EuGH: Dienstleistung auch bei Ungewissheit über Höhe des von dritter Seite gezahlten Entgelts umsatzsteuerbar
Das Mehrwertsteuerrecht besteuert grundsätzlich nur entgeltlich erbrachte Umsätze. Wie ist es zu beurteilen, wenn ein Anwalt Dienstleistungen an seinen Mandanten unentgeltlich erbringt, im Erfolgsfall aber dennoch ein gesetzlich vorgesehenes Mindesthonorar von der unterlegenen Gegenseite erhält? Dies mache die Dienstleistung der Rechtsanwaltsgesellschaft nicht per se zu einer unentgeltlichen (nicht steuerbaren) Dienstleistung im Sinne des Mehrwertsteuerrechts, wie der EuGH in einem bulgarischen Vorabentscheidungsersuchen entschied.
I. Hintergrund
Der Mandant befand sich in wirtschaftlichen Schwierigkeiten und wurde daher auch unentgeltlich beraten. Da dies im Vertrag so vereinbart war, schuldete der Mandant keine Gegenleistung für die Rechtsberatung. Die Vergütung erfolgte durch die im Prozess unterlegene Partei an den Rechtsanwalt des Klägers. Die in dem Rechtsstreit unterlegene Beklagte ist der Auffassung, dass keine Mehrwertsteuer auf das Honorar gerichtlich zuzuerkennen sei, da die anwaltlichen Rechtsdienstleistungen an den Kläger unentgeltlich erbracht worden seien.
II. Schlussanträge vom 8. Mai 2025
Für gewisse Unsicherheit in der Praxis habe, so die Generalanwältin (GA) in ihren Schlussanträgen, die Begründung der des EuGH in der Rechtssache Baštová aus dem Jahr 2016 gesorgt, weil darin – jedenfalls bei oberflächlicher Lektüre – allein auf die Ungewissheit („gewisse Unwägbarkeiten“) des Entgelts abgestellt wurde, um zu begründen, dass ein Preisgeld des Gewinners eines Wettbewerbs kein Entgelt für eine Dienstleistung sei.
Ungeachtet dessen hatte die GA dem EuGH in dem aktuellen Fall empfohlen zu entscheiden, dass eine Dienstleistung, die eine Rechtsanwaltsgesellschaft gegenüber ihren Mandanten unentgeltlich erbringt, wobei aber im Erfolgsfall durch die unterliegende Partei ein gesetzlich vorgesehenes Honorar zu zahlen ist, gegen Entgelt erfolgt, einen steuerbaren Umsatz darstellt. Weder die Ungewissheit, ob und in welcher Höhe ein Honorar gezahlt wird, noch der Umstand, dass das Honorar kraft Gesetzes geschuldet wird, oder, dass ein Dritter das Honorar zu zahlen hat, stünden einer Mehrwertbesteuerung der von der Rechtsanwaltsgesellschaft erbrachten Dienstleistung in Höhe des tatsächlich empfangenen Honorars entgegen, so die GA. Das Ergebnis in der Rechtssache Baštová erweist sich nach Dafürhalten der GA als richtig, weil sich das Preisgeld nicht auf eine Tätigkeit (z. B. die Teilnahme am Rennen) bezieht, sondern allein eine für den Sieg vergebene Auszeichnung bzw. Belohnung darstellt. Der Sieg in einem Spiel oder Rennen ist keine Dienstleistung, d. h. kein verbrauchbarer Vorteil.
III. Urteil des EuGH
Der EuGH folgte der Einschätzung der GA und entschied, dass „die Vertretung einer Partei vor Gericht durch einen Rechtsanwalt eine Dienstleistung gegen Entgelt im Sinne dieser Bestimmung darstellt, wenn diese Dienstleistung kostenlos erbracht wird, aber die Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaats vorsehen, dass die Gegenpartei, wenn sie zur Tragung der Kosten verurteilt wird, auch dazu verurteilt wird, diesem Rechtsanwalt ein Honorar zu zahlen, dessen Höhe durch diese Rechtsvorschriften geregelt wird“.
Die Einstufung einer Dienstleistung als Umsatz „gegen Entgelt“ setze, so der EuGH, das Bestehen eines unmittelbaren Zusammenhangs zwischen dieser Leistung und einer tatsächlich vom Steuerpflichtigen empfangenen Gegenleistung voraus. Dies liegt im betreffenden Fall vor. Denn zwischen dem Kläger (T. P. T.) und seinem Rechtsanwalt besteht ein Vertrag über kostenlosen rechtlichen Beistand gemäß Art. 38 Abs. 1 Nr. 2 ZA. Zum anderen wurde die Gegenpartei, da T. P. T. in dem betreffenden Gerichtsverfahren obsiegte, dazu gemäß Art. 38 Abs. 2 ZA verurteilt, diesem Rechtsanwalt ein Anwaltshonorar zu zahlen, dessen Höhe gemäß den gesetzlich vorgesehenen Angaben für Anwaltshonorare festgelegt wurde. Der unmittelbare Zusammenhang zwischen dem seitens des Rechtsanwalts gewährten rechtlichen Beistand und dem gezahlten Anwaltshonorar komme somit sowohl in einem Vertrag als auch im Gesetz zum Ausdruck.
Bezüglich der Anwendbarkeit der Rechtssache Baštová auf den vorliegenden Fall folgt das Gericht dem Ergebnis der GA (RZ 31 und 32 im Urteil).
Fundstelle
EuGH, Urteil vom 23. Oktober 2025 in der Rechtssache C-744/23 - Zlakov.