 15 EStG bestimmt den zeitlichen Anwendungsbereich. Er definiert den Zeitpunkt (nach dem 31.12.2008) und das Ereignis (Zufluss des Kapitalertrags aus der Veräußerung sonstiger Kapitalforderungen) für die Anwendung des neuen Rechts. Grundsätzlich ist neues Recht anwendbar, wenn diese beiden Voraussetzungen erfüllt sind.
§ 52 Abs. 28 Satz 16 EStG schränkt die Grundregel in sachlicher Hinsicht ein, indem er § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG für unanwendbar ("ist nicht anzuwenden") bei der Veräußerung bestimmter Kapitalforderungen erklärt. Das Kriterium für die Nichtanwendung ist der Zeitpunkt des "erfolgten Erwerbs" der veräußerten Kapitalforderung.
Streitig ist allein, ob die Forderung im Sinne von § 52 Abs. 28 Satz 16 EStG vor dem 01.01.2009 angeschafft oder begründet war.
Der vertragliche Rückzahlungsanspruch des Darlehensgebers ist im Sinne des § 52 Abs. 28 Satz 16 EStG mit dem wirksamen Zustandekommen des Darlehensvertrags "begründet".
Der Senat legt die Übergangsvorschrift unter Berücksichtigung der bisherigen Interpretation durch den BFH dahin aus, dass es für den sachlichen Anwendungsbereich der Besteuerungsnorm auf den Zeitpunkt ankommt, in dem der Rechtsgrund für den Anspruch gelegt worden ist. Das ist der Zeitpunkt des Vertragsschlusses, da es sich bei dem Darlehensrückzahlungsanspruch um einen vertraglichen Anspruch handelt. Zu diesem Zeitpunkt ist auch der "Erwerb" des Rückzahlungsanspruchs erfolgt, denn der Darlehensnehmer verpflichtet sich bereits im Darlehensvertrag zur Rückzahlung des Darlehens.
Das Finanzgericht hat bindend (§ 118 Abs. 2 FGO) festgestellt, dass der Darlehensvertrag zwischen der Klägerin und der Q Ltd. vor dem 01.01.2009 wirksam zustande gekommen ist. Davon gehen auch die Beteiligten übereinstimmend aus. Damit ist der Rückzahlungsanspruch der Klägerin als Darlehensgeberin vor dem 01.01.2009 im Sinne des Übergangsrechts "begründet" worden, weil sein Rechtsgrund zu diesem Zeitpunkt gelegt war.
Auf dieser Grundlage ist der Anspruch, auf den die Klägerin verzichtet hat, entgegen der Auffassung der Kläger, nicht erst 2014 (neu) entstanden. Der Rechtsgrund für den Anspruch ist der Vertrag vom 01.01.2008. Ein anderer Darlehensvertrag ist nicht abgeschlossen worden.
Fundstelle
BFH, Urteil vom 18. Juni 2024 (VIII R 25/23), veröffentlicht am 8. August 2024.