Strommarkt 2.0: Was lässt die GroKo 2025 von den Plänen der GroKo 2013 übrig? (Teil 2)

Abkehr vom freien Spiel der Marktkräfte: Die Große Koalition setzt heute auf staatliche Eingriffe, um die Herausforderungen der Energiewende zu bewältigen. Allerdings bestehen Bedenken daran, dass die geplanten Maßnahmen rechtlich umsetzbar sind.

Der Koalitionsvertrag sieht wesentliche Eingriffe in den Strommarkt vor: U.a. den Zubau einer geförderten Gaskraftwerksleistung von 20 GW, die Einführung eines Kapazitätsmarkts, das Erfordernis der Systemdienlichkeit für Stromspeicher und große EE-Anlagen sowie die Nutzung von Reservekraftwerken am Großhandelsmarkt. Wie könnten diese Pläne umgesetzt werden – ohne eine Verletzung von EU-Recht und ohne Abkehr von den Grundlagen des liberalisierten Strommarkts? 

EU-Recht verbietet grundsätzlich Einsatz von Reservekraftwerken zur Preissenkung

Nach europäischem Recht besonders problematisch ist der Einsatz von Reservekraftwerken zur Stabilisierung des Strompreises. Nach der Strommarktverordnung dürfen Kraftwerke der strategischen Reserve nur genutzt werden, sofern die Gefahr besteht, dass die von den Netzbetreibern vorgehaltene Regelenergie nicht mehr ausreicht. Damit geförderte Reservekraftwerke am Markt eingesetzt werden können, müssten die Anlagen u.U. zuvor in einen Kapazitätsmechanismus überführt werden, welcher den europäischen Beihilferegelungen entspricht.  

Keine genaueren Pläne der Koalition zum künftigen Kapazitätsmarkt 

Wenig aufschlussreich sind die Ausführungen der Koalition zur Ausgestaltung des geplanten Kapazitätsmarkts. Die Ausführungen im Koalitionsvertrag beschränken sich auf das Ziel eines technologieoffenen und marktwirtschaftlichen Kapazitätsmechanismus, ohne einen Startzeitpunkt zu benennen. Offen bleibt, ob die Parteien den vom BMWK favorisierten kombinierten Kapazitätsmarkts unterstützen oder ein zentrales Kapazitätsmarktmodell befürworten, wie es u.a. von den deutschen Übertragungsnetzbetreibern vorgeschlagen wurde.  

Neben den Regelungen der Strombinnenmarktrichtline sind die beihilferechtlichen Anforderungen der EU-Kommission zu erfüllen, die sich gerade in der Überarbeitung im Rahmen des Clean Industrial Deal befinden. Nach dem vorliegenden Entwurf ist nur ein marktumfassender Kapazitätsmechanismus zulässig („market-wide central buyer mechanism“), der auch nicht-fossilen Technologien, Stromspeichern und Endkundenflexibilitäten sowie grenzüberschreitenden Anbietern offensteht. 

Ungeklärt bleibt überdies, wie die bis 2030 zu errichtende Gaskraftwerksleistung in den allgemeinen Kapazitätsmarkt integriert werden soll. Für die bisher geplante Ausschreibung wasserstofffähiger Gaskraftwerke war angedacht, dass diese später auch am Kapazitätsmarkt teilnehmen können, soweit eine Doppelförderung vermieden wird. Sinnvollerweise sollten beide Maßnahmen von Anfang an aufeinander abstimmt werden. 

Abschied vom Erfordernis der Wasserstofffähigkeit für neue Gaskraftwerke 

Der Koalitionsvertrag sieht eine technologieoffene Ausschreibung für die Gaskraftwerksleistung vor. Damit soll insbesondere auch erdgasbefeuerten Kraftwerken mit einer Anlage zur Kohlendioxidabscheidung und -speicherung (CCS) die Teilnahme an der Ausschreibung ermöglicht werden. Allerdings plant das BMWE gegenwärtig die Ausschreibung reiner Gaskraftwerke mit einer Kapazität von 5 GW bis 10 GW als sog. „Schnellboote“.

