Voraussetzung des umsatzsteuerlichen Direktanspruchs gegen die Finanzverwaltung
Der sich aus dem Unionsrecht entsprechend dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs in Sachen Reemtsma Cigarettenfabriken ergebende Direktanspruch setzt voraus, dass eine Steuer in einer Rechnung für eine - bereits erbrachte oder noch zu erbringende - Leistung zu Unrecht gesondert ausgewiesen wurde. Mit diesem Urteil hält der Bundesfinanzhof an seinem früheren Urteil aus 2019 fest.
Hintergrund: Der Reemtsma-Anspruch
Der Reemtsma-Direktanspruch (EuGH-Urteil in Sachen Reemtsma Cigarettenfabriken vom 15.03.2007 - C-35/05) lässt es zu, dass ein Steuerpflichtiger in bestimmten Ausnahmefällen Anträge auf Erstattung zu Unrecht gezahlter Umsatzsteuer nicht gegen den Leistenden, sondern unmittelbar gegen das Finanzamt richten kann. Er kommt konkret in Fällen in Betracht, in denen der Leistungsempfänger eine Leistung bezieht und die ihm in Rechnung gestellte (und von ihm an den leistenden Unternehmer gezahlte) Steuer als Vorsteuer abzieht, die Finanzverwaltung diese Vorsteuer später aber zurückverlangt, soweit sie zu Unrecht in Rechnung gestellt wurde. Gewöhnlich wird sich der vom Finanzamt in Anspruch genommene Leistungsempfänger wegen einer Rechnungskorrektur und Rückzahlung des überzahlten Betrags an seinen Geschäftspartner wenden. Ist das nicht möglich (zum Beispiel, weil der leistende Unternehmer insolvent ist), kann dem Leistungsempfänger unter gewissen weiteren Voraussetzungen ein Ausgleich in Form des Reemtsma-Anspruchs gegen die Finanzbehörde zustehen.
Über einen Direktanspruch in der Umsatzsteuer ist nach der Verwaltungsauffassung im Rahmen eines Billigkeitsverfahrens zu entscheiden (BMF-Schreiben vom 12. April 2022).
Sachverhalt (in Kürze)
Die Klägerin lieferte Nahrungsmittel zum ermäßigten Steuersatz. Bei Überschreiten bestimmter Umsatzzahlen zahlte sie einen Teil des Entgelts als Bonus zurück. Klägerin und Einzelhändler nahmen in unzutreffender Weise an, dass der Rückzahlung eine (Werbe-)Leistung des Händlers an die Klägerin gegen Entgelt bei einem Steuersatz von 16 % zu Grunde lag. Der Händler versteuerte diesen Umsatz und die Klägerin zog die Vorsteuer gleicher Höhe ab. Das Finanzamt beanstandete diesen Vorgang und forderte von der Klägerin die Differenz zwischen der zutreffenden 7 %-Entgeltminderung und dem 16 %-Vorsteuerabzug zurück. Als sich die Klägerin die an das Finanzamt gezahlte Differenz von der Einzelhandelskette erstatten lassen wollte, war diese bereits insolvent.
Das Finanzamt wies den Einspruch der Klägerin gegen den betreffenden Umsatzsteuerbescheid in Bezug auf die Versagung des Vorsteuerabzugs und die stattdessen vorzunehmende Entgeltminderung durch Teileinspruchsentscheidung zurück. Den Billigkeitsantrag lehnte es mit einem gesonderten Bescheid von demselben Tag ab. Mit einer Sprungklage machte die Klägerin im finanzgerichtlichen Verfahren insbesondere die Rechtswidrigkeit der vorliegend streitigen Ablehnung der abweichenden Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen geltend. Diese Klage hatte ebenfalls keinen Erfolg. Es habe sich, so das Finanzgericht, um Abrechnungen von Boni und Rabatten gehandelt. Das Erreichen bestimmter Abnahmemengen stelle keine Leistung dar. Zudem fehle es auch unter Berücksichtigung späterer Korrekturen im Hinblick auf § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG an ordnungsgemäßen Rechnungen.
Entscheidung des BFH
Auch der BFH hielt die Revision der Klägerin für unbegründet. Das Finanzgericht habe zutreffend entschieden, dass die Voraussetzungen für eine abweichende Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen nach § 163 Abgabenordnung (AO) sowie für einen Erlass nach § 227 AO nicht gegeben sind, da der Klägerin ein sich aus dem Unionsrecht entsprechend dem EuGH-Urteil Reemtsma Cigarettenfabriken ergebender Direktanspruch nicht zusteht.
Der BFH hält weiter daran fest, dass der Direktanspruch voraussetzt, dass eine Steuer in einer Rechnung für eine - bereits erbrachte oder noch zu erbringende - Leistung zu Unrecht gesondert ausgewiesen wurde (BFH-Urteil vom 22.08.2019 - V R 50/16, Leitsatz). Das oberste Steuergericht verweist hierfür auf die Rechtsprechung des EuGH im Urteil Reemtsma Cigarettenfabriken C-35/05, dritte Antwort. Der EuGH sieht darin das Erfordernis, dass der Leistungsempfänger sich mit seinem Anspruch auf Rückforderung einer "zu Unrecht in Rechnung gestellten Steuer" an den Leistenden zu halten hat, als mit dem Neutralitäts- und Effektivitätsgrundsatz vereinbar an und billigt dem Leistungsempfänger nur im Fall einer in diesem Verhältnis unmöglichen oder übermäßig erschwerten Rückabwicklung aus Gründen der Effektivität einen Direktanspruch zu, der sich gegen den Steuergläubiger richtet.
In seiner Urteilsbegründung verweist der BFH unter anderem auch auf die EuGH-Entscheidung vom 4. September 2024 (C-83/24 – H GmbH – siehe Blogbeitrag vom 5. September 2024). Für die Durchsetzung des Direktanspruchs in grenzüberschreitenden Fällen wird danach eine hohe Anforderung gestellt. Hier hat der EuGH darauf hingewiesen, dass die Möglichkeit für den Erwerber oder Dienstleistungsempfänger, seinen Antrag auf Erstattung der zu Unrecht in Rechnung gestellten und entrichteten Mehrwertsteuer „unmittelbar“ an die Finanzverwaltung zu richten, eine Ausnahme darstellt und nur dann eröffnet ist, wenn die Beitreibung dieser Mehrwertsteuer beim Lieferer oder Dienstleistungserbringer unmöglich oder übermäßig erschwert ist.
Fehlt es jedoch - wie im Streitfall - bereits an einem Ausweis einer Steuer in einer Rechnung im Sinne des Art. 203 MwStSystRL, sind die o.g. Grundsätze unbeachtlich.
Im Übrigen kann eine Rechnungsberichtigung mit Erstattung an den Rechnungsaussteller dem Direktanspruch zwar entgegenstehen, nicht aber den Direktanspruch selbst begründen. Dass der EuGH eine doppelte Verpflichtung des Steuergläubigers gegen den (berichtigenden) Rechnungsaussteller wie auch gegenüber dem Leistungs- und Rechnungsempfänger zu vermeiden versucht, indem er den Berichtigungsanspruch des Rechnungsausstellers, der nicht an den Rechnungsempfänger erstatten will, als missbräuchlich ansieht (im EuGH-Urteil Schütte vom 07.09.2023 - C-453/22, Rz 33 zur Verjährungseinrede), ist nach Dafürhalten des BFH ebenso wenig zur Begründung des Direktanspruchs geeignet.
Fundstelle
BFH, Beschluss vom 05. Dezember 2024 (V R 11/23) – veröffentlicht am 24. April 2025.