Zur Berücksichtigung von Verlusten aus sog. Vollrisikozertifikaten

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat in einem aktuellen Urteil entschieden, dass nach dem 30. Juni 2009 realisierte Verluste aus der Veräußerung von sog. Vollrisikozertifikaten, die nach dem 14. März 2007 angeschafft wurden, § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7, Abs. 4, Abs. 6 EStG i.d.F. des Streitjahres unterfallen.

Sachverhalt

Der Kläger wurde im Streitjahr 2012 auf Antrag zur Einkommensteuer veranlagt. In der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr, in der der Kläger u.a. einen Antrag auf Überprüfung des Steuereinbehalts gemäß § 32d Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes in der im Streitjahr geltenden Fassung (EStG n.F.) gestellt hatte, erklärte der Kläger neben Kapitalerträgen auch einen Verlust in Höhe von 42.448 EUR aus der Veräußerung von Zertifikaten, deren Emittent die Bank X war. Die Zertifikate hatte der Kläger am 02.11.2007 bzw. am 02.01.2008 für insgesamt 51.000 EUR von der A-Bank erworben. Der Wert der Zertifikate hing von der Entwicklung des Dow Jones EURO STOXX 50® Index ab.

Nach der Insolvenz des Emittenten übertrug der Kläger die Zertifikate auf der Grundlage eines mit der B-Bank als Rechtsnachfolgerin der A-Bank geschlossenen gerichtlichen Vergleiches vom 22.05.2012 gegen Zahlung eines Betrages "in Höhe von 10.200,00 Euro abzüglich der Ausschüttungen auf die Zertifikate in Höhe insgesamt 1.647,23 EUR auf die B-Bank. Damit sollten alle wechselseitigen Ansprüche der Parteien im Zusammenhang mit der Zeichnung der Zertifikate sowie etwaige Schadenersatzansprüche aus der Geschäftsbeziehung erledigt sein.

Das Finanzamt berücksichtigte den erklärten Verlust aus der Veräußerung der Zertifikate nicht. Die aufgrund des Vergleiches erfolgte Zahlung der B-Bank unterwarf das Finanzamt jedoch der Besteuerung gemäß § 20 Abs. 3 EStG n.F.

Die hiergegen gerichtete Klage vor dem Finanzgericht Münster war teilweise erfolgreich.

Entscheidung des BFH

Der BFH hat die Revision teilweise als begründet angesehen.

Das Finanzgericht hat zwar zutreffend erkannt, dass es sich bei der aufgrund des Vergleiches geleisteten Zahlung der B-Bank an den Kläger nicht um eine Entschädigung i.S. des § 20 Abs. 3 EStG n.F., sondern um ein Entgelt für die Veräußerung der Zertifikate handelt. Es hat jedoch übersehen, dass der dem Kläger entstandene Verlust aus der Veräußerung der Zertifikate nach § 52a Abs. 10 Satz 8 EStG n.F. (jetzt: § 52 Abs. 28 Satz 17 EStG) der Besteuerung gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7, Abs. 4, Abs. 6 EStG n.F. unterliegt.

Der streitige Verlust ist in Höhe von 40.800 EUR aufgrund des Antrags des Klägers im Rahmen der (Antrags-)Veranlagung nach § 32d Abs. 4 EStG n.F. als verrechenbarer Verlust (§ 20 Abs. 6 EStG n.F.) zu berücksichtigen. Im Übrigen ist die Klage als unbegründet abzuweisen.

Bei den Zertifikaten handelt es sich um Vollrisikozertifikate und damit um Kapitalforderungen i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG n.F. Denn bei ihnen war sowohl die Rückzahlung des Kapitalvermögens als auch die Ertragserzielung unsicher.

Der streitige Verlust resultiert aus der Veräußerung der Zertifikate an die B-Bank im Mai 2012. § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG n.F. ist anwendbar, obwohl der Kläger die Zertifikate bereits im November 2007 bzw. Januar 2008 erworben hat. Dies folgt aus § 52a Abs. 10 Satz 8 EStG n.F. (jetzt: § 52 Abs. 28 Satz 17 EStG).

Nach Auffassung des BFH hat der Kläger einen Veräußerungsverlust gemäß § 20 Abs. 2, Abs. 4 EStG n.F. erzielt.

Gewinn i.S. des § 20 Abs. 4 EStG n.F. ist der Unterschied zwischen den Einnahmen aus der Veräußerung nach Abzug der Aufwendungen, die im unmittelbaren sachlichen Zusammenhang mit dem Veräußerungsgeschäft stehen, und den Anschaffungskosten (§ 20 Abs. 4 Satz 1 EStG n.F.). Erfasst ist auch ein negativer Gewinn, ein Veräußerungsverlust, und zwar selbst dann, wenn dieser von außerhalb des Kapitalmarktes liegenden Gründen (z.B. der Insolvenz des Emittenten eines Zertifikates) beeinflusst ist.

Ausgehend von diesen Grundsätzen hat der Kläger aus der Veräußerung der Zertifikate einen Verlust in Höhe von 40.800 EUR erzielt (Anschaffungskosten in Höhe von 51.000 EUR abzüglich Einnahmen aus der Veräußerung in Höhe von 10.200 EUR).

Fundstelle

BFH, Urteil vom 29. Oktober 2019 (VIII R 16/16), veröffentlicht am 26. März 2020.

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