Deutsche Regelungen zur Infrastrukturkategorie der Kundenanlage nach EnWG nicht mit EU-Recht vereinbar
Am 28. November 2024 hat der Europäische Gerichtshof (EuGH, Az. C-293/23) entschieden, dass die deutschen Regelungen zur Infrastrukturkategorie der sogenannten Kundenanlagen gemäß § 3 Nr. 24 a) Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) teilweise nicht mit den Vorgaben des Unionsrechts übereinstimmen.
Auswirkungen des Urteils
Das Urteil hat fundamentale Auswirkungen auf Privilegierungen von Energieinfrastrukturanlagen der Industrie, der Wohnungswirtschaft sowie allgemein der dezentralen Energieversorgung im Bereich der (Netz-)Entgeltbildung, des Netzzugangs sowie auch der Entflechtung bzw. Rechnungslegung.
Es steht zu befürchten, dass Privilegierungen, die Unternehmen über viele Jahre in Anspruch genommen haben, zukünftig nicht mehr fortbestehen; die Wirtschaftlichkeit von etablierten Geschäftsmodellen im Bereich der dezentralen Energieversorgung steht in Frage.
Expertenmeinung
Michael Küper, Partner bei PwC Germany und Experte für Energie- und Klimathemen, kommentiert: „Der EuGH hat mit dieser Entscheidung die Konturen für die Einstufung von Energieinfrastruktur im deutschen Regulierungsrecht neu gezogen. Auch wenn die Entscheidung aus meiner Sicht nicht überraschend kommt, erfolgte sie 15 Jahre nach der Neuregelung von § 3 Nr. 24a/b EnWG und zahlreichen zwischenzeitlichen dazu ergangenen gerichtlichen Entscheidungen. Viele Unternehmen und Regulierungsbehörden haben sich an den gesetzlichen Rahmen gewöhnt und sehen sich nun mit enormen Herausforderungen konfrontiert.“
Deutsches Energierecht und Kundenanlagen
Das deutsche Energierecht reguliert energiewirtschaftliche Tätigkeiten unabhängig davon, ob Energieversorgung eine Kerntätigkeit eines Unternehmens ist oder eine Voraussetzung für die Produktion. Kundenanlagen sind nach dem bisherigen Recht grundsätzlich einem Energieversorgungsnetz nachgelagert und von regulatorischen Pflichten weitgehend ausgenommen. Diese Regelung begünstigt dezentral versorgte Wohnquartiere, große Produktions- und Industriestandorte sowie Konstellationen der Daseinsvorsorge, wie zum Beispiel Krankenhäuser. Eine Einstufung als Kundenanlage kann zu wesentlichen Erleichterungen im Hinblick auf den regulatorischen Pflichtenkatalog führen und außerdem auch signifikante ökonomische Vorteile mit sich bringen, da zum Beispiel Netzentgelte und daran anknüpfende Entgeltbestandteile (zum Beispiel Umlagen und Steuern) nicht oder nur eingeschränkt anfallen.
Entscheidung des EuGH
Der EuGH hat entschieden, dass die Einstufung von Versorgungsinfrastruktur im deutschen Energierecht nicht mit EU-Recht vereinbar ist. Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte die Frage vorgelegt, ob unionsrechtliche Vorgaben eine Einordnung als Kundenanlage verhindern. Der EuGH kam zu dem Schluss, dass die deutsche Regelung gegen das Unionsrecht verstößt. Mitgliedstaaten dürfen keine zusätzlichen Kriterien zur Definition von „Verteilernetz“ im Sinne der Richtlinie 2019/944 heranziehen.
Weitreichende Folgen
Die Entscheidung hat weitreichende Konsequenzen, beispielsweise für die Inanspruchnahme der Strompreisbremse oder die Privilegierungen im Zusammenhang mit der Inanspruchnahme von § 19 Stromnetzentgeltverordnung (StromNEV) in Kundenanlagen-Konstellationen. Betroffen sind nicht nur die Betreiber der Versorgungsinfrastruktur, sondern auch verbundene Unternehmen, die energiewirtschaftliche Tätigkeiten ausführen. Michael Küper resümiert: „Es scheint klar, dass in Konstellationen, in denen Strommengen an Dritte weitergeleitet werden, kaum ein Weg an einer Einstufung als Verteilernetz vorbeiführt. In diesen Fällen sollte geprüft werden, ob eine Einstufung als sogenannte Direktleitung oder als sogenanntes geschlossenes Verteilernetz zu einer praxistauglichen Lösung führen kann.“
Weitere Informationen und Webcast
Weiterführende Informationen zu den Auswirkungen der Entscheidung sowie zu unserem diesbezüglichen Unterstützungsangebot finden Sie in unserem aktuellen Newsletter „Energierecht für energieintensive Unternehmen“. In dieser Newsletter-Reihe werden wir Sie in den kommenden Monaten auch zu den weiteren Entwicklungen in diesem Bereich informieren.
Ein Webcast im Rahmen unserer Reihe „Energy & Climate Compass“ mit dem Titel „Zukunft der Kundenanlage im Sinne des EnWG – Auswirkungen des EuGH-Urteils vom 28.11.2024“ wird im Januar 2025 stattfinden. Details dazu folgen in Kürze.