Die Kraftwerksstrategie der bisherigen Bundesregierung sah überwiegend eine Ausschreibung für wasserstofffähige Gaskraftwerke vor. Den so geförderten Anlagen sollte allenfalls ein übergangsweiser Betrieb mit Erdgas gestattet werden. Die Förderung sollte sich an den Mehrkosten der Wasserstofftechnologie orientieren. Folgerichtig waren die mit der Kommission abgestimmten Ausschreibungsbedingungen an den Beihilfevorgaben der EU für Wasserstoffprojekte ausgerichtet.  

Geplante Ausschreibung für Gaskraftwerke ist europarechtlich problematisch 

Damit stellt sich die Frage nach der Vereinbarkeit der geplanten Ausschreibung mit dem Europarecht neu. Es bestehen Zweifel daran, dass die Förderung mit Erdgas betriebener Kraftwerksleistung als isolierte Flexibilitätsmaßnahme in Brüssel beihilferechtlich akzeptiert wird: Vor dem Hintergrund der Ukrainekrise sind die europäischen Vorgaben auf die Förderung sog. nicht-fossiler Flexibilität ausgerichtet. Da die Gaskraftwerke Strom für den Markt erzeugen sollen, ist auch keine Genehmigung als Teil der strategischen Reserve möglich.  

Damit müssten möglicherweise bereits bei der Ausschreibung der Gaskraftwerksleistung die europäischen Vorgaben für einen Kapazitätsmechanismus erfüllt werden. Gemessen an den aktuellen beihilferechtlichen Vorstellungen der Kommission ist die geplante Gaskapazitätsausschreibung allerdings gleich in mehrfacher Hinsicht zu beanstanden: Es handelt sich um keinen Mechanismus, welcher den gesamten Markt mit dem Gesamtleistungsbedarf abdeckt, sondern nur benötigte Zusatzkapazitäten erfasst („targeted“ statt „market-wide“). Zudem ist schwer vorstellbar, dass die Ausschreibung von Gaskraftwerksleistung so technologieoffen ausgestaltet werden kann, dass auch EE- und Verbrauchsanlagen teilnehmen können.  

Örtliche Vorgaben für Errichtung und Betrieb neuer Anlagen werfen rechtliche Fragen auf 

Um die Netze zu entlasten, möchten die Regierungsparteien den Zubau neuer Anlagen örtlich steuern: Der Koalitionsvertrag sieht Anreize für die Errichtung von Speichern und großen Erzeugern dort vor, „wo es dem Netz nützt“. Die neuen Gaskraftwerke sollen „vorrangig an bestehenden Kraftwerksstandorten“ entstehen und „regional nach Bedarfen gesteuert“ werden.  

Lokale Signale als eines der schwierigsten Themen des Marktdesigns 

Lokale Signale zur Reduzierung von Netzengpässen werden in Politik, Wirtschaft und Wissenschaft schon lange kontrovers diskutiert. Ein Konzept, wie diese Steuerung aussehen könnte, enthält der Koalitionsvertrag nicht. Dort wird lediglich die befristete Ausweisung von Engpassgebieten für Windkraftanlagen als eine mögliche Reaktion auf den verzögerten Netzausbau erwogen. Darüber hinaus wird nur deutlich, dass die Parteien keine Aufteilung des Bundesgebiets in mehrere Preisgebiete unterstützen. CDU, CSU und SPD bekennen sich vielmehr zur einheitlichen deutsch-luxemburgischen Gebotszone.  

Aber auch ohne zusätzliche Preis- bzw. Gebotszonen können örtliche Signale für den Netzanschluss und die Netznutzung vorgesehen werden. Die Bundesnetzagentur hat im November 2024 vorgeschlagen, für neue Netzanschlüsse Baukostenzuschüsse von Letztverbrauchern und Stromspeichern zu erheben, um Anreize für die netzdienliche Planung neuer Standorte zu geben: Anschlussnehmer sollen in unterschiedlicher Höhe an den Netzkosten beteiligt werden – je nachdem, wie vorteilhaft die Ansiedlung an dem jeweiligen Standort für das Gesamtsystem ist. Die Übertragungsnetzbetreiber sollen jeden Netzverknüpfungspunkt einer von fünf Stufen zuordnen; der Baukostenzuschuss kann entsprechend zwischen 20% und 100% variieren. 

