BMF: Steuerliche Anerkennung inkongruenter Gewinnausschüttungen
Das Bundesfinanzministerium (BMF) äußert sich in Reaktion auf ein früheres BFH-Urteil aus 2022 im Hinblick auf die steuerliche Anerkennung inkongruenter Gewinnausschüttungen. Demnach sollen inkongruente Gewinnausschüttungen steuerrechtlich grundsätzlich anzuerkennen sein, wenn sie zivilrechtlich wirksam sind. Des Weiteren erläutert die Behörde in dem aktuellen Rundschreiben die Grundsätze und Besonderheiten anhand verschiedener Konstellationen.
Hintergrund
Im Urteil vom 28. September 2022, VIII R 20/20, hat der Bundesfinanzhof (BFH) entschieden, dass ein punktuell satzungsdurchbrechender Beschluss über eine inkongruente Vorabausschüttung, der von der Gesellschafterversammlung einstimmig gefasst worden ist und von keinem Gesellschafter angefochten werden kann, als zivilrechtlich wirksamer Ausschüttungsbeschluss entgegen der Sichtweise der Finanzverwaltung der Besteuerung zugrunde zu legen ist (hierzu unser Blogbeitrag vom 16.12.22). Ein Gesellschafter, an den nach einem solchen Beschluss kein Gewinn verteilt wird, verwirklicht nicht den Tatbestand der Einkünfteerzielung gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 Einkommensteuergesetz (EStG). Die Finanzverwaltung ging in ihrem Schreiben bislang davon aus, dass eine nur kurzzeitig geltende oder wiederholt geänderte Gewinnverteilungsabrede zu einer unangemessenen Gestaltung führen könne (BMF-Schreiben vom 17. Dezember 2013).
Das aktuelle BMF-Schreiben
Auf der Grundlage des o. g. BFH- Urteils hat das BMF nun sein früheres Rundschreiben aus dem Jahr 2013 zur steuerlichen Anerkennung inkongruenter Gewinnausschüttungen überarbeitet und aktualisiert. Diese grundsätzlich anzuerkennen sein, wenn sie zivilrechtlich wirksam sind. Dies soll insbesondere in den nachfolgenden Fällen gegeben sein.
I. Gesellschaft mit beschränkter Haftung
a) Abweichende Regelung der Gewinnverteilung im Gesellschaftsvertrag
Wurde im Gesellschaftsvertrag gemäß § 29 Absatz 3 Satz 2 GmbHG ein anderer Maßstab der Verteilung als das Verhältnis der Geschäftsanteile festgesetzt und die Ausschüttung entspricht diesem Verhältnis, so soll die inkongruente Gewinnausschüttung steuerlich anzuerkennen sein. Für eine nachträgliche Änderung des Gesellschaftsvertrags zur Regelung einer inkongruenten Gewinnverteilung ist die Zustimmung derjenigen Gesellschafter erforderlich, die von der Veränderung nachteilig betroffen sind.
b) Öffnungsklausel für abweichende Gewinnverteilung im Gesellschaftsvertrag
Enthält der Gesellschaftsvertrag eine Klausel, nach der mit Zustimmung der beeinträchtigten Gesellschafter eine von der satzungsmäßigen oder gesetzlichen Regelung abweichende Gewinnverteilung beschlossen werden kann und wurde der Beschluss ist mit den erforderlichen Gesellschafterzustimmungen und der ggf. im Gesellschaftsvertrag bestimmten Mehrheit gefasst worden, so soll die inkongruente Gewinnausschüttung steuerlich anzuerkennen sein.
c) Punktuell satzungsdurchbrechender Beschluss
Ein punktuell satzungsdurchbrechender Beschluss über eine inkongruente Vorabausschüttung, der von der Gesellschafterversammlung mit den Stimmen aller Gesellschafter gefasst worden ist und von keinem Gesellschafter angefochten werden kann, ist nach dem Urteil des BFH vom 28.9.2022, VIII R 20/20 als zivilrechtlich wirksamer Ausschüttungsbeschluss der Besteuerung zugrunde zu legen. Ein punktuell satzungsdurchbrechender Beschluss liegt vor, wenn seine Wirkung sich in der betreffenden Maßnahme als Einzelakt erschöpft, sodass die Satzung durch den Beschluss zwar verletzt wird, aber nicht mit Wirkung für die Zukunft geändert werden soll.
Ein satzungsdurchbrechender Gesellschafterbeschluss, der einen vom Regelungsinhalt der Satzung abweichenden rechtlichen Zustand mit Dauerwirkung (und sei es auch nur für einen begrenzten Zeitraum) begründet, ist (selbst im Fall eines einstimmig gefassten Beschlusses) nichtig, wenn bei der Beschlussfassung nicht alle materiellen und formellen Bestimmungen einer Satzungsänderung (insbesondere die notarielle Beurkundung und Eintragung des Beschlusses in das Handelsregister gemäß § 53 Absatz 3 Satz 1, § 54 Absatz 1 GmbHG eingehalten werden).
d) Gespaltene Gewinnverwendung, zeitlich inkongruente Gewinnausschüttung
Im Urteil vom 28.9.2021, VIII R 25/19 hat der BFH entschieden, dass ein zivilrechtlich wirksamer Gesellschafterbeschluss, nach dem der auf den Mehrheitsgesellschafter gemäß seiner Beteiligung entfallene Anteil am Gewinn nicht ausgeschüttet, sondern in eine gesellschafterbezogene Gewinnrücklage eingestellt wird, grundsätzlich auch steuerlich anzuerkennen ist (vgl. Blogbeitrag vom 28.1.22). Dies gilt auch dann, wenn zugleich die Gewinnanteile von Minderheitsgesellschaftern ausgeschüttet werden.
Die Einstellung eines Gewinnanteils in eine gesellschafterbezogene Gewinnrücklage führt auch bei einem beherrschenden Gesellschafter nicht zum Zufluss von Kapitalerträgen nach § 20 Absatz 1 Nummer 1 Satz 1 in Verbindung mit § 11 Absatz 1 Satz 1 EStG. Hier stellt sich mangels Gewinnausschüttungsbeschlusses für diese Gesellschafter die Frage der Fälligkeit nicht.
II. Aktiengesellschaft
Bei einer AG sind inkongruente Gewinnausschüttungen nur anzuerkennen, wenn in der Satzung gemäß § 60 Absatz 3 AktG ein vom Verhältnis der Anteile am Grundkapital (§ 60 Absatz 1 AktG) abweichender Gewinnverteilungsschlüssel festgelegt wurde und die Ausschüttung diesem Verhältnis entspricht. Eine inkongruente Gewinnausschüttung aufgrund einer Öffnungsklausel in der Satzung oder eines satzungsdurchbrechenden Beschlusses erfüllen diese Voraussetzung nicht.
III. Anwendung
Das Schreiben ersetzt das BMF-Schreiben vom 17.12.2013 und ist in allen noch offenen Fällen anzuwenden.
Fundstelle
BMF-Schreiben vom 4. September 2024 (IV C 2 - S 2742/19/10004 :003).
Eine englische Zusammenfassung dieses Schreibens finden Sie hier.