EuGH zum Direktanspruch bei zu Unrecht in Rechnung gestellter und entrichteter Mehrwertsteuer

Der Bundesfinanzhof hatte den Europäischen Gerichtshof um Vorabentscheidung zu der Frage eines Direktanspruchs bei zu Unrecht in Rechnung gestellter und gezahlter deutscher Mehrwertsteuer bei Insolvenz des Leistenden gebeten. In ihrem heutigen Urteil vertreten die Europarichter die Auffassung, dass der Leistungsempfänger nicht unmittelbar bei der Finanzverwaltung des Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet er ansässig ist, die Erstattung der an den Leistenden gezahlten Mehrwertsteuer verlangen kann.

Hintergrund

Der Vorlagefall betrifft Sale-and-lease-back Geschäfte einer KG mit einer GmbH über Motorboote, welche die GmbH zuvor von einer italienischen Gesellschaft erworben hatte. Dem Leistungsempfänger (KG) wurde der Vorsteuerabzug verweigert, da der Leistende (die GmbH) zu Unrecht deutsche Umsatzsteuer, statt italienische Mehrwertsteuer, in der Rechnung auswies. Zwar wurde die unrichtig in Rechnung gestellte Umsatzsteuer vom Leistenden an sein Finanzamt abgeführt. Auch hatte dieser die Rechnung entsprechend korrigiert. Die als Teil des Leasingbetrags mitentrichtete Umsatzsteuer erhielt der Leistungsempfänger jedoch von dem leistenden Unternehmer aufgrund dessen Insolvenz nicht mehr erstattet (siehe hierzu unseren Blogbeitrag/Update vom 18. September 2023). Der Bundesfinanzhof hatte den EuGH u. a. gefragt, ob dem inländischen Leistungsempfänger ein Direktanspruch gegen die inländische Finanzverwaltung entsprechend dem EuGH-Urteil Reemtsma Cigarettenfabriken vom 15.03.2007 - C-35/05 zusteht.

Entscheidung des EuGH

Der EuGH entschied, dass der Leistungsempfänger nicht unmittelbar bei der Finanzverwaltung des Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet er ansässig ist, die Erstattung der Mehrwertsteuer verlangen kann, die er an den Leistenden gezahlt hat, welcher irrtümlich die deutsche Mehrwertsteuer statt der in einem anderen Mitgliedstaat (Italien) gesetzlich geschuldeten Mehrwertsteuer in Rechnung gestellt und an die Steuerbehörden des erstgenannten Mitgliedstaats abgeführt hat, wenn diese dem Leistenden, der sich in einem Insolvenzverfahren befindet, die Mehrwertsteuer bereits erstattet haben.

Die auf das Urteil Reemtsma Cigarettenfabriken zurückgehende Rechtsprechung könne, so der EuGH, nicht auf einen Sachverhalt wie den des Ausgangsrechtsstreits übertragen werden. (RZ 31 bis 36 im Urteil). Der Umstand, dass sich der Dienstleistungserbringer in einem Insolvenzverfahren befindet, ist im vorliegenden Fall nicht relevant. Die auf dieses Urteil zurückgehende Rechtsprechung zielt nämlich nicht darauf ab, die Rangfolge der Gläubiger im Rahmen eines Insolvenzverfahrens in Frage zu stellen.

Der EuGH weist ferner darauf hin, dass die Möglichkeit für den Erwerber oder Dienstleistungsempfänger, seinen Antrag auf Erstattung der zu Unrecht in Rechnung gestellten und entrichteten Mehrwertsteuer „unmittelbar“ an die Finanzverwaltung zu richten, eine Ausnahme darstellt und nur dann eröffnet ist, wenn die Beitreibung dieser Mehrwertsteuer beim Lieferer oder Dienstleistungserbringer unmöglich oder übermäßig erschwert ist.

Wie der EuGH der ersten Vorlagefrage des BFH entnimmt, besteht für den Leistenden, der in dem anderen Mitgliedstaat, in dem die Mehrwertsteuer gesetzlich geschuldet ist, bislang nicht registriert ist, die Möglichkeit, sich in diesem Mitgliedstaat mehrwertsteuerrechtlich registrieren zu lassen, so dass er danach unter Angabe einer Steuernummer dieses Mitgliedstaats dem Leistungsempfänger eine Rechnung unter Ausweis der Steuer dieses Mitgliedstaats erteilen könnte, die den Leistungsempfänger dort zum Vorsteuerabzug berechtigen würde.

Die Klägerin des Ausgangsrechtsstreits hätte im vorliegenden Fall, um die Kosten der betreffenden Mehrwertsteuer nicht tragen zu müssen, gegen den Insolvenzverwalter des Dienstleistungserbringers eine zivilrechtliche Klage auf Erteilung einer Rechnung mit italienischem Mehrwertsteuerausweis erheben können, was sie jedoch nicht getan hat.

Von der deutschen Finanzverwaltung zu verlangen, festzustellen, ob der Umstand, dass der Insolvenzverwalter des Dienstleistungserbringers die gesetzlich geschuldete italienische Mehrwertsteuer in Italien nicht erklären wird, nach italienischem Recht einen Mehrwertsteuerbetrug in diesem Mitgliedstaat darstellt, geht nach Dafürhalten des EuGH über das hinaus, was einer nationalen Finanzverwaltung zumutbar ist.

Fundstelle

EuGH, Urteil vom 5. September 2024 in der Rechtssache C83/23 H GmbH.

Eine englische Zusammenfassung dieses Urteils finden Sie hier.

Zum Anfang