Das BWMK hat im Strommarktpapier vom letzten Jahr weitere Möglichkeiten für lokale Signale zusammengestellt, die bei der Ausgestaltung des Koalitionsvertrages in Frage kommen könnten. Betrachtet wurden u.a. regional angepasste Netzanschlussgebühren oder regional und zeitlich differenzierte Netzentgelte für Verbrauchsanlagen.  

Darüber hinaus hat das BMWK eine regionale Steuerung im Rahmen von Förderprogrammen untersucht, z.B. durch eine auf Vorrangregionen beschränkte Förderung, eine regional differenzierte Förderhöhe oder regionale Quoten in Ausschreibungen (wie die bestehende Südquote für Biogasanlagen). Das Ministerium weist dabei darauf hin, dass eine regionale Steuerung zu Lasten der Fördereffizienz gehen und Ausschreibungsverfahren verkomplizieren kann.  

Diskriminierungspotential eines lokalen Anschlussmanagements  

Wenn Gaskraftwerke nach den Plänen der Koalition „vorrangig an bestehenden Kraftwerksstandorten“ errichtet werden sollen, bevorzugt dies die Investoren, die Zugriff auf die entsprechenden Grundstücke haben. Neben Effizienzeinbußen kann dies zu einer europarechtswidrigen Diskriminierung sonstiger Bieter führen.  

Über diesen Sonderfall hinaus sind Mechanismen rechtlich problematisch, mit denen Netzbetreiber Investoren konkrete Vorgaben für den Standort machen können. Sofern Netzbetreiber in jedem Einzelfall darüber entscheiden sollen, ob eine Anlage als netzdienlich einzustufen ist, bedarf es klarer rechtlicher Vorgaben. Ansonsten geriete der diskriminierungsfreie Netzzugang – eine große Errungenschaft der Energiemarktliberalisierung – in Gefahr. Die gegenwärtig hohe Nachfrage von Batteriespeicherprojekten illustriert die praktischen Schwierigkeiten für die Netzbetreiber bei der Zuteilung der Netzanschlusskapazität. Es ist Aufgabe des Gesetzgebers, das Priorisierungsverfahren gesetzlich näher auszugestalten, wie es beispielsweise in der Kraftwerksanschlussverordnung geschehen ist.  

Unbestimmtes Ziel einer Steuerung von Gaskraftwerken „nach regionalen Bedarfen“  

Vor diesem Hintergrund besteht auch Klärungsbedarf im Hinblick auf den Einsatz der neuen Gaskraftwerke. Es ist offen, nach welchen Parametern eine Steuerung „nach regionalen Bedarfen“ erfolgen soll und wie die Koalition sich die praktische Umsetzung vorstellt. Momentan können die am Markt tätigen Kraftwerke ihren Einsatz aufgrund der einheitlichen Preise in der Gebotszone planen und unterliegen lediglich dem Redispatch der Netzbetreiber. Da Kraftwerke bisher keine Netzentgelte für die Einspeisung zu entrichten haben, kann es noch keine regionalen Anreize auf dieser Ebene geben. Es wäre ein Systembruch, wenn Kraftwerksbetreiber bei ihrer Einsatzplanung Rücksicht auf regionale Netzverhältnisse nehmen müssten. Auch insoweit besteht ein Diskriminierungspotential - und eine daraus resultierende Unsicherheit für Investoren.  

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Vorstellungen der Koalition für den regulatorischen Rahmen zusätzlicher Kraftwerks- und Flexibilitätskapazitäten noch wenig detailliert ausgestaltet sind. Es lässt sich nicht vorhersagen, wie die für den Erfolg der Maßnahmen entscheidenden Ausschreibungsbedingungen aussehen werden. Deutlich wird schon jetzt, dass die Überlegungen noch nicht auf die europäischen Vorgaben abgestimmt sind, so dass intensive Diskussionen mit Brüssel anstehen dürften. Es wäre daher eine Überraschung, wenn die Pläne tatsächlich im Verhältnis 1:1 umgesetzt werden können. Mit nicht unwesentlichen Änderungen muss gerechnet werden.

Ansprechpartner 

Marco Garbers

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