Wiedereinsetzung bei Klageerhebung vor Zugang des Erstregistrierungsbriefs für das besondere elektronische Steuerberaterpostfach (beSt)
Wenn ein Steuerberater in der Übergangszeit zwischen der erstmaligen Anwendbarkeit der Regelungen über das beSt (01.01.2023) und dem späteren tatsächlichen Erhalt des für ihn bestimmten Erstregistrierungsbriefs eine Klage noch per Telefax erhebt, weil er entsprechend der Verlautbarungen der Steuerberaterkammern davon ausgeht, dass eine Nutzungspflicht erst nach Zugang des Erstregistrierungsbriefs besteht, kann eine solche Klage unter den Voraussetzungen einer Wiedereinsetzung zulässig sein. Dies hat der Bundesfinanzhof in einem kürzlich veröffentlichten Urteil entschieden.
Hintergrund
Der Kläger beantragte im Klageverfahren einen Investitionsabzugsbetrag für einen zu eröffnenden Gewerbebetrieb. Seine damalige Prozessbevollmächtigte (P) erhob am 18.01.2023 per Telefax Klage gegen die vom Finanzamt am 14.12.2022 zur Post gegebene Einspruchsentscheidung.
Das Finanzgericht wies den Kläger mit Schreiben vom 20.01.2023 darauf hin, dass die Klageerhebung wegen Nichtbeachtung der Anforderungen des § 52d der Finanzgerichtsordnung (FGO) unwirksam sei. Der Kläger legte daraufhin am 31.01.2023 die "Kammermitteilunge" der für P zuständigen Steuerberaterkammer Stuttgart vom 10.11.2022 vor. Darin heißt es: “Die Bundessteuerberaterkammer (BStBK) macht darauf aufmerksam, dass die Berufsträger/innen erst mit Erhalt des Registrierungsbriefes der Bundessteuerberaterkammer dazu verpflichtet sind, ihr besonderes elektronisches Steuerberaterpostfach (beSt) zu nutzen. Diese Briefe werden ab Januar 2023 in einzelnen Tranchen verschickt.“
Das Finanzgericht sah die Klage als unzulässig an, weil sie nicht in der durch § 52d FGO vorgeschriebenen Form erhoben worden sei. "Spätestens" ab dem 01.01.2023 habe P ein sicherer Übermittlungsweg zur Verfügung gestanden. Das beSt sei seit dem 01.01.2023 grundsätzlich funktionsbereit gewesen.
Entscheidung
Der BFH hielt die Revision für begründet. Das Finanzgericht hätte dem Kläger jedenfalls Wiedereinsetzung in den vorigen Stand für die mangels Verfügbarkeit des beSt unverschuldete Versäumung der Klagefrist gewähren müssen. Ein Verschulden des Prozessbevollmächtigten steht dem Verschulden des Beteiligten gleich.
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat im Beschluss vom 23.06.2025 - 1 BvR 1718/24 zu einem mit dem Streitfall vergleichbaren Sachverhalt ausgeführt, das dort angefochtene klageabweisende Urteil verletze das Gebot effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) "jedenfalls" deshalb, weil das dortige FG den gestellten Wiedereinsetzungsantrag nicht mit der gegebenen Begründung hätte ablehnen dürfen.
Zum Jahreswechsel 2022/2023 sei eine komplexe Übergangssituation aufgetreten, nachdem entgegen der Vorgabe aus § 86d Steuerberatungsgesetz eine flächendeckende Freischaltung der Zugänge zum beSt nicht möglich gewesen und daher auch nicht erfolgt sei. Es sei naheliegend gewesen, dass Steuerberater den bis zum Beginn des Jahres 2023 durchgehend verlautbarten Äußerungen der BStBK, die Pflicht zur Nutzung des beSt beginne erst mit Erhalt des individuellen Registrierungsbriefs, Vertrauen entgegengebracht hätten. Die Möglichkeit einer vorgezogenen Registrierung im Wege eines "Fast Lane"-Verfahrens sei von der BStBK stets als freiwillig deklariert worden.
Der Kläger war jedenfalls bis zum 20.01.2023 (mit dem Empfang des Hinweisschreibens des Finanzgerichts) ohne Verschulden an der Einhaltung der Klagefrist gehindert.
Der BFH verfolgt seine früher vertretene Auffassung, die Steuerberaterplattform- und -postfachverordnung sei unwirksam, weil sie erlassen und verkündet worden ist, bevor die parlamentsgesetzliche Ermächtigungsgrundlage erstmals anzuwenden war (vgl. Urteil vom 17.04.2024 - X B 68, 69/23, RZ 19 ff.), insoweit nicht weiter.
Fundstelle
BFH, Urteil vom 6.August 2025 (X R 13/23) - veröffentlicht am 4. September 2025.