EuGH: Gesamtschuldnerische Haftung des Leistungsempfängers für vom Lieferer nicht abgeführte Mehrwertsteuer
In einem tschechischen Vorabentscheidungsersuchen war der Europäische Gerichtshof (EuGH) mit der gesamtschuldnerischen Haftung des an einem Mehrwertsteuerbetrug beteiligten Leistungsempfängers für nicht vom Lieferer abgeführte Mehrwertsteuer befasst. Nach dem Urteil des Gerichts steht Artikel 205 der Mehrwertsteuer-Richtlinie einer Inanspruchnahme des Leistungsempfängers nicht entgegen.
Hintergrund
FAU, eine Gesellschaft tschechischen Rechts, bezog in 2013 Kraftstoff von Verami, einer weiteren Gesellschaft tschechischen Rechts. Im Anschluss an Steuerprüfungen stellte die Finanzverwaltung fest, dass die Handelskette, an der Verami und FAU beteiligt waren, von Steuerhinterziehung betroffen sei. Daraufhin erließ die Finanzverwaltung in 2015 Mehrwertsteuer-Nachzahlungsbescheide gegen Verami, welche von dieser allerdings nicht entrichtet wurde. Des Weiteren wurde Verami wegen Beteiligung an dem Mehrwertsteuerbetrug das Recht auf Vorsteuerabzug für den Kauf des von ihr an FAU gelieferten Kraftstoffs versagt.
Für das vorlegende Gericht war zu klären, ob es mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar ist, eine gesamtschuldnerische Haftung für die Zahlung der nicht entrichteten Mehrwertsteuer und die Versagung des Rechts auf Vorsteuerabzug wegen Beteiligung an einer Steuerhinterziehung gleichzeitig und für dieselben Handelsgeschäfte anzuwenden.
Entscheidung des EuGH
Der EuGH entschied, dass „es einer nationalen Praxis nicht entgegensteht, die dem Steuerpflichtigen, der Empfänger einer Lieferung von Gegenständen gegen Entgelt ist, eine gesamtschuldnerische Verpflichtung auferlegt, die vom Lieferanten dieser Gegenstände geschuldete Mehrwertsteue zu entrichten, obwohl dem Empfänger dieser Lieferung von Gegenständen das Recht auf Abzug der geschuldeten oder entrichteten Vorsteuer mit der Begründung verweigert wurde, dass er wusste oder hätte wissen müssen, dass er an einem Mehrwertsteuerbetrug beteiligt war“.
Mit der Versagung des Rechts auf Vorsteuerabzug und der gesamtschuldnerischen Haftung werden zwei unterschiedliche und einander ergänzende Ziele verfolgt, die darin bestehen, die Steuerhinterziehung zu bekämpfen und der Staatskasse eine wirksame Erhebung der Mehrwertsteuer insbesondere in einer Betrugssituation zu gewährleisten. Von der Finanzverwaltung zu verlangen, dass sie alternativ die eine oder die andere dieser Maßnahmen anwendet, würde zu einem zumindest teilweisen Verzicht auf eines dieser beiden Ziele führen, was sich bei Steuerpflichtigen, die wussten oder hätten wissen müssen, dass sie sich an einer Steuerhinterziehung beteiligten, nicht rechtfertigen lasse, so der EuGH.
Die gesamtschuldnerische Verpflichtung des steuerpflichtigen Empfängers einer entgeltlichen Lieferung von Gegenständen zur Entrichtung der vom steuerpflichtigen Lieferer dieser Gegenstände geschuldeten Mehrwertsteuer in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens hat keine ungerechtfertigte Bereicherung der Finanzverwaltung zur Folge. Indem die Finanzverwaltung dem steuerpflichtigen Empfänger zum einen das Recht auf Vorsteuerabzug in einer Situation versagt, in der er wusste oder hätte wissen müssen, dass er an einer Steuerhinterziehung beteiligt war, und ihn zum anderen als Gesamtschuldner für die Entrichtung der vom steuerpflichtigen Lieferer geschuldeten Mehrwertsteuer bestimmt, beschränkt sie sich nämlich darauf, Maßnahmen zu ergreifen, die es ihr ermöglichen können, die Zahlung der verschiedenen ihr von beiden Steuerpflichtigen geschuldeten Mehrwertsteuerbeträge zu erhalten.
Fundstelle
EuGH, Urteil vom 10. Juli 2025 in der Rechtssache C‑276/24 - KONREO.