EuGH: Versagung der Kleinunternehmerregelung wegen Missbrauch auch bei Fehlen einer nationalen gesetzlichen Grundlage

Im Ausgangsverfahren möchte die kroatische Finanzverwaltung dem Steuerpflichtigen die Inanspruchnahme der kroatischen Kleinunternehmerregelung wegen eines vermeintlichen Missbrauchs versagen, obwohl das kroatische Recht im fraglichen Besteuerungszeitraum (Streitjahr) noch keine Grundlage für eine solche Versagung vorsah. Laut dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes kann die günstige Regelung nicht in Anspruch genommen werden, auch wenn es in der nationalen Rechtsordnung keine spezifischen Bestimmungen gibt, in denen das Verbot solcher missbräuchlichen Praktiken verankert ist.

Hintergrund

Der Kläger im Ausgangsverfahren mit Sitz in Kroatien ist ein Gastronomiebetrieb. Im Oktober 2018 erließ die kroatische Steuerverwaltung einen Steuerbescheid gegen den Kläger für den Zeitraum vom 1. Januar 2018 bis zum 31. Juli 2018. Der streitige Steuerbescheid zur Zahlung von Mehrwertsteuer stützte sich auf die Ergebnisse einer Steuerprüfung, bei der festgestellt wurde, dass der Kläger Teil einer aggressiven Steuerplanung sei, die betrieben werde, um weiterhin die vorgesehene Regelung über die Mehrwertsteuerfreigrenze in Anspruch zu nehmen, in deren Genuss die ebenfalls in Kroatien ansässige SS-UGO d.o.o. für eine Tätigkeit im Gastronomiebereich gekommen sei, die in Wirklichkeit weiterhin von letzterer Gesellschaft ausgeübt werde. Die kroatische Steuerverwaltung ist der Ansicht, dass es tatsächlich keine Unterbrechung der Tätigkeit von SS-UGO gegeben habe und dass die Gründung der neuen Gesellschaft, nämlich die des Klägers, in Wirklichkeit fiktiv sei. 

Die streitigen nationalen Vorschriften, die es erlauben würden, die Mehrwertbesteuerung von UP CAFFE mit einem Rechtsmissbrauch zu begründen, wurden erst nach dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Besteuerungszeitraum erlassen und eine rückwirkende Anwendung sei nach kroatischen Recht nicht möglich.

Entscheidung des EuGH

Wenn feststeht, dass die Gründung einer Gesellschaft eine missbräuchliche Praxis darstellt, mit der bezweckt wird, weiterhin in den Genuss der Kleinbetragsregelung für eine Tätigkeit zu kommen, die zuvor von einer anderen Gesellschaft ausgeübt wurde -was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist - kann die so gegründete Gesellschaft diese Regelung nicht in Anspruch nehmen, auch wenn es in der nationalen Rechtsordnung keine spezifischen Bestimmungen gibt, in denen das Verbot solch missbräuchlicher Praktiken verankert ist.

Zu dem letzteren und hauptsächlich interessierenden Punkt bemerkt der EuGH, dass es zunächst es Sache des vorlegenden Gerichts sei, festzustellen, ob das kroatische Recht Rechtsregeln, wonach Rechtsmissbrauch verboten ist, oder andere Vorschriften über Steuerhinterziehung oder ‑umgehung enthält, die im Einklang mit den Anforderungen des Unionsrechts in Bezug auf die Bekämpfung von Steuerhinterziehung ausgelegt werden könnten. Sollte dies jedoch nicht der Fall sein, könne daraus jedenfalls nicht der Schluss gezogen werden, dass die nationalen Behörden und Gerichte daran gehindert wären, die Anforderungen der Mehrwertsteuerrichtlinie zu beachten und somit den Vorteil aus einem in dieser Richtlinie vorgesehenen Recht im Fall einer missbräuchlichen Praxis zu versagen.

Da nach ständiger Rechtsprechung des EuGH missbräuchliche Tätigkeiten kein in der Unionsrechtsordnung vorgesehenes Recht begründen können, bedeutet die Versagung eines sich hier aus der Mehrwertsteuerrichtlinie ergebenden Vorteils nicht, dass dem Einzelnen nach dieser Richtlinie eine Verpflichtung auferlegt wird, sondern ist die schlichte Folge der Feststellung, dass die objektiven Voraussetzungen für die Erlangung des angestrebten Vorteils, die in dieser Richtlinie in Bezug auf dieses Recht vorgeschrieben sind, in Wirklichkeit nicht erfüllt sind. Daher ist nach dafürhalten des EuGH für eine solche Versagung keine spezielle Rechtsgrundlage erforderlich.

Fundstelle

EuGH, Urteil vom 4. Oktober 2024 in der Rechtssache C-171/23 UP CAFFE.

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