BFH-Urteil schränkt Zulässigkeit der Kettenzusammenfassung ein

Am 21.11.2024 wurde das Urteil des BFH vom 29.8.2024 veröffentlicht, welches die Voraussetzungen der Zusammenfassung von BgA gemäß § 4 Abs. 6 Satz 1 KStG präzisiert und damit den Anwendungsbereich von Kettenzusammenfassungen einschränkt. Er widerspricht damit ausdrücklich der im BMF-Schrieben vom 12.11.2009 großzügigeren niedergelegten Auffassung zur Kettenzusammenfassung der Finanzverwaltung, was erhebliche Auswirkungen für die Praxis haben könnte.

Am 29. August 2024 hat der BFH ein wegweisendes Urteil zur Zusammenfassung von Betrieben gewerblicher Art (BgA) gemäß § 4 Abs. 6 KStG gefällt, welches am 21.11.2024 veröffentlicht wurde. Das Urteil (Az: V R 43/21) hebt die Entscheidung des Finanzgerichts Schleswig-Holstein auf und stellt klar, dass die Voraussetzungen für eine Zusammenfassung von mehreren BgA (sog. Kettenzusammenfassung) zwischen allen beteiligten BgA einzeln vorliegen müssen.

Die Klägerin, eine Anstalt des öffentlichen Rechts, betrieb neben einem Bauhof und der Abwasserentsorgung auch die Betriebe Wasserversorgung und Freibad. Im Jahr 2007 errichtete sie ein Blockheizkraftwerk auf dem Gelände des Freibades, das mit Biogas betrieben wurde. Der erzeugte Strom wurde verkauft, und die Wärme wurde während der Freibadsaison überwiegend vom Schwimmbad genutzt, außerhalb der Saison von Drittkunden im Neubaugebiet.

Die Klägerin versuchte, die negativen Einkünfte des Freibades mit den positiven Einkünften der Wasserversorgung und des BHKW zu verrechnen. Das Finanzamt lehnte dies ab, da es den Betrieb des Freibades als eigenständigen Betrieb gewerblicher Art (BgA) ansah, der nicht mit den anderen BgA zusammengefasst werden könne. Das Finanzgericht gab der Klage statt, jedoch hob der Bundesfinanzhof dieses Urteil auf und wies die Klage ab. Der Bundesfinanzhof entschied, dass die Voraussetzungen für eine Zusammenfassung gemäß § 4 Abs. 6 KStG zwischen allen BgA einzeln vorliegen müssen.

Im Einzelnen können die Kernaussagen des BFH-Urteils wie folgt zusammengefasst werden:

·       Einzelprüfung der Voraussetzungen: Auch bei der Zusammenfassung von mehr als zwei BgA müssen die Voraussetzungen des § 4 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 bis 3 KStG jeweils zwischen allen BgA einzeln erfüllt sein.

·       Keine Kettenzusammenfassung: Eine abgestufte Kettenzusammenfassung, bei der mehrere BgA nacheinander zusammengefasst werden, ist nicht zulässig, wenn die Voraussetzungen bei einer zeitgleichen Betrachtung nicht erfüllt wären.

·       Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen: Wirtschaftliche Aktivitäten einer juristischen Person sind grundsätzlich gesondert steuerlich zu beurteilen, um Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden. Daraus folgt, dass eine Zusammenfassung nach § 4 Abs. 6 Satz 1 KStG und somit eine potenzielle Verrechnung von Gewinnen und Verlusten nach Ansicht des BFH nur möglich ist, wenn die Zusammenfassungsvoraussetzungen zwischen allen BgA, deren Einkünfte gemeinsam ermittelt und veranlagt werden sollen, vorliegen.

Der BFH stellt ferner klar, dass die in dem BMF-Schreiben vom 12.11.2009 (BStBl I 2009, 1303 Rz 5) niedergelegte großzügigere Auffassung für die Zusammenfassung von mehreren BgA nicht mit geltendem Recht in Einklang steht. Die Finanzverwaltung hatte es insoweit als ausreichend für die Zusammenfassung eines BgA mit einem anderen zusammengefassten BgA oder einer Einrichtung, die mehrere Betriebe umfasst, angesehen wenn die Zusammenfassungsvoraussetzungen nur zwischen diesem BgA und einem der BgA des zusammengefassten BgA oder einem der Betriebe der Einrichtung vorliegen.

