EuGH zum Vorsteuerabzug bei nicht rechtzeitigem Ausüben des Zuordnungswahlrechts

Nach einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs aufgrund zweier Vorabentscheidungsersuchen des Bundesfinanzhofs kann einem Unternehmen der Vorsteuerabzug grundsätzlich verweigert werden, wenn bestimmte Fristen nicht eingehalten werden. Dies aber nur dann, wenn eine solche Weigerung dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht. Grundsätzlich seien weniger drastische Sanktionen wie zum Beispiel eine Geldstrafe oder auch eine längere Frist möglich, so der EuGH in seinem Resümee.

Hintergrund und Ausgangslage

Der BFH hatte in zwei Fällen Vorabentscheidungsersuchen an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) zu Fragen der Zuordnungsentscheidung zum Unternehmensvermögen für Zwecke des Vorsteuerabzugs gerichtet (hierzu: Blogbeitrag vom 31. Januar 2020).

Mit der ersten Vorlagefrage soll generell geklärt werden, ob ein Mitgliedstaat eine Ausschlussfrist für die Zuordnung zum Unternehmensvermögen vorsehen darf, wenn nämlich bis zum Ablauf der gesetzlichen Abgabefrist für die Umsatzsteuer-Jahreserklärung keine für die Finanzbehörden erkennbare Zuordnungsentscheidung abgegeben wurde. Die zweite Frage betrifft die Rechtsfolge, die eine Versäumung der Frist insofern hat, als eine Zuordnung zum privaten Bereich unterstellt wird bzw. eine dahingehende Vermutung besteht, wenn keine (ausreichenden) Indizien für eine unternehmerische Zuordnung vorliegen.

Der Generalanwalt hielt in seinen Schlussanträgen vom 20. Mai 2021 die Fristvorgabe hinsichtlich des Zuordnungswahlrechts (bis zum Ablauf der gesetzlichen Abgabefrist…) als mit Art. 167 MwStRL unvereinbar. Ebenso sei – in Beantwortung der zweiten Vorlagefrage – die Unterstellung oder Vermutung einer Zuordnung zum privaten Vermögen, wenn keine (ausreichenden) Indizien für eine Zuordnung zum Unternehmen vorliegen, mit Art. 168 Buchst. a MwStRL unvereinbar.

Entscheidung des EUGH

Wie dem Urteil zu entnehmen ist, hat der EuGH jedoch eine differenziertere Sichtweise der Dinge. Entsprechend der Urteilstenor bzw. die Antwort auf die Vorlagefragen:

Art. 168 Buchst. a in Verbindung mit Art. 167 der MwStRL steht nationalen Bestimmungen nicht entgegen, die von einem nationalen Gericht so ausgelegt werden, dass die zuständige nationale Steuerverwaltung den VoSt-Abzug in Bezug auf einen Gegenstand unter der Annahme, dass dieser dem Privatvermögen des Steuerpflichtigen zugewiesen wurde, verweigern darf, wenn ein Steuerpflichtiger ein Wahlrecht hat, ob er einen Gegenstand dem Vermögen seines Unternehmens zuordnet, und die Steuerverwaltung nicht spätestens bis zum Ablauf der gesetzlichen Frist für die Abgabe der Umsatzsteuer-Jahreserklärung in die Lage versetzt wurde, aufgrund einer ausdrücklichen Entscheidung oder hinreichender Anhaltspunkte eine solche Zuordnung des Gegenstands festzustellen - es sei denn, die besonderen rechtlichen Modalitäten für die Ausübung dieser Befugnis lassen erkennen, dass sie nicht mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar ist.

Richterliche Begründung:

Das Recht auf Vorsteuerabzug ist an die Einhaltung materieller und formeller Bedingungen geknüpft. Entsprechend wird ein VoSt-Abzug dann gewährt, wenn die materiellen Anforderungen erfüllt sind, selbst wenn der Steuerpflichtige bestimmten formellen Anforderungen nicht genügt hat. Soweit die nationale Rechtsprechung mithin die Nichteinhaltung der besagten Frist mit dem Verlust des sich aus ihr ergebenden Rechts auf VoSt-Abzug ahndet, führe dieser Verstoß nicht per se zum Verlust des VoSt-Abzugs, weil die Vornahme einer Zuordnungsentscheidung zwar eine materielle Bedingung für die Ausübung dieses Rechts darstellt, ihre Mitteilung an die Steuerverwaltung jedoch nur eine formelle Voraussetzung ist. Anders verhalte es sich nur, wenn der Verstoß gegen die formellen Anforderungen den sicheren Nachweis verhindert, dass die materiellen Anforderungen erfüllt wurden.

Zudem können die Mitgliedstaaten gemäß Art. 273 der Mehrwertsteuerrichtlinie weitere Pflichten vorsehen, die sie für erforderlich erachten, um eine genaue Erhebung der Steuer sicherzustellen und um Steuerhinterziehung zu vermeiden. Die Maßnahmen, die die Mitgliedstaaten nach dieser Bestimmung zu erlassen befugt sind, dürfen jedoch nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung solcher Ziele erforderlich ist. Insoweit erscheint eine Sanktion, die in einer völligen Versagung des Rechts auf Vorsteuerabzug besteht, wenn die Steuer verspätet entrichtet wird, unangemessen, wenn kein Betrug und keine Schädigung des Haushalts des Staates nachgewiesen sind.

Insofern dürfe die Tatsache, dass die Steuerpflichtigen die Frist zur Zuordnungsentscheidung nicht eingehalten haben, vorbehaltlich einer Überprüfung durch das vorlegende Gericht, nicht daran hindern, den sicheren Nachweis dafür zu erbringen, dass sie eine solche Entscheidung zum Zeitpunkt des Erwerbs der im Ausgangsverfahren fraglichen Investitionsgüter getroffen hatten.

Aus der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs ergibt sich jedoch auch, dass die Möglichkeit, das Abzugsrecht ohne jede zeitliche Beschränkung auszuüben, dem Grundsatz der Rechtssicherheit zuwiderliefe. Demnach ist eine Ausschlussfrist, deren Ablauf den nicht hinreichend sorgfältigen Steuerpflichtigen, der den Vorsteuerabzug nicht geltend gemacht hat, mit dem Verlust des Abzugsrechts bestraft, nicht mit der von der Mehrwertsteuerrichtlinie errichteten Regelung unvereinbar, sofern diese Frist dem sogenannten Äquivalenzgrundsatz entspricht und sie zum anderen die Ausübung des Abzugsrechts nicht praktisch unmöglich macht oder übermäßig erschwert.

Der BFH müsse nun noch prüfen, ob die fragliche Ausschlussfrist, d. h. der 31. Mai des Jahres, das auf das Jahr folgt, in dem die Zuordnungsentscheidung getroffen wurde, im Hinblick auf das Ziel der Wahrung des Grundsatzes der Rechtssicherheit verhältnismäßig ist. Hierbei sei zu berücksichtigen, so der EuGH, dass die Möglichkeit besteht, gegen einen nachlässig handelnden Steuerpflichtigen weniger drastische Sanktionen zu verhängen, die den Neutralitätsgrundsatz weniger beeinträchtigen als die völlige Versagung des Rechts auf Vorsteuerabzug (beispielsweise Geldstrafen oder eine längere Frist).

Zur zweiten Vorlagefrage, nämlich ob Art. 168 Buchst. a MwStRL einer nationalen Rechtsprechung entgegensteht, nach der eine Zuordnung zum privaten Bereich unterstellt wird beziehungsweise eine dahin gehende Vermutung besteht, wenn keine (ausreichenden) Indizien für eine unternehmerische Zuordnung vorliegen: Hier weist der EuGH darauf hin, dass das vorliegende Gericht zu prüfen habe, ob aus der Gesamtheit der Gegebenheiten geschlossen werden kann, dass die Kläger im Ausgangsverfahren als Steuerpflichtige gehandelt haben. Nämlich insoweit, als sie die im Ausgangsverfahren fraglichen gemischt genutzten Gegenstände erworben haben, und die Absicht bekundeten, sie ihrem jeweiligen Unternehmen zuzuordnen (Rz. 47 ff.). Gleichwohl seien die von den Steuerpflichtigen in ihren Steuererklärungen vorgenommenen Vorsteuerabzüge geeignet, eine solche Zuordnungsentscheidung kundzutun. Solche Abzüge seien auch ein Indiz dafür, dass ein Steuerpflichtiger beim Erwerb eines Gegenstands beabsichtigte, ihn seinem Unternehmen zuzuordnen.

Fundstelle

EuGH, Urteil vom 14. Oktober 2021 in den verbundenen Rechtssachen C-45/20 Finanzamt N und C-46/20 Finanzamt G

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