EuGH: Umsatzsteuerliche Organschaft und finanzielle Eingliederung von Personengesellschaften mit natürlichen Personen

Nach einer Entscheidung des EuGH ist es - unter Beachtung der Grundsätze der Rechtssicherheit, der Verhältnismäßigkeit und der steuerlichen Neutralität - nicht mit EU-Recht (hier: Artikel 11 Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie) vereinbar, dass eine Personengesellschaft nur dann zusammen mit dem Unternehmen des Organträgers eine Mehrwertsteuergruppe bilden kann, wenn Gesellschafter der Personengesellschaft neben dem Organträger nur Personen sind, die in dieses Unternehmen finanziell eingegliedert sind.

Ausgangslage

Das Finanzgericht Berlin-Brandenburg hatte mit Entscheidung vom 21. November 2019 (5 K 5044/19) dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt, ob eine Beschränkung des Tatbestandsmerkmals „Organgesellschaft“ in § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 Umsatzsteuergesetz (UStG) auf juristische Personen und Personengesellschaften, bei denen Gesellschafter neben dem Organträger nur Personen sind, die in das Unternehmen des Organträgers finanziell eingegliedert sind, mit den Vorgaben des Art. 11 der Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie (MwStSysRL) vereinbar ist.

Die Entscheidung des EuGH ist insofern von bemerkenswerter Relevanz, als der V. Senat des BFH (Urteil vom 2. Dezember 2015 – V R 25/13) entschieden hatte, dass auch Personengesellschaften als Organgesellschaften in Betracht kommen, wenn bei ihnen Gesellschafter neben dem Organträger nur Personen sind, die nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG in das Unternehmen des Organträgers finanziell eingegliedert sind. Der ebenfalls für Umsatzsteuer zuständige XI. Senat des BFH hat hingegen bislang offengelassen, ob er der vorgenannten Rechtsprechung des V. Senats folgen will (vgl. BFH, Urteil vom 1. Juni 2016 – XI R 17/11). Nach der Rechtsprechung des EuGH dürfen Personengesellschaften nur dann von der Organschaft ausgeschlossen werden, wenn dies zur Verhinderung missbräuchlicher Praktiken oder Verhaltensweisen und der Vermeidung von Steuerhinterziehung oder -umgehung erforderlich und geeignet ist. Weitere Hintergrundinformationen zu der EuGH-Vorlage des Finanzgerichts, sowie die dazugehörigen Vorlagefragen lesen Sie in unserem Blogbeitrag vom 20. März 2020).

Das Finanzamt hatte im Ausgangsfall das Vorliegen einer Organschaft mit Verweis auf die Rechtsprechung des V. Senats des BFH verneint.

Entscheidung des EuGH

Der EuGH entschied, dass Art. 11 der Mehrwertsteuerrichtlinie einer nationalen Regelung entgegensteht, die die Möglichkeit für eine Personengesellschaft, zusammen mit dem Unternehmen des Organträgers eine Mehrwertsteuergruppe zu bilden, davon abhängig macht, dass Gesellschafter der Personengesellschaft neben dem Organträger nur Personen sind, die in dieses Unternehmen finanziell eingegliedert sind.

Art. 11 der Mehrwertsteuerrichtlinie sehe zwar für die Mitgliedstaaten keine ausdrückliche Möglichkeit vor, den Wirtschaftsteilnehmern weitere Bedingungen für die Bildung einer Mehrwertsteuergruppe aufzuerlegen; sie können jedoch im Rahmen ihres Ermessens die Anwendung der Regelung über die Mehrwertsteuergruppe bestimmten Beschränkungen unterwerfen, jedoch nur, sofern diese den Zielen der Richtlinie entsprechen, die auf die Verhinderung missbräuchlicher Praktiken oder Verhaltensweisen und die Vermeidung von Steuerhinterziehung oder ‑umgehung abzielt, und sofern das Unionsrecht und die Grundsätze der Rechtssicherheit, der Verhältnismäßigkeit und der steuerlichen Neutralität beachtet werden.

Missbräuchliche Praktiken und Steuerhinterziehung: Das vorlegende Gericht habe final zu prüfen, ob der vorgesehene Ausschluss bestimmter Personengesellschaften eine für die Ziele der Verhinderung missbräuchlicher Praktiken oder Verhaltensweisen und der Vermeidung von Steuerhinterziehung oder ‑umgehung erforderliche und geeignete Maßnahme darstellt. Dies, so der EuGH, könne aber nur dann vorliegen, wenn aus einer Reihe objektiver Anhaltspunkte ersichtlich ist, dass mit den fraglichen Umsätzen im Wesentlichen ein Steuervorteil erlangt werden soll. Die Gefahr der Steuerhinterziehung im Sinne von Art. 11 Abs. 2 der Mehrwertsteuerrichtlinie dürfe also nicht rein theoretisch sein.

Grundsätze der Verhältnismäßigkeit: Eine nationale Regelung, mit der alle Personengesellschaften, zu deren Gesellschaftern natürliche Personen gehören, systematisch von den Vorteilen der Mehrwertsteuergruppe ausgeschlossen werden, geht über das hinaus, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist.

Der Grundsatz der steuerlichen Neutralität soll gewährleisten, dass die Wettbewerbsbedingungen nicht verfälscht werden und verbietet es insbesondere, Wirtschaftsteilnehmer, die gleichartige Umsätze tätigen, bei der Erhebung der Mehrwertsteuer unterschiedlich zu behandeln. Im vorliegenden Fall, so die Tatsachenfeststellungen des vorlegende Finanzgerichts, tätigten beide Gruppen von Personengesellschaften die gleichen Umsätze und stünden miteinander in Wettbewerb. In einem solchen Fall verstoße es gegen den Grundsatz der steuerlichen Neutralität, wenn Personengesellschaften, deren Gesellschafter nicht alle in der geschilderten Weise finanziell eingegliedert seien, von der Inanspruchnahme der Regelung über die Mehrwertsteuergruppe ausgeschlossen werden.

Weiterhin gehe aus der Vorlage des Finanzgerichts hervor, dass die Klägerin ihren Willen bei der GmbH & Co. KG durch mehrheitlich gefasste Beschlüsse durchzusetzen vermochte, so dass das Bestehen enger Verbindungen durch finanzielle Beziehungen vermutet werden kann. Der bloße Umstand, dass deren Gesellschafter theoretisch mittels mündlicher Vereinbarungen den Gesellschaftsvertrag so ändern konnten, dass Beschlüsse künftig einstimmig zu fassen waren, reicht nicht aus, um diese Vermutung zu entkräften. Insofern könne dieses Ergebnis auch nicht durch den Grundsatz der Rechtssicherheit in Frage gestellt werden.

Fundstelle

EuGH, Urteil vom 15. April 2021 (C-868/19), Finanzamt für Körperschaften Berlin

Eine englische Zusammenfassung des Urteils finden Sie hier.

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