Dieses Urteil hat erhebliche Auswirkungen auf die steuerliche Behandlung von BgA und der Möglichkeit der Zusammenfassung von mehreren BgA sowie der damit verbundenen Konsolidierung von Ergebnissen.

Die Folgewirkungen des BFH-Urteils sowie die Reaktion der Finanzverwaltung sind noch nicht gänzlich abschätzbar:

·       Die Finanzverwaltung könnte mit einem Nichtanwendungserlass reagieren, so dass das Urteil nicht über den Einzelfall hinaus anzuwenden ist. Diesbezüglich ist jedoch anzumerken, dass dem BFH-Urteil kein kompliziert gelagerter Sachverhalt zugrunde lag und die Aussage sehr eindeutig war, dass die im BMF-Schreiben vom 12.11.2009 oben ausgeführte Auffassung zur Kettenzusammenfassung nicht mit dem geltenden Recht vereinbar ist. Insoweit ist zumindest zu befürchten, dass künftige Kettenzusammenfassungen eingeschränkt werden könnten.

·       In Bezug auf die Vergangenheit ist zu beachten, dass gewährte verbindliche Auskünfte fortgelten. Ein Widerruf, der zum derzeitigen Zeitpunkt unwahrscheinlich ist, würde allenfalls für die Zukunft wirken. Die Einholung verbindlicher Auskünfte könnte künftig erschwert sein.

·       Das BMF-Schreiben vom 12.11.2009 ist in Kraft. Insoweit sieht § 176 Abs. 2 AO vor, dass bei der Aufhebung oder Änderung eines ergangenen Steuerbescheids nicht zuungunsten des Steuerpflichtigen berücksichtigt werden darf, dass das Tz. 5 des BMF-Schreibens als nicht mit dem geltenden Recht in Einklang stehend bezeichnet worden ist.

·       Die Ausweitung des Anwendungsbereichs des § 4 Abs. 6 KStG im Rahmen eines möglichen neuen Gesetzgebungsverfahrens könnte vor dem Hintergrund der Ausführungen des BFH zum Wettbewerb erneut europarechtliche Brisanz entfalten und den steuerlichen Querverbund wiederum auf den Prüfstand stellen.  

Aus materieller Sicht dürfte die Zusammenfassung mehrerer BgA bei Anwendung der im BFH-Urteil geäußerten Grundsätze erheblich eingeschränkt werden. Insbesondere dürfte für eine Verrechnung von Bäderverlusten mit anderen Versorgungsarten als „Strom“, also Gas, Wasser und Wärmeversorgung, eine eigene technisch-wirtschaftliche Verflechtung von einigem Gewicht erforderlich, für die es bislang keine Leitlinien gibt. Auch die Einbindung von ÖPNV-Verluste in einen zusammengefassten Bäder- und Energiebetrieb könnte fraglich sein. Inwieweit die Mitschlepptheorie betroffen ist, wonach mehrere Bäder in den steuerlichen Querverbund einbezogen werden, auch wenn die enge, wechselseitige technisch-wirtschaftliche Verflechtung nur zu einem Bad besteht, ist noch unklar. Wenn das jeweilige Bad als separater BgA zu sehen ist, dürften die Grundsätze des BFH uneingeschränkt anwendbar sein. Oftmals dürfte jedoch bereits eine einheitliche Einrichtung vorliegen (bspw. aufgrund einheitlicher Verwaltung), für welche sich dem BFH-Urteil nicht explizit entnehmen lässt, ob das BMF-Schreiben auch insoweit überholt sein könnte.

Zu beachten ist schließlich, dass die Entscheidung des BFH nicht nur für BgA-Konstellationen von Relevanz sein dürfte, sondern auch für die Spartenrechnung bei Kapitalgesellschaften sowie die Organschaftsfälle. 

Zum möglicherweise zusätzlichen Erfordernis einer organisatorischen Verflechtung brauchte der BFH mangels Entscheidungserheblichkeit keine Stellung zu beziehen.

Die Entwicklungen im Rahmen des steuerlichen Querverbunds bleiben spannend. Es verbleibt insoweit unser Hinweis, dass noch gründlicher geprüft werden sollte, ob in der jeweiligen einzelnen Sachverhaltskonstellation eine Zusammenfassung mehrerer BgA möglich ist. Selbstverständlich stehen wir Ihnen hierfür gerne beratend zur Seite.

RA/StB Christoph Bildstein

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