EU-Richtlinienentwurf für eine Änderungsrichtlinie zur ATAD

Die EU-Kommission hat am 22.12.2021 einen Richtlinienentwurf zur Änderung der Anti-Tax Avoidance Directive (sog. ATAD 3) zur Verhinderung des Missbrauchs von Mantelgesellschaften zu Steuerzwecken vorgelegt.

Die Regelungen des Richtlinienentwurfs sollen bis zum 30.6.2023 in nationales Recht umgesetzt werden und grundsätzlich ab dem 1.1.2024 anzuwenden sein.

Nachfolgend wird ein erster Überblick über den Richtlinienentwurf gegeben:


Mit der vorgeschlagenen Richtlinie will die EU gegen aggressive Steuerplanungsstrategien vorgehen, die mithilfe substanzloser bzw. substanzschwacher Gesellschaften (nachfolgend als „Mantelgesellschaften“ bezeichnet) verfolgt werden. Der Entwurf sieht einen Substanztest vor, der eine Reihe von Kriterien zur "Identifizierung von Unternehmen, die zwar eine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben, aber keine Mindestanforderungen an Substanz erfüllen und zur Erlangung von Steuervorteilen genutzt werden", aufstellt. In der ersten Stufe des Substanztests werden Unternehmen identifiziert, für die ein Risiko besteht, als Mantelgesellschaft (sog. Shell Entity) genutzt zu werden.
Dies sollen vor allem solche Unternehmen sein,

  • die in den vorangegangenen zwei Jahren mehr als 75 Prozent ihrer Einnahmen aus "relevantem Einkommen" erzielt haben, welches u.a. aus Zinsen, Lizenzgebühren, Dividenden und Einkommen aus Finanzerträgen besteht,
  • deren Vermögen (Buchwerte) zu mehr als 60 Prozent aus Immobilienvermögen oder nicht betrieblichen Zwecken dienendem beweglichen Vermögen (jenseits von Barmitteln, Anteilen und Wertpapieren) besteht, das in den vorangegangenen zwei Jahren außerhalb des Mitgliedstaats des Unternehmens belegen war, oder deren relevantes Einkommen zu mindestens 60% aus grenzüberschreitenden Transaktionen stammt oder über solche ausgezahlt wird, und
  • die in den vorangegangenen zwei Jahren die Verwaltung der Tagesgeschäfte und die Entscheidungsfindung in wichtigen Funktionen ausgelagert haben.
    Unternehmen, die alle drei Voraussetzungen und keinen der Ausnahmetatbestände (s. u.) erfüllen, sollen aufgefordert werden, in ihren jährlichen Steuererklärungen zusätzliche Angaben zur Erfüllung bestimmter Indikatoren für eine Mindestsubstanz zu machen (sog. zweite Stufe des Substanztests). Diese Indikatoren sind
    • der Besitz von Geschäftsräumen in dem Staat, in dem sie registriert sind,
    • die aktive Nutzung eines Bankkontos in diesem Staat sowie
    • eine Reihe von Merkmalen, welche die Geschäftsführung (z.B. Ansässigkeit im Staat des Unternehmens, ausreichende Qualifikation und Entscheidungskompetenz) oder die Beschäftigten (Ansässigkeit der Mehrheit der Vollzeitbeschäftigten in dem Staat) betreffen.

U. a. börsennotierte Unternehmen, Unternehmen mit mindestens fünf Vollzeitbeschäftigten und Unternehmen, die in demselben Mitgliedstaat wie ihre Muttergesellschaft ansässig sind, sollen von dieser Meldepflicht ausgenommen sein Desgleichen gilt – mit Blick auf die Unternehmenstätigkeit – z.B. für regulierte Finanzunternehmen und bestimmte Holdingunternehmen.


Die Steuerbehörden sollen dazu ermächtigt werden, die Informationen zu prüfen und zu beurteilen, ob das jeweilige Unternehmen die Indikatoren für eine Mindestsubstanz aufweist.


Die dritte Stufe des Substanztests schreibt vor, wie die Informationen, die das Unternehmen im zweiten Schritt gemeldet hat, inhaltlich zu bewerten sind.


Unternehmen, die nicht alle Substanzindikatoren erfüllen, haben nach Artikel 9 des Richtlinienentwurfes die Möglichkeit, die Vermutung, dass es sich bei ihnen um eine Mantelgesellschaft handelt, zu widerlegen. Sie können zusätzliche Beweise vorlegen, z. B. ausführliche Informationen über die wirtschaftlichen, nicht steuerlichen Gründe ihrer Niederlassung, die Profile ihrer Mitarbeiter und die Tatsache, dass die Entscheidungsfindung im Mitgliedstaat ihrer steuerlichen Ansässigkeit stattfindet.


Für Unternehmen, die nach den drei Stufen des Substanztests als Mantelgesellschaft eingestuft werden, sieht der Richtlinienentwurf in Art. 11 insbesondere folgende Konsequenzen vor:

  • Mitgliedstaaten wenden mit dem Mitgliedstaat der Mantelgesellschaft geschlossene Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung von Einkommen (und ggf. Kapital) sowie EU-Richtlinien (Mutter/Tochter-Richtlinie und Zins/Lizenz-Richtlinie) nicht an, soweit die betreffenden Begünstigungen die steuerliche Ansässigkeit der Mantelgesellschaft in dem/einem Mitgliedstaat voraussetzen.
  • Mitgliedstaaten, in denen die Gesellschafter der Mantelgesellschaft ansässig sind, besteuern das relevante Einkommen der Mantelgesellschaft im Einklang mit ihrem nationalen Recht so, als hätten die Gesellschafter dieses selbst erzielt. Hierbei sind im Ansässigkeitsstaat der Mantelgesellschaft gezahlte Steuern zum Abzug zuzulassen, sofern es sich bei diesem Staat um einen Mitgliedstaat handelt. Soweit die Gesellschafter nicht in einem Mitgliedstaat ansässig sind, erhebt der Mitgliedstaat der Mantelgesellschaft im Einklang mit seinem nationalen Recht und ungeachtet etwaiger Abkommen Quellensteuern.
  • Der Mitgliedstaat der Mantelgesellschaft stellt eine Bescheinigung über die steuerliche Ansässigkeit entweder gar nicht oder nur mit dem Vermerk aus, dass die Gesellschaft keinen Anspruch auf die Vorteile von Abkommen und Konventionen zur Beseitigung der Doppelbesteuerung von Einkommen (ggf. und/oder Kapital) und Richtlinien (Mutter/Tochter-Richtlinie und Zins/Lizenz-Richtlinie) hat.

Die Behörden der Mitgliedstaaten sollen automatisch Informationen über die in den Anwendungsbereich der Richtlinie fallenden Gesellschaften, unabhängig davon, ob es sich um Mantelgesellschaften handelt oder nicht, austauschen. Der Richtlinienentwurf sieht eine entsprechende Änderung der Amtshilfe-Richtlinie vor.


Der Richtlinienentwurf soll den Mitgliedstaaten zudem die Möglichkeit geben, einen anderen Mitgliedstaat zu ersuchen, eine Betriebsprüfung bei dem Unternehmen durchzuführen, das in diesem Staat ansässig ist. Der ersuchende Mitgliedstaat soll zudem innerhalb einer angemessenen Frist eine Rückmeldung zu dem Ergebnis der Betriebsprüfung erhalten.


Die Pflicht und Befugnis zur Regelung von Sanktionen für Verstöße gegen die sich aus der Richtlinie ergebenden Pflichten weist der Richtlinien-Entwurf grundsätzlich den Mitgliedstaaten zu. Dies verbunden mit der Vorgabe, dass sie „effektiv, angemessen und abschreckend“ sein sollen. Allerdings fordert die Richtlinie, dass die Mitgliedstaaten dabei sicherstellen, dass die Sanktionen eine verwaltungsrechtliche Geldbuße von mindestens 5 % des Umsatzes der Mantelgesellschaft des betreffenden Jahres für den Fall unrichtiger oder nicht fristgerechter Angaben umfasst.
Die Verabschiedung der Richtlinie setzt die Zustimmung aller 27 Mitgliedstaaten voraus. Die Zustimmung der einzelnen Mitgliedstaaten und die Umsetzung durch diese bleibt abzuwarten.
Nach Annahme durch die Mitgliedstaaten soll die Richtlinie ab dem 1.1.2024 anzuwenden sein